Volksanwalt zu Wohngemeinschaft in Gols: „Hier leben Kinder in Angst“
Die Volksanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe gegen eine sozialpädagogische Einrichtung im Nordburgenland. Bei einer unangekündigten Überprüfung hätten weinende kleine Kinder von einem Klima der Angst berichtet.
GOLS. Volksanwalt Günther Kräuter fordert sofortiges Einschreiten: „Ich habe der Burgenländischen Landesregierung mit Schriftsatz vom 24. November 2017 dringendst empfohlen, Maßnahmen zum Wohl der dort untergebrachten Kinder zu setzen. Die Einrichtung scheint mit der Aufgabe der Betreuung, Versorgung und dem Schutz der Kinder völlig überfordert zu sein.“
Volksanwaltschaft ortet Behördenversagen
So baten die befragten kleineren Kinder unter Tränen, die Einrichtung verlassen zu dürfen, berichteten zum Teil von Übergriffen älterer Kinder und einem Klima der Angst.
Obwohl BH und das Land durch verschiedene Gefährdungsmeldungen – auch seitens der Volksanwaltschaft – davon Kenntnis erlangt hatten, dass beispielsweise ein 15-Jähriger seit Jahren Mädchen und Burschen vermutlich sexuell missbraucht hat, wurde nichts unternommen. Dass nun endlich mit 1. Dezember 2017 eine Verlegung des 15-Jährigen geplant ist, ändert nichts am jahrelangen Behördenversagen.
Kräuter: „Es gibt kein Betreuungs- und Raumkonzept, um den Schutz der Kinder sicherzustellen, kein sexualpädagogisches Konzept und keine Deeskalationsstrategie. Auch die Unterbringung einer 16-jährigen Mutter mit ihrem einjährigen Baby gemeinsam mit betreuungsbedürftigen Minderjährigen ist inakzeptabel, wie auch das LKH Mödling bestätigt.“
Insgesamt werde in dieser Einrichtung nicht dem gesetzlichen Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe entsprochen, so Kräuter: „Kinder haben ein Recht auf ein Aufwachsen ohne Gewalt.“ Die Volksanwaltschaft kündigt nach Vorlage des Gesamtberichtes der zuständigen Expertenkommission weitere Feststellungen an.
Sozialarbeiterin des Landes "betroffen"
„Der Bericht der Volksanwaltschaft über die Wohngemeinschaft hat uns sehr betroffen gemacht“, sagt die leitende Sozialarbeiterin des Landes Burgenland, Bettina Horvath, zu den Erkenntnissen aus einer von der Volksanwaltschaft durchgeführten Überprüfung einer betreuten Wohngemeinschaft von Jugendlichen im Bezirk Neusiedl Ende November. Horvath weiter: „Es sind von den Behörden aber bereits vor einiger Zeit Maßnahmen ergriffen worden, um die offenbar aufgetretenen grenzüberschreitende Handlungen zwischen Jugendlichen zu beenden.“ Im Auftrag vom zuständigen Landesrat, Mag. Norbert Darabos, werden durch die Abteilung Soziales und Gesundheit weiterhin alle weiteren notwendigen Schritte so rasch wie möglich gesetzt, um die betroffenen Kinder vor weiteren Vorfällen zu schützen.
Landeskriminalamt ermittelt
Zur Klärung der im Raum stehenden Vorwürfe, wonach seitens der Betreiber der Wohngemeinschaft Fehler in der Betreuung und Beaufsichtigung der Jugendlichen unterlaufen sind, arbeiten die Sozialarbeiter und Juristen des Landes intensiv mit dem Landeskriminalamt zusammen, das derzeit in dieser Angelegenheit ebenfalls ermittelt. Der mutmaßlich übergriffige Jugendliche werde jedenfalls auf Initiative des Landes per 1. Dezember 2017 in eine andere Betreuungseinrichtung überstellt.
ÖVP ortet Versagen der Behörden
"Volksanwalt Günther Kräuter hat gestern schwere Vorwürfe wegen „inakzeptabler Zustände“ in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft in Neusiedl erhoben. Nun wurde bekannt, dass die Bezirksverwaltungsbehörde und die Landesregierung seit eineinhalb Jahren Bescheid wussten und einfach tatenlos zugeschaut haben. Das ist grausam und verabscheuenswürdig. Wir fordern eine rasche und vollständige Aufklärung und Konsequenzen für die Verantwortlichen“, sagen Klubobmann Christian Sagartz und Neusiedls Bezirksparteiobmann Rudolf Strommer.
Die Sitzgemeinde und das Land Burgenland finanzieren diese sozialpädagogische Einrichtung. Laut Volksanwalt Kräuter war seit eineinhalb Jahren bekannt, dass es Probleme in dieser Wohngemeinschaft gab. „Die Landesregierung und die Bezirkshauptmannschaft wurden durch mehrere Gefährdungsmeldungen und Berichten der Volksanwaltschaft von diesen Missständen in Kenntnis gesetzt. Da frage ich mich schon: Wie können der zuständige SPÖ-Landesrat Norbert Darabos und SPÖ-Landeshauptmann Hans Nießl einfach dabei zuschauen?“, bemängelt Strommer und stellt fest: „Das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft ermitteln bereits in dieser Causa.“
Zu betonen ist, dass die Volksanwaltschaft dieselben Funktionen wie der Rechnungshof hat. „Die Volksanwaltschaft ist als Hilfsorgan des Landtages für die Kontrolle der Behörden zuständig. Warum wurden dann die Berichte über Missstände seitens der Behörden nicht untersucht? Haben die Behörden versagt?“, fragt sich Strommer.
Schon traurig, dass Darabos seit gestern für ein Statement nicht erreichbar ist. Stattdessen schickt er eine Beamtin vor. „Er stellt sich damit nicht der Verantwortung und schaut weiterhin tatenlos zu“, kritisiert Strommer auf das Schärfste. Volksanwalt Günther Kräuter wirft dem Land Behördenversagen vor. „Wenn sich diese Vorwürfe bewahrheiten und der Missbrauch von Kindern wegen Behördenversagen nicht unterbunden wurde, dann muss man sich fragen, ob die Zuständigen in ihrer Funktion bleiben dürfen“, so Strommer.
Grüne fordern Qualitätskriterien für Leitungs- und Betreuungspersonal
"Betroffenheit ist gut, Kontrolle ist nötig, wirksam ist nur langfristige Qualitätssicherheit", meint Regina Petrik, Landessprecherin der GRÜNEN Burgenland zu den durch die Volksanwaltschaft öffentlich gewordenen Vorfällen in einer Jugendbetreuungseinrichtung im Bezirk Neusiedl am See. "Ich bin schockiert und tief betroffen, dass es in einer Betreuungseinrichtung zu derartig schwerwiegenden Misshandlungen und sexueller Gewalt gegenüber Kindern durch einen Jugendlichen kommen konnte. Nun gilt es, dafür zu sorgen, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen unverzüglich eine Therapiemöglichkeit bekommen und in für sie emotional sicheren Wohnverältnissen betreut werden. Es muss aber auch strukturelle Änderungen geben und die Qualitätskriterien bei Vergabe von Betreuungsaufträgen überarbeitet werden. Es kann nicht sein, dass Betreuungspersonen keine hochwertige pädagogische oder psychologische Ausbildung haben. Die Anforderungen an das Personal in einem Wohnheim für Kinder und Jugendliche aus bereits schwer belasteten Verhältnissen und mit traumatisierenden Beziehungserfahrungen sind größer als in anderen pädagogischen und sozialen Berufen. Auch das Leitungspersonal muss eine fundierte Ausbildung und Erfahrung aufweisen können. Dafür muss umgehend auf politischer Ebene gesorgt werden. So etwas wie in diesem Wohnheim darf nie wieder vorkommen. Diese Sicherheit müssen wir den Kindern und Jugendlichen geben."
Silvia Beck von der sozialpädagogischen Einrichtung hat mit uns zu den Vorwürfen kurz gesprochen. Lesen Sie selbst
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