Psychologie / Psychotherapie
Traumatherapie und Traumabewältigung

Was ist ein psychisches Trauma?

Das ursprüngliche Trauma war eine Situation, in der die betroffene Person massiv hilflos und überwältigt wurde. Oft sind es vielfache und mehrfache Stressfaktoren, wie etwa wiederholter Kindesmissbrauch, schwere psychische, emotionale und körperliche Gewalt im Kleinkind- oder Kindesalter, Krieg, Flucht, Vertreibung, Katastrophen, Unfälle, aber auch schwere häusliche Gewalt, Sklaverei und Folter.

Das ursprüngliche Trauma lässt sich in einer Traumatherapie nicht behandeln, da es ja bereits vorbei ist. Jedoch lassen sich Traumafolgestörungen lindern, manchmal auch heilen.

Was sind Traumafolgestörungen?

Typische Zustände nach schweren Traumatisierungen sind:

  • starke Hilflosigkeit und Angst
  • meine ganzes Selbstbild ist erschüttert
  • ich erlebe die Welt fortan als bedrohlichen Ort und befinde mich ständig in einer Habachtstellung

Die ursprüngliche Traumatisierung (etwa schwere körperliche und psychische Gewalt, sexuelle Gewalt, Naturkatastrophen, Unfälle, Folter) wird von der betroffenen Person als massiv überwältigend und (subjektiv oder objektiv) lebensbedrohlich erlebt. Der traumatisierte Mensch konnte das Ereignis nicht bewältigen. Dabei führen nicht Angst oder Stress zur Traumatisierung und zu Traumafolgestörungen, sondern das subjektive Erleben von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, Schutzlosigkeit.

Traumatisierte Menschen sind körperlich und psychisch in permanenter Alarmbereitschaft und aktiviert, da ihnen das Gefühl der Sicherheit verloren gegangen ist. Sie stecken darin fest, auch dann, wenn es in der Gegenwart keinen Grund mehr dafür gibt. Dabei kommt es zu typischen Abwehr- und Copingreaktionen, wie etwa selbstverletzendes oder überschießend aggressives Verhalten, Misstrauen gegenüber den Mitmenschen oder Dissoziationen. Das autonome Nervensystem kommt nicht mehr zur Ruhe, der Rhythmus zwischen gesunder Anspannung und Entspannung ist völlig durcheinander.

Grundsätzlich ist uns die Fähigkeit, selbst innere Sicherheit herzustellen und sich zu beruhigen nicht angeboren. Wir müssen sie erst erlernen, da wir physiologische Frühgeburten sind. Wir benötigen dann andere Bezugspersonen, von denen wir Selbstberuhigung und Entspannung lernen. Haben wir Bezugspersonen, etwa Vater und Mutter, die sich selbst gut beruhigen können, dann können wir umso leichter von ihnen lernen, von Zuständen der Angst, Aufregung und Aktivierung in sichere Zustände zu gelangen.

Aber auch später, im Erwachsenenalter ist es immer möglich, Kompetenzen der Selbstberuhigung zu erwerben. Es ist also nie zu spät, wenn auch dieser Prozess Geduld erfordert.

Was ist Reviktimisierung?

Menschen mit schweren und komplexen Traumatisierungen neigen auch zu massiven Selbstvorwürfen, Selbstentwertungen und Selbstbeschuldigungen. So fühlen sie, wenn sie etwa alltägliche Fehler machen, starke Scham- und Schuldgefühle, die der Realität nicht angemessen und viel zu stark sind. Sie haben das Gefühl, eine gute, respektvolle und wertschätzende Behandlung gar nicht zu verdienen. Sie lassen sich missbrauchen, quälen und ausnützen (Reviktimisierung), ohne dies zu erkennen. Sie haben durch die ursprünglichen Täter*innen gelernt, dass sie unwert, moralisch verwerflich, ekelig und schlecht seien und können sich auch als Erwachsene nicht davon distanzieren. Somit werden sie leicht Opfer, weil sie gar nicht spüren, dass sie eigene Gefühle, berechtigte Bedürfnisse und Wünsche haben. Im Gegenteil: Sie empfinden die Misshandlungen und die Gewalt aktueller Täter*innen als verdiente gerechte Strafe und als völlig normal. Berechtigte Abgrenzungen würden sie als schwere Schuld erleben.

Reviktimisierung bedeutet, dass bereits in ihrer Kindheit traumatisierte Menschen auch im Erwachsenenalter häufiger Opfer von Gewalt und Missbrauch werden. Das Risiko ist diesbezüglich sogar um ein Vielfaches höher. Täter*innen suchen sich zudem oft Menschen als Opfer aus, die bereits traumatisiert sind.

Somit sind komplex traumatisierte Menschen oft in der jüngeren Vergangenheit zusätzlich traumatisiert worden. Diese jüngeren Traumen werden mitunter in Psychotherapien übersehen.

Was sind typische Traumafolgestörungen?

  • Die Posttraumatische Belastungsstörung oder die Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung bilden sich aus.
  • Menschen, die unter Traumafolgestörungen leiden fühlen ihre eigenen Bedürfnisse nicht.
  • Ganz typisch für Traumafolgestörungen ist, dass wir eine Situation als ganz überwältigend und bedrohlich erleben, obwohl sie das objektiv betrachtet nicht ist. Wenn ich etwa Todesangst bekomme, weil mein Partner nicht sofort meine SMS beantwortet, dann könnte diese Angst auf ein ursprüngliches Trauma in der Kindheit oder Jugend zurückzuführen sein.
  • Es bilden sich innere Täter ab, die die Betroffenen mit Selbsthass und selbstzerstörerischen Impulsen malträtieren.
  • Manchmal bilden sich multiple Persönlichkeiten aus.
  • Traumatisierte Personen sehen Bedrohungen dort, wo gar keine sind. So lehrt dann ein als Kind viel geschlagener Vater seinem Sohn, dass er am Schulhof immer stark auftreten und als erster zuschlagen müsse, um nicht am Boden zu liegen. Oder Menschen trennen sich in Partnerschaften oder nach alltäglichen Konflikten immer wieder viel zu früh, weil sie während ihrer gesamten Kindheit die Erfahrung machen mussten, dass sie von Bezugspersonen verlassen werden und nicht liebenswert seien.
  • Oder das Gegenteil ist der Fall: Die Betroffenen erkennen Bedrohungen gar nicht, vermögen sich nicht zu schützen, zu wehren oder sich von den Ansprüchen anderer abzugrenzen.
  • Kinder gewalttätiger Eltern identifizieren sich aus Selbstschutz mit den Täter*innen. Es entstehen aggressive und hasserfüllte Persönlichkeitsanteile. Als misshandelte Kinder quälen und verletzen sie dann ihre jüngeren Geschwister, andere Kinder oder Tiere. Als Eltern schlagen und missbrauchen sie ihre eigenen Kinder. In der Psychotherapie machen sie ihre Therapeut*innen zu Opfern. So hat mir etwa ein Klient freudestrahlend und voller Genugtuung erzählt, dass er seinen letzten Psychotherapeuten zum Weinen gebracht hat. Der Volksmund bestätigt es: Geschlagene Kinder schlagen als Eltern dann oft ihre eigenen Kinder.
  • Idealisierung und Entwertung wechseln einander rasch ab. Auch die Stimmungslage ist instabil. Als Beispiel dient ein junger Mann, der seine Partnerin massiv idealisiert und auf ein Podest stellt. Nachdem sich seine Partnerin auf eine Partnerschaft einlässt, trennt sich der junge Mann vorzeitig und unter fadenscheinigen Gründen von ihr ("Ich bin auf einmal nicht mehr in dich verliebt. Es es waren halt nur die Hormone. Der Sex war auch nicht so gut"). Der junge Mann spaltet dabei seinen anfänglichen Überschwang und seine Verliebtheit völlig ab. Jetzt ist seine Expartnerin auf einmal "vergessen". Er lässt sie fallen wie eine heiße Kartoffel. Sein Missbrauch ist ihm gar nicht bewusst. Hier fällt auch noch die Dissoziation und die Spaltung zwischen Verliebtheit und Abwertung deutlich auf.
  • Dieser Mechanismus lässt sich auch kollektiv beobachten, etwa wenn diskriminierte Minderheiten die Gewalt an andere weitergeben: So wurde im Sommer 2022 eine hellhäutige Videospielentwicklerin in den Sozialen Medien von einem farbigen Jugendlichen massiv (als "weiße Schlampe, die sterben solle") beschimpft, weil sie im Videospiel einen Avatar dunkler Hautfarbe entwickelt hatte. Als weiße Frau stünde ihr es nicht zu, einen dunkelhäutigen Avatar zu erschaffen. Zudem kritisierte der Täter ihre Dreadlocks als kolonialistische Vereinnahmung. Ich spüre einfach nur Wut und Empörung auf diesen jungen Mann, den Täter, aber auch auf die vielen schweigenden Menschen, welchen diesen Tread geliked haben. Sie machen sich bei dieser Gewalt durch ihr passiv-aggressives Verhalten alle mitschuldig.
  • Auch Störungen der Emotionsregulierung, die sich etwa in emotionalen Ausbrüchen äußern, selbstschädigendes und selbstverletzendes Verhalten, dissoziative Zustände, emotionale Betäubung und die Unfähigkeit, positive Emotionen und Zustände zu erleben, sind Traumafolgestörungen.

Was sagen Hirnforschung und Neurobiologie?

Traumen lassen sich neurobiologisch nachweisen. Es kommt zu Schädigungen in den emotionsregulierenden kortikalen und limbischen Strukturen des Gehirns. In den sensiblen Phasen der Gehirnentwicklung werden durch beziehungstraumatische Einflüsse neuronale Strukturen geschädigt, die für die Ausübung wichtiger Ich-Funktionen unverzichtbar sind.

Die Verarbeitung von Erinnerungen ist nach Traumen stark beeinträchtigt. Erfahrungen werden nämlich nicht im expliziten Gedächtnis als Erinnerungen abgespeichert, welche uns im Alltag zur Verfügung stehen, sondern als symbolisierte Erinnerungsspuren im impliziten Gedächtnis. Diese werden durch Trigger ausgelöst und äußern sich in Alpträumen, Flasbacks, Verhaltensinszenierungen, starken Affekten, stereotypen Verhaltensweisen oder Überflutungen mit Gefühlen von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Angst und verzweifelter Einsamkeit. Bereits alltägliche Ereignisse können solche Traumazustände und Erinnerungsspuren triggern.

Kurzfilm von Quarks: "Posttraumatische Belastungsstörung — Schrecken ohne Ende?"

Traumatischer Stress hat auch gravierende biologische Folgen und führt zu Genveränderungen, die wiederum psychiatrische Traumafolgesymptome begünstigen. Kinder sind besonders anfällig für Veränderungen der Nervenzellen. Traumatischer und chronischer Stress verändern das Erbgut - allerdings nur im Kindesalter. Zudem schädigen Traumafolgesymptome das Immunsystem. Traumen hinterlassen biologische Veränderungen. Doch Traumatherapie kann hier auch viel Positives bewirken.

Komorbide Störungen

Menschen, die unter komplexen Traumafolgestörungen leiden, weisen meist viele andere psychische Erkrankungen auf, darunter:

  • Depressionen
  • Substanzmissbrauch
  • Sucht und Abhängigkeitserkrankungen
  • Essstörungen
  • Angststörungen und Panikattacken
  • Persönlichkeitsstörungen, vor allem die Borderline-Persönlichkeitsstörung
  • Schizophrenie, Wahn, Psychosen
  • Dissoziationen

Was sind Dissoziationen?

Unter Dissoziationen versteht man in der Psychologie Zustände, in denen Zeit- und Erinnerungslücken auftreten. Es besteht dann eine Lücke im Bewusstsein. Oft fällt dies den Betroffenen gar nicht mehr auf, weil sie diese Dissoziationen seit ihrer Kindheit haben und daran gewöhnt sind.

Viele Menschen haben Angst, dass sie für verrückt gehalten werden, wenn sie ihren Psychotherapeut*innen von Dissoziationen berichten. Dissoziationen gehen zwar mit einem Leidensdruck einher, allerdings sind diese ein Selbstschutzmechanismus unserer Psyche, der früher einmal psychisch-überlebensnotwendig war. Im Hier und Jetzt schießt er jedoch meist über das Ziel hinaus und ist überflüssig geworden.

Dissoziationen und Konversionssymptome machen durchaus Sinn. Sie lenken den seelischen Schmerz auf den Körper und auf körperliche Symptome. Durch diese Verschiebung wird der psychische Schmerz erträglicher und ich muss mich nicht mit ihm auseinandersetzen. Das unbewältigte psychische Problem wird damit allerdings verborgen und kann nicht bearbeitet werden.

Kurzfilm von ARTE: "Resilienz"

In dieser Dokumentation werden Traumatisierungen erklärt. Sie erfahren aber auch, was Resilienz ist und wie wir unsere psychischen und körperlichen Selbstheilungskräfte aktivieren können.

Welche Hilfe gibt es für traumatisierte Menschen?

Die psychodynamische Traumatherapie

Die psychodynamische Traumatherapie arbeitet viel mit heilsamen Imaginationen und positiven Bildern, aber auch mit den Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen der Menschen. Auch hilft sie den Betroffenen, die eigenen Emotionen gut regulieren zu können und zwischenmenschliche Fertigkeiten zu entwickeln, sofern diese nicht bereits vorhanden sind.

Wichtige Methoden der psychodynamischen Traumatherapie sind:

  • der sichere Ort
  • innere Helfer
  • die Tresor-Übung
  • die Bildschirmtechnik
  • das Rescripting belastender Traumaerinnerungen
  • das BASK-Modell
  • das Pendeln zwischen dem traumatischen Belastungspol und dem Wohlfühlort
  • Skillstraining und das Einüben von Achtsamkeit
  • Arbeit mit dem inneren Beobachter
  • Arbeit mit inneren Kindanteilen
  • Arbeit mit täternahen und verletzenden Persönlichkeitsanteilen
  • das Entwickeln von besserer Selbstfürsorge

Traumatherapie ist intensiv und entlastend

Traumatherapie kann sehr bunt und kreativ sein. Das Klischee, dass Traumatherapie dunkel, düster und nur belastend sei, stimmt so nicht. Die Traumaarbeit ist zwar intensiv und fordernd, zugleich aber auch erleichternd, entlastend und befreiend, weil sie mit den Stärken, Ressourcen und positiven Fantasien von Menschen arbeitet. So können etwa positive Erinnerungen, innere Bilder und imaginative Techniken Traumafolgestörungen lindern oder heilen.

Ressourcen sind oftmals sehr vielfältig und bestehen in Kompetenzen, Talenten, Fähigkeiten, Erfolgen, kleinen unterstützenden zwischenmenschlichen Begegnungen, dem Streicheln von Tieren, Kreativität, politischem Engagement ...

In der Regel haben bei psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt Bezugspersonen, wie etwa die Mutter oder der Vater, weggesehen und das Trauma verleugnet, bagatellisiert, totgeschwiegen oder sie haben Gaslighting betrieben und ein Schweigegebot auferlegt. Für den traumatisierten Menschen entstand dadurch das Gefühl, verraten worden zu sein. Deshalb können andere Personen, die während oder nach einer Traumatisierung Halt gaben, eine wichtige Ressource sein.

Gibt es Nebenwirkungen?

Jede Psychotherapie hat auch Nebenwirkungen. Diese können darin bestehen, dass ich auf einmal meine Emotionen viel besser fühle als zuvor. Das kann kurzfristig schmerzhaft und belastend sein, hilft mir aber langfristig auf meinem Weg der Heilung. Denn wenn ich einen guten Zugang zu all meinen Emotionen habe, auch zu meinen belastenden und schwierigen Gefühlen und Affekten, kann ich lernen, mich selbst und meine Bedürfnisse besser anzunehmen und eine bessere Selbstfürsorge zu entwickeln. Unsere Emotionen sind nämlich der Schlüssel zu unseren authentischen Bedürfnissen.

Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Salzburg / Hamburg
(Existenzanalyse)

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