Psychotherapeut im Gespräch

"Reden ist Gold, Schweigen ist Silber"

Der in Döbriach aufgewachsene Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Herwig Oberlerchner im Interview über die psychische Gesundheit innerhalb der Familie.

BEZIRK. Wie beeinflussen familiäre Konflikte die psychische Gesundheit? Welche Rolle spielt Kommunikation? Und wie können Familien effektiv miteinander kommunizieren? Herwig Oberlerchner, Psychotherapeut und Autor von "Das Schweigen wird laut" hat Antworten.

MeinBezirk.at: Inwiefern können sich familiäre Konflikte und Spannungen auf das psychische Wohlbefinden und die mentale Gesundheit der einzelnen Familienmitglieder auswirken? Was sind die häufigsten Auslöser für Konflikte und was sind die häufigsten Folgen davon?
Herwig Oberlerchner: Akute Krisen und Spannungen wird (und soll) es in jeder Familie geben. Das Ziel kann nicht sein Krisen und Spannungen zu vermeiden, sondern mit ihnen konstruktiv umzugehen. Es muss uns klar sein, dass Kinder am Vorbild lernen und sich mit ihren Eltern identifizieren. Sie schauen genau hin, wie die Eltern oder andere Bezugspersonen in schwierigen Situationen kommunizieren und sich verhalten und übernehmen es. Reden ist immer Gold, Schweigen ist immer Silber. Eltern müssen sich bewusst sein, dass ihr Verhalten, das ihrer Kinder prägt und sie mitbestimmen, ob ihre Kinder in Konflikten mutig, im Respekt des anderen und um Klärung bemüht agieren. Chronische Konflikte und Spannungen sind eine unglaubliche Last, entmutigen Kinder, machen stumm und sind chronische Stressoren, die die Entwicklung hemmen.

Auf was sollten Eltern achten, um eine gesunde Beziehung mit ihren Kindern zu führen?
Kinder lernen am Modell nicht nur zu kommunizieren, sondern auch zu mentalisieren. Das heißt, sie lernen bestmöglich im Kontakt mit ihren Mitmenschen, das, was in ihnen vorgeht, zu beschreiben und gleichzeitig zu verstehen, warum der andere auf seine besondere Art denkt und handelt. In einer Atmosphäre von Offenheit, Respekt und Wertschätzung wird das leichter gelingen. So entstehen Selbstbewusstsein und gleichzeitig Toleranz.

Welche Rolle spielt Kommunikation innerhalb der Familie für die psychische Gesundheit der Mitglieder, und wie können es Eltern und Kinder schaffen, effektiv miteinander zu kommunizieren?
Die Regeln gewaltfreier Kommunikation sind seit Jahrzehnten bekannt. Anschuldigungen, Kränkungen, Drohungen oder beleidigtes Schweigen bringen Kinder nicht weiter. In den sozialen Medien findet man die Werkzeuge für gelingende Kommunikation kaum, daher ist die Kommunikation in der Familie die erste Lebens- und Sprachschule, die dann im Kindergarten und den Schulen fortgesetzt wird. Daraus ergibt sich auch auch die wichtige Rolle der Pädagog*innen, aber auch der Auftrag an die Eltern an sich selbst zu arbeiten. Leider geben Eltern oft eigene Defizite an ihre Kinder weiter.

Welche Therapieansätze oder Interventionen empfehlen Sie, um Familien dabei zu unterstützen, ihre Beziehungen zu verbessern und Konflikte konstruktiv zu lösen?
Familien und Eltern in schwierigen Lebensituation sollten - wenn eigene Ideen und kreative Lösungsansätze versagen - sich nicht scheuen, sich Hilfe in Form von Coaching, Berater*innen und Therapeut*innen zu holen und mit entsprechenden Institutionen Kontakt aufzunehmen. Auch das wird den Kindern in schwierigen Situationen ein Vorbild sein: Wir holen uns rechtzeitig Hilfe.

Sie haben kürzlich Ihr Buch "Das Schweigen wird laut" veröffentlicht. Worüber geht es in diesem Buch?
In meinem Buch geht es weniger um Konflikte und Spannungen, sondern um das Unausgesprochene und Verschwiegene. Diese Areale und Mauern des Schweigens entstehen aus Schuld, Angst oder schlicht Überforderung. Es sind Krypten, wo die Ohren der Kinder ganz spitz werden, wo aber auch das Fließen der Lebensenergie gehemmt wird. Kommunikation auch über diese heiklen Themen befreit. Das Schweigen bricht, wenn man es zur Sprache bringt. Die zweite überarbeitete und ergänzte Auflage des Buches wird demnächst erhältlich sein.