FH St. Pölten
Buch: Kindheit in der Mediengesellschaft

Astrid Ebner-Zarl veröffentlicht ein Buch. | Foto: Fotoatelier Hermann Fuchsluger
  • Astrid Ebner-Zarl veröffentlicht ein Buch.
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Medienforscherin Astrid Ebner-Zarl von der Fachhochschule St. Pölten untersucht in ihrem Buch „Die Entgrenzung von Kindheit in der Mediengesellschaft“ die These vom „Verschwinden der Kindheit“ und die Wahrnehmung, dass die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter zusehends brüchig geworden sind – festgemacht unter anderem an medialen Darstellungen, Mediennutzung, Aktivitäten der Wirtschaft und Leistungsdruck.

ST. PÖLTEN (pa). Die These vom „Verschwinden der Kindheit“ ist weit verbreitet und vieldiskutiert – in den Medien, in der Wissenschaft und in allgemeingesellschaftlichen Diskursen. Gemeint ist damit eine „Entgrenzung“ von Kindheit. Diese beschreibt die Wahrnehmung, dass die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter zusehends brüchig geworden sind bzw. sich stark verschoben haben.
Bislang existiert allerdings keine Theorie, die die Entgrenzung von Kindheit systematisch erfasst. Zum Schließen dieser Lücke trägt Ebner-Zarls Buch bei. „Kindheit und Kindsein sind in der Gegenwartsgesellschaft des 21. Jahrhunderts, zumindest in Westeuropa und den USA, stark durch Mediatisierung, Kommerzialisierung und die umfassende Einbettung in eine Leistungsgesellschaft gekennzeichnet. Das sind Trends, die auch das Leben von Erwachsenen in der Gegenwartsgesellschaft prägen“, sagt Ebner-Zarl.
Auf knapp 800 Seiten führt die Autorin die verstreuten Einzelergebnisse aus der Literatur zur Ausgestaltung von Kindheit in Geschichte und Gegenwart zusammen, verbindet sie mit theoretischen Konzepten der interdisziplinären Kindheitsforschung und vertieft sie mit einer eigenen empirischen Analyse zweier Casting Shows für Kinder. Entstanden ist damit ein Überblickswerk der neuen Kindheitssoziologie.

Social Media, Grooming, Mobbing, Werbung

Kennzeichen für die Mediatisierung ist u. a. dass Social-Media-Influencer*innen als Vorbilder und Identifikationsfiguren für Kinder eine große Rolle spielen. Kinder nutzen das Internet zudem immer früher und begegnen dabei auch Gefahren, etwa Cybergrooming, Cybermobbing, Sextortion, Revenge Porn oder Datenmissbrauch. Die Allgegenwart des Internets zeigt sich nicht nur im Internet of Things, sondern auch in einer speziellen Variante davon für Kinder: dem Internet of Toys, womit vernetzte Spielsachen gemeint sind.
„Kommerzialisierung von Kindheit äußert sich u. a. darin, dass Kinder intensiv als Zielgruppe der Werbeindustrie angesprochen werden, oft auf subtile Weise, die den Werbezweck verschleiert. Beispiele dafür sind Product Placement, In-Game Advertising, Influencer*innen-Marketing oder auch verdeckte Werbung über smartes Spielzeug“, erklärt Ebner-Zarl. Zu den Aktivitäten der Werbeindustrie gehört auch die verfrühte Ansprache von Kindern als Jugendliche bzw. das Fördern von ehemals jugendtypischen Verhaltensweisen und Konsumstilen bei Kindern.

Kompetenzförderung, Leistungserwartung, Burnout

Kinder sind laut Ebner-Zarl zunehmend in eine Leistungsgesellschaft eingebunden, die mit intensiver Frühförderung Kompetenzen von Kindern schon im Kleinkindalter und in verschiedensten Bereichen gleichzeitig optimieren will. „Kinder werden oft nicht als Kinder betrachtet, die im Hier und Jetzt Bedürfnisse haben, sondern mehr als künftige Erwachsene, die frühestmöglich auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes und auf Karrieren in Wirtschaft, Kultur und Sport vorbereitet werden sollen“, sagt Ebner-Zarl.
Die Motive seien meist gut gemeint und auf das Wohl der Kinder gerichtet, führten jedoch zu einer Zunahme von burnoutähnlichen Beschwerden wie Anpassungsstörungen und Depressionen schon bei Kindern und Jugendlichen.

Analyse von Casting Shows

Das Buch von Ebner-Zarl präsentiert die Ergebnisse ihrer Dissertation und liefert eine empirische Analyse von Kindheitsbildern in den Casting Shows „The Voice Kids“ und „Kiddy Contest“. Dazu entwickelte Ebner-Zarl Auswertungstechniken für audiovisuelles Material weiter und führt sozial- und filmwissenschaftliche Verfahren zusammen.

„In den Shows gibt es viele Stellen, an denen Kindliches, Jugendliches und Erwachsenes ineinander übergehen. In The Voice Kids etwa kommt die Professionalität vieler Kandidat*innen in Gesang und Bühnenpräsenz erwachsenen Musikstars gleich. Ihr hoher Schulungsgrad durch intensive Frühförderung, ihr eloquenter Ausdruck, ihre Kleidung und ihr Styling lassen fast vergessen, dass es sich um Kinder und junge Teenager handelt. Erst manche Brüche, wie zu Auftritten mitgenommene Stofftiere, erinnern bei genauem Blick daran. Umgekehrt zeigen Juror*innen und Moderator*innen sprachlich, in Kleidung, Styling und diversen Verhaltensweisen eine starke Nähe zu den Kandidat*innen. Die Jugendkultur als das Gemeinsame von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kommt deutlich zum Ausdruck.“, sagt Ebner-Zarl.

Entgrenzung und Zeitgenossenschaft

Aufgrund ihrer Befunde kommt Ebner-Zarl zum Schluss, dass Entgrenzung von Kindheit nicht ohne die Zeitgenoss*innenschaft von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gedacht werden kann. Das Konzept der differenziellen Zeitgenoss*innenschaft des deutschen Sozialwissenschaftlers Heinz Hengst versteht Generationen – vor allen Unterschieden zwischen ihnen – zunächst als Zeitgenoss*innen, die unter denselben Rahmenbedingungen leben.

Ebner-Zarls Arbeit kombiniert dieses Konzept mit dem Konzept der Entgrenzung: So kann Zeitgenoss*innenschaft die Entgrenzung von Kindheit anschieben. Beispiele sind die Überforderung von Kindern, wenn sie infolge von Kommerzialisierungstendenzen mit subtiler Werbung angesprochen werden, die sie entwicklungsbedingt nicht als solche erkennen können, oder die Erwartung an Kinder, als Teil einer Leistungsgesellschaft besonders rasch in ihrer Entwicklung voranzuschreiten. Umgekehrt können Entgrenzungstendenzen auch Zeitgenoss*innenschaft verbreitern, was sich an der allgemeinen Prägung der Gesellschaft durch die Jugendkultur zeigt.

Anwendbarkeit auch in Zeiten von Corona

Noch vor der Coronakrise verfasst, ist das im Buch entwickelte theoretische Konzept aber auch in der gegenwärtigen Situation aktuell.
„Auch in der Coronakrise sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene Zeitgenoss*innen in denselben grundlegenden Bedingungen. Dennoch können sich für Kinder in dieser Situation spezifische Entgrenzungen ergeben. Gerade in frühen Phasen der Pandemie wurden Kinder in den Medien sehr einseitig dargestellt – als Last für ihre Eltern und Risikofaktor für Ansteckung. Das kann für Kinder belastend sein. Auch manche entwicklungsbedingten Bedürfnisse sind in der Pandemie nur eingeschränkt erfüllbar. Nicht zuletzt wurde und wird pandemiebedingt die Mediatisierung von Kindheit weiter angeschoben und äußert sich z. B. in markant gestiegenen Bildschirmzeiten“, sagt Ebner-Zarl.

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