"Der Mörder stand vor der Tür"
Die Leiterin des Frauenhauses Maria Imlinger verabschiedet sich in den Ruhestand.
ST. PÖLTEN (pw). Maria Imlinger, seit 27 Jahren Leiterin des Frauenhauses St. Pölten, erzählt im Gespräch mit den Bezirksblättern was der Job für sie bedeutet, wie Frauen in Gewaltbeziehungen geholfen werden kann und wie das Verschwinden einer Frau sie bis heute beschäftigt.
BEZIRKSBLÄTTER: Sie sind seit fast drei Jahrzehnten im Frauenhaus. Inwieweit prägt einen das?
Maria Imlinger: Das ist schwer zu sagen. Mir war es wichtig, dass es ein Leben außerhalb der Arbeit gibt. Dass man die Dinge nicht mit nach Hause nimmt. Aber wenn eine Frau verschwindet, dann ist die Arbeit natürlich auf einen Schlag da. Gewalt ist etwas sehr Intimes. Man bekommt eine Sensibilität für Paare – wie die Beziehung aussieht.
Warum haben Sie sich damals für den Job entschieden?
Frauenthemen waren mir schon immer ein Anliegen und die Leitungsfunktion war interessant. Das Ungleichgewicht in der Gesellschaft ist die Grundvoraussetzung für Gewalt an Frauen. Für mich ist es wichtig, Frauen zu unterstützen, zu sehen, wie sie sich entwickeln, wenn sie Gewaltbeziehungen verlassen.
Welche Hilfestellungen kann das Frauenhaus geben?
Schutz und Sicherheit. Was die Frauen brauchen, lässt sich durch Gespräche individuell klären. Manche erzählen gleich zu Beginn ganz viel, andere brauchen Zeit. Die Frauen und Kinder sollen zur Ruhe kommen und die Chance haben, das Erlebte zu verarbeiten. Wir geben auch die nötigen rechtlichen Informationen. Im Durchschnitt sind die Frauen sechs Monate bei uns, manche bis zu einem Jahr. Frauen ziehen dann wieder aus, wenn sie gefahrenlos in ihr eigenes Leben zurück können.
Haben Sie das Gefühl, dass Gewalt gegen Frauen zunimmt?
Nein. Es gibt jetzt eine höhere Sensibilität, eine vordergründige Ablehnung gegen Gewalt. Da hat sich in den letzten 30 Jahren viel verändert. Auch die Männer sind "lernfähig": schwere Körperverletzungen sind weniger geworden. Dafür nimmt die sexuelle und psychische Gewalt mit ihren vielen Spielarten immer mehr zu.
Was war Ihr schlimmstes Erlebnis, an das Sie sich erinnern können?
Als eine Bewohnerin aus dem Haus verschwunden ist und sechs Wochen später tot in der Donau gefunden wurde. Sie hatte sich gerade ein Haus eingerichtet und wollte in ihr neues Leben starten. Es war von Anfang bis Ende eine schwierige Geschichte. Wir haben damals alles getan, um die Ermittlungen voranzutreiben.
Nach so langer Zeit im Wasser, konnten an der Leiche keine Spuren nachgewiesen werden. Das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft haben lange ermittelt, aufgrund der Umstände wurde es vermutlich als Selbstmord eingestuft. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass es kein Selbstmord war. Da sind noch viele Fragen offen.
Ein anderes Mal stand ein verurteilter Mörder vor unserer Tür und musste von der Polizei entfernt werden.
Was ist Ihr Plan für die Zeit im Ruhestand?
Alles, wofür bis jetzt keine Zeit war. Und nicht mehr vor neun Uhr aufzustehen.
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