Pfarrer Markus Gerhold
Zwischen Kickflips und Hostien

Frischer Wind in der evangelischen Kirche Steyr: Pfarrer Markus Gerhold. | Foto: Yvonne Brandstetter
6Bilder
  • Frischer Wind in der evangelischen Kirche Steyr: Pfarrer Markus Gerhold.
  • Foto: Yvonne Brandstetter
  • hochgeladen von Yvonne Brandstetter

Ein Pfarrer krempelt Steyr um. „Unkonventionell? Kommt auf die Perspektive an“, sagt Markus Gerhold

STEYR. Ein älterer Mann am Altar, teils unverständliche Liturgie, Predigten fernab von den Alltagsproblemen, die die Menschen beschäftigen. Das ist auch im Jahr 2020 noch ein Bild, das die Kirche in Europa prägt. In der evangelischen Pfarrgemeinde Steyr weht ein anderer Wind. Unter dem Motto „#dasistkirche“ will Markus Gerhold zeigen und vor allem vorleben, was Kirche noch so alles kann. Seit 2014 lebt er in der Eisenstadt, seit knapp einem Jahr ist er amtsführender Pfarrer. Und es hat sich einiges getan.

In der kleinen Landgemeinde Stainz in der Weststeiermark wächst Gerhold gemeinsam mit vier Geschwistern behütet auf. Der Vater ist evangelischer Pfarrer, die Mutter Apothekerin. „Wir sind im Pfarrhaus groß geworden“, erzählt der 32-jährige. Er wächst in einem liberalen und sozialen Haushalt auf. „Einmal hat eine afrikanische Pfarrerin bei uns gewohnt“, erinnert er sich. „Meine Mutter hat gerne Leute aufgenommen. Sogar einmal eine Alkoholikerin“. All das hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Das ist mein Bild von Kirche. Offen und lebensbejahend“.

In der Jugend ist Kirche nicht unbedingt ein Thema, andere Dinge rücken in den Vordergrund. „Mit etwas Negativem habe ich es aber nie verbunden“, stellt der Pfarrer klar. Nach dem Schulabschluss fällt die Entscheidung: Gegen ein Informationsdesign-Studiums in Graz und für das Studium der evangelischen Theologie in Wien - der einzigen Stadt in Österreich, wo ein solches angeboten wird. Der 17- jährige („ich kam mit 5 Jahren in die Schule und musste nicht zum Bundesheer“) wagte den großen Schritt aus der Landgemeinde in die Großstadt. „Es war schon beängstigend, aus dem gut behüteten Zuhause nach Wien“, gibt er zu. Dennoch: Gerhold packt die Liebe zur Hauptstadt. Neun Jahre verbringt er dort, jobbt stets neben dem Studium, lernt seine Frau Lisa kennen, heiratet. Eine Studienpause führt ihn zwischenzeitlich nach Neuseeland - eine besondere Erfahrung für den jungen Studenten.

Gerhold bei seiner Amtseinführung im September 2019. | Foto: Roger Morgan
  • Gerhold bei seiner Amtseinführung im September 2019.
  • Foto: Roger Morgan
  • hochgeladen von Yvonne Brandstetter

„Wichtig ist, was uns zusammenhält“

Erst gegen Ende des Studiums entscheidet sich Gerhold dafür Pfarrer zu werden, wird Vikar bei Friedrich Rössler in Steyr. Eine Stadt, die ihm keineswegs unbekannt war. „Meine Mutter ist in Steyr aufgewachsen, mein Großvater hat hier unterrichtet“, erzählt er. „Meine Frau kommt aus Ostdeutschland, da ist der Weg zu ihr nach Hause von Steyr aus nicht ganz so weit“, erklärt er seine finale Entscheidung hierher zu ziehen. Seit 2017 arbeitet er als Pfarrer gemeinsam mit Friedrich Rössler, im September 2019 übernimmt er schließlich als amtsführender Pfarrer die Gemeinde. „Friedrich hat mir vorgelebt, wie man Menschen, ungeachtet ihrem jeweiligen Hintergrund, unvoreingenommen begegnet. Für das und vieles andere bin ich ihm sehr dankbar.“, sagt er über seinen ehemaligen Lehrpfarrer.

Ein Thema liegt Gerhold besonders am Herzen - die Jugendarbeit, die in der evangelischen Projektpfarrstelle groß geschrieben wird. „In Steyr gab es vor Jahren eine große Jugendgruppe, die sind jetzt raus gewachsen. Ich habe deshalb anfangs gedacht, es wird nicht viel los sein. Doch es sind mittlerweile einige dazu gekommen, Beziehungen gewachsen und wir haben ab Herbst sogar eine neue Jugendreferentin. Ich würde mich freuen, wenn die Gruppe noch größer wird“, so der Pfarrer. Nebenbei unterrichtet Gerhold in der evangelischen Schule „Rose“ und bis vor Kurzem auch an der „ImPuls Schule“. Eine Erfahrung, die er nicht missen möchte. „Ich habe viel gelernt und es macht irre Spaß. Ich kann beide Schulen wärmstens empfehlen“. Auch im Altenheim sowie in der Justizanstalt Garsten gibt feiert Gerhold Gottesdienste. Ein wichtiger Aspekt seiner Arbeit.

Foto: Yvonne Brandstetter

Familie Gerhold ist angekommen in Steyr. Markus und Lisa leben heute mit ihren zwei Söhnen im Pfarrhaus. „Ich bin glücklich hier. Die Gemeinde ist toll und vielseitig, ausgeglichen und alle kommen gut klar - das ist das wichtigste. Als Pfarrer bringt man sich natürlich ein, kann vieles ermöglichen. Das wichtigste ist aber, dass man auch andere Meinungen stehen lassen kann“. Dass er das kann, beweist Gerhold in zahlreichen gemeinsamen Messen mit Kollegen der katholischen Kirche oder der Freikirche. „Ich habe keine Berührungsängste. Wir haben in Steyr eine großartige Ökumene, regelmäßige Treffen und verstehen uns auf einer persönlichen Ebene sehr gut.“ Und wenn es konträre Meinungen gibt? „Wir müssen nicht alles diskutieren. Als Protestant habe ich es auch leicht in der Ökumene, es gibt kein dogmatisches Lehramt und ich habe eine große Freiheit in meinem Arbeiten als Pfarrer.“

„Wir müssen politisch werden“

In der evangelischen Kirche Steyr ist jeder willkommen, ganz gleich woher er kommt und welche Geschichte er mitbringt. Davon zeugen auch regelmäßige Treffen mit Flüchtlingen im Gemeindehaus. Nicht jeder ist damit glücklich. „Eine Person wollte austreten, weil so viele Asylwerber da sind“, erzählt Gerhold. „Aber das ist für mich kein Thema. Kirche muss für jede*n offen sein. Als Christ kann ich gar nicht anders.“ 

Wie sie aussehen soll, die Kirche im 21. Jahrhundert, ist für Gerhold klar. „Kirche ereignet sich in der Gemeinde. Wir haben lange genug darauf gewartet, dass die Leute von selbst kommen und uns darauf ausgeruht. Das funktioniert nicht. Wir schaffen uns so selbst ab. Nicht den Glauben - aber die Institution“. Zentraler Punkt für ihn: Die Gemeinde darf nicht nur für sich selbst da sein, sondern muss auch nach außen aktiv werden. „Der Zweck kann nicht sein, mehr Mitglieder zu generieren. Unsere Aufgabe ist eine andere. Sie ist viel öffentlicher und auch politisch. Das müssen wir bewusst wahrnehmen“.

Auch hier schlägt dem jungen Pfarrer Gegenwind entgegen. „Es sind auch Leute ausgetreten, weil wir zu politisch agieren. Aber man muss raus gehen. Wir müssen eine Mahnstimme und ein Gegenmodell zur Ausgrenzung sein und sagen, wenn etwas nicht geht.“ Die Kirche befinde sich mitten in einem Transformationsprozess, sagt Gerhold. „Es gibt viele offene Pfarrstellen und ungelöste Fragen. Aber ein Veränderungsprozess ist im Gang. Viele Ehrenamtliche sowie Pfarrerinnen und Pfarrer, auch Leitungsverantwortliche arbeiten daran, aber die Institution Kirche hinkt noch hinterher. Diese Diskrepanz beschäftigt mich. Wir müssen mutig sein und Dinge verändern. Wir haben immer noch das Bild vom Ortspfarrer. Das System Volkskirche wird auf Dauer nicht haltbar sein. Wir überlegen uns also: wo können wir regionalisieren, mehr zusammenarbeiten, nicht nur innerkirchlich, auch überkonfessionell.“

Markus Gerhold bei seinem Lieblingshobby, dem Skaten. | Foto: Lolo Heiserer
  • Markus Gerhold bei seinem Lieblingshobby, dem Skaten.
  • Foto: Lolo Heiserer
  • hochgeladen von Yvonne Brandstetter

Ausgleich im Skatepark

Weiterführen möchte Gerhold in jedem Fall die Online-Gottesdienste, mit denen er während der Coronakrise gestartet hat. Wenn auch nicht mehr ganz so intensiv. „Es bräuchte mehr Ressourcen für Kirche im digitalen Raum“, stellt er klar. „Alles was bis jetzt passiert ist ehrenamtlich“. Und dennoch: Gerhold hat seinen Traumjob gefunden. „Pfarrer zu sein ist einer der schönsten Berufe der Welt. Man hat viel Freiheit in dem was man tut und man tut etwas sinnvolles. Man kann kreativ sein, gestalten und bekommt auch etwas zurück“.

In seiner Freizeit trifft man den Pfarrer vor allem an einem Ort häufig an: Im Skatepark. Skaten ist eine Leidenschaft, die den 32-jährigen schon seit über 20 Jahren begleitet. „Skateboarden ist ein Lebensgefühl, dass Menschen aus allen Teilen der Welt miteinander verbindet.“, sagt er. Neu dazu gekommen ist die Musik. Für die Jungschar beginnt er vor drei Jahren Gitarre zu spielen und findet Gefallen daran. „Ich kann zwar nur Schrumm-Schrumm Begleitung spielen, aber das dafür mit großer Freude.“ In den Gottesdiensten spielt Gerhold oft selbst Gitarre. Gesungen wird auf Deutsch und Englisch, Bekanntes, weniger aus dem Gesangsbuch, mehr aus dem Herzen.

Unkonventionell? Kein Wort, mit dem sich Gerhold beschreiben würde. „Das kommt doch auf die Perspektive an“, lächelt er. „Deshalb kann ich die Frage nicht beantworten. Es hängt ab von dem Maßstab, an dem man das misst. Ist dieser Maßstab das geprägte Bild vom Pfarrer, dann vielleicht. Im Blick auf meine Kolleginnen und Kollegen bin ich allerdings nicht unkonventionell. Auch nicht auf die katholischen Kollegen“. Ob es für ihn eine Grenze gibt - was ein Pfarrer darf, wie ein Pfarrer sein darf? „Bezüglich Äußerlichkeiten und Co. gibt es für mich keine Grenzen. Was wäre das für eine christliche Kirche, würde ich die ziehen“, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Doch“, wirft Gerhold nach kurzer Überlegung ein. „Eine Grenze gibt es. Und die ist die Wahrhaftigkeit. Wenn ich das nicht aus dem Herzen und wahrhaftig tue, dann bin ich nicht richtig für den Beruf.“

Anzeige
Foto: Cityfoto
8

Innovationen von morgen
"Lange Nacht der Forschung“ am 24. Mai

Unter dem bundesweiten Motto „Mitmachen. Staunen. Entdecken.“ bietet Oberösterreich bei der elften Auflage der Langen Nacht der Forschung 2024 (#LNF24) am Freitag, 24. Mai 2024 von 17 bis 23 Uhr ein breit gespanntes LIVE-Programm. In zehn Regionen in Oberösterreich laden rund 140 Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Technologiezentren und innovative Unternehmen dazu ein, einen Blick in die faszinierende Welt der Forschung zu werfen. Auf Entdecker:innen jeden Alters wartet ein...

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Steyr & Steyr-Land auf MeinBezirk.at/Steyr&Steyr-Land

Neuigkeiten aus Steyr & Steyr-Land als Push-Nachricht direkt aufs Handy

BezirksRundSchau Steyr & Steyr-Land auf Facebook: MeinBezirk.at/Steyr&Steyr-Land - BezirksRundSchau

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus Steyr & Steyr-Land und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du willst eigene Beiträge veröffentlichen?

Werde Regionaut!

Jetzt registrieren

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.