Was war das Massaker von Bleiburg und Viktring? Eine Rezension des Buches von Florian Thomas Rulitz.

(Das ist ein gespiegelter Text von meinem Projekt: http://www.anarcho.at)

Verwirrung, Chaos, ein Krieg ohne Fronten mit ständig wechselnden Koalitionen von unzähligen bewaffneten Gruppen unterschiedlichster politischer Ausrichtung und ethnischer Herkunft. Das war die schreckliche Realität, in der die Menschen auf dem Gebiet Jugoslawiens und seiner näheren Umgebung in der Zeit von 1941 bis 1945 leben mussten.
Der innerjugoslawische Bürgerkrieg war für fast ein halbes Jahrhundert ein totgeschwiegenes, ein unerwünschtes Thema im realsozialistischen Jugoslawien. Erst im Zuge der Demokratisierung des ehemaligen Jugoslawien, sie erreichte zuerst Slowenien, nach blutigen Konflikten in den 1990ern auch die meisten der anderen Teilrepubliken und Autonomen Gebiete, konnten die Gesellschaften in den verschiedenen Nachfolgestaaten beginnen, nicht frei von unterschiedlichst motivierter Verflachung und dem Versuch, die schrecklichen Geschehnisse für tagespolitische Zwecke zu missbrauchen, die Ereignisse, die Verbrechen, die Motive dieser und jener Bürgerkriegspartei, ohne die von oben verordnete einseitige Interpretation des Partisanenwiderstandes als ausschließlich gegen einen äußeren Aggressor und seine Unterstützer im eigenen Land gerichteten Befreiungskampfes, aufzuarbeiten.

Ähnlich verkrustet und eingefahren, wenn auch nicht durch ein einziges staatliches Dogma, wie es die titoistische Interpretation des Partisanenkampfes im zweiten Jugoslawien war, bedingt, sondern durch ein stillschweigendes, unbewusstes Übereinkommen zweier sich im ständigen Widerstreit befindlicher Weltanschauungen, einerseits des, zahlen- und organisationsmäßig viel stärkeren, institutionalisierten Deutschnationalismus, der in weiten Bereichen, die Gesinnung und das Personal betreffend, an die Zwischenkriegszeit und den Nationlasozialismus anknüpfte, andererseits der Nachfolger der OF (Befreiungsfront), der Organisation des Partisanenwiderstandes in Kärnten, die zahlenmäßig viel schwächer war und nur eine Minderheit der Kärntner Slowenen vertrat, war auch die Herangehensweise an den innerkärntner Konflikt zwischen deutschsprachigen Kärntnern und Kärntner Slowenen.
Dieser Konflikt beherrschte über weite Strecken die Tagespolitik in Kärnten und verstellte, durch seine emotionale Aufladung, die Politiker aller Couleur zum Wechseln von tagespolitischem Kleingeld verführte, in unheilvoller Weise die Sicht auf die dringenden wirtschaftlichen Probleme Kärntens, das immer stärker zu einem beschäftigungspolitischen Krisenraum, immer mehr zu einem Auswanderungsland wurde.
Die dogmatische Verflachung in Kärnten, von der beide der oben genannten Seiten profitieren, läuft auf die Gleichung hinaus: Slowene = Partisan.

Gegen Ende des Zeiten Weltkrieges kam es auf dem Staatsgebiet des heutigen Österreich, in Südkärnten, zu Vorkommnissen, in deren weiterer Folge sich die beiden von Tabus und Geschichtsklitterung geprägten Themenkomplexe, einerseits der innerjugoslawische Bürgerkrieg 1941 bis 1945, andererseits der innerkärntner Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen, gegenseitig beeinflussten.

Die Beeinflussung des innerkärntner Konfliktes durch den jugoslawischen Bürgerkrieg ist mein persönlicher Einstieg in die Thematik eines Buches, das der Kärntner Historiker Florian Thomas Rulitz im Rahmen seiner Dissertation verfasste und dessen zweite erweiterte Auflage im Frühjahr 2012 bei Hermagoras erschienen ist.
Rulitz wuchs in St. Margarethen im Rosental auf, das liegt bei Ferlach nahe der österreichisch-slowenischen Grenze, und stammt aus einer Familie, deren Mitglieder sich einerseits als Kärntner Slowenen, andererseits als Deutschkärntner deklarieren. Doch diese Einteilung wird der komplizierten, missverständlichen, oft auch widersprüchlichen Selbst- und Fremdidentifikation im Konflikt zwischen den Volksgruppen nicht gerecht:
Das Wort „Windischer“ ist eines der vielschichtigsten und bedeutungsschawngersten im Wortschatz der Kärntner Bevölkerung.
„Windischer“, das war in den Zeiten der Unschuld, vor dem Werden des deutschen, später des slowenischen Nationalismus und den Kämpfen, die diese beiden kollektivistischen Ideologien seit den Sechzigerjahren des 19. Jahrhuderts gegeneinander austrugen, die deutsche Bezeichnung für einen Menschen, der eine slawische Sprache sprach, in Kärnten also meist für einen Slowenen.
„Windischer“, so nennen manche, vorzugsweise alte, Menschen vom Land einen Angehörigen der slowenischen Volksgruppe.
Jemand, der sich nicht in der slowenischen Standardsprache, sondern im breitesten Dialekt unterhält und darüber hinaus, möchte er irgend etwas Technisches, irgend etwas Bürokratisches, Staatliches bezeichnen, auf das ihm nähere deutsche Vokabel zurückgreift, wird von vielen als „Windischer“ bezeichnet; das ist wohl die häufigste Verwendung des Begriffes.
Doch diese Harmlosigkeiten, die allesamt aus einer Zeit datieren, die keinen Nationalismus kannte, sind nur eine Seite des vielgebrauchten, aber auch vielgehassten Wortes „windisch“.
Nach der Kärntner Volksabstimmung 1920 versuchten Teile der Kärntner Landespolitik die slowenische Minderheit, übrigens damit internationales Recht brechend, offensiv zu assimilieren. Zu diesem Zweck bediente man sich, unter anderem, des Begriffes „windisch“. Der deutschnationale Historiker Martin Wutte stellte die These auf, dass sich die „Windischen“ in Kärnten in ethnischer Hinsicht von den Slowenen unterscheiden. Die Selbstbezeichnung „windisch“ wurde, neben ihren anderen Bedeutungen, zum Ausweis für eine „kärntentreue“ und „antislowenische“ Gesinnung.
Das alles ist „windisch“; und Florian Thomas Rulitz wuchs in einer Umgebung auf, in der sich einige seiner Verwandten als „Windische“, in welcher der vielen Bedeutungen auch immer, bezeichneten.
Doch die Tatsache, dass Rulitz inmitten des Konfliktes zwischen den beiden rivalisierenden Nationalismen (und auch inmitten von „Windischen“) aufwuchs, ist nur der eine Teil seiner Beweggründe für seine, von mir bei dieser Gelegenheit rezensierte, Doktorarbeit.

Durch die Erzählungen seiner Großelterngeneration wurde sich der geschichtsinteressierte junge Florian sehr früh der Ereignisse bewusst, die in den Maitagen des Jahres 1945 im südkärntner Raum, unter anderem auch mit einem Schwerpunkt auf die Umgebung Ferlachs, im Zuge des Erscheinens tausender antikommunistischer Flüchtlinge, statt fanden.
Diese Ereignisse sind in Kärnten witgehend aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden, oder, wenn vorhanden, so doch, weltanschaulich bedingt, stark verzerrt.

Was genau geschah in Jugoslawien in der Zeit zwischen 1941 und 1945?
Wie hängt das alles mit Kärnten zusammen?
Nach dem faschistischen Überfall auf Jugoslawien im April 1941 und der Besetzung und Aufteilung des Landes, sowie der Ausrufung des sogenannten „Unabhängigen Staates Kroatien“ (NDH) durch die bisher zwergenkleine faschistische Ustascha, der in Wahrheit in eine deutsche und eine italienische Einflusszone aufgeteilt war, brachen die im ersten Jugoslawien permanent schwelenden ethnischen Konflikte offen aus. In diesem Bürgerkrieg, der sich mit dem Befreiungskampf gegen die Besatzer in mannigfaltiger Weise überschnitt, kämpften, regional in völlig unterschiedlichen Koalitionen, gesamtjugoslawisch und königstreu eingestellte Tschetniks, kroatische Nationalisten, katholische Slowenen. Die jugoslawischen Kommunisten begannen erst mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 mit dem bewaffneten Widerstand gegen die Besatzer (die SU war bekanntlich bis zu diesem Zeitpunkt mit Deutschalnd verbündet).
Obwohl die von ihnen dominierte Partisanenbewegung revolutionär ausgerichtet war, versuchte man in den Randgebieten wie Istrien und Dalmatien und dem annektierten Oberkrain und der Untersteiermark seitens der Kommunisten erfolgreich auf die nationale Karte zu setzen.
Die Dominanz der Kommunisten innerhalb der Partisanenbewegung, ihre revolutionäre Gewalt, führte im traditionell katholisch-konservativen Slowenien zur Aufstellung von Bauernwehren, die, insbesondere durch die Deutschen nach der italienischen Kapitulation 1943 in der ehemaligen italienischen Provinz Laibach, zur Parisanenbekämpfung eingesetzt wurden. Seitens der Deutschen setzte man hier auf einen slowenischen Nationalismus, während das Slowenentum in den annektierten Gebieten Untersteiermark und Oberkrain vernichtet werden sollte.
Mit besonderer Grausamkeit wurden die ethnischen Konflikte im gemischt besiedelten Gebiet des NDH-Staates (vor allem Bosnien, aber auch die Krajina und Ostslawonien) ausgetragen. Die Ustascha verfolgte einen Kurs der Vernichtung des serbischen Volkes auf ihrem Hochheitsgebiet.
Dem entsprechend waren auch die Partisaneneinheiten aus Bosnien, der Krajina und Ostslawonien, meist ethnische Serben, für ihre Brutalität berüchtigt.
Als sich die deutschen Besatzer 1944 vom Balkan zurückzogen, setzte sich ein Treck von antikommunistishen Flüchtlingen (keineswegs ausschließlich Militäreinheiten, sondern sehr oft auch Zivilisten, die sich vor der Revolutionsgewalt der Partisanen fürchteten) in Richtung „Reich“ in Bewegung. Im Mai 1945 brachen die Flüchtlinge, gegen beträchtlichen Widerstand von Voraustruppen der Partisanen, in Kärnten ein, um sich den Briten zu ergeben und so der Rache der Partisanen zu entgehen.
Es ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig zu erwähnen, dass die zurückflutenden deutschen Heimkehrer von den Partisanen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht behelligt wurden.
Entgegen der deutschnationalen Deutung vieler Massengräber als Tötungsstätten deutscher Heimkehrer, richtete sich die Gewalt der Partisanen auf Kärntner Boden in den Tagen nach dem 8. Mai 1945 in den seltensten Fällen gegen Wehrmachtsangehörige, sondern hauptsächlich gegen innerjugoslawische Gegner, war also der Export des innerjugoslawischen Bürgerkrieges auf österreichisches Gebiet.
Das Nachweisen der vielfachen Umdeutung der Opfer, die es auch von Seiten der Partisanen gab (aus ermordeten antikommunistischen Flüchtlingen wurden gefallene Partisanen) ist nach meinem Dafürhalten das größte Verdienst von Florian Thomas Rulitz und seiner Arbeit; gerade auch in Hinblick auf die oben erwähnten innerkärntner Verkrustetheiten.

Rulitz' Buch, sein Titel lautet vollständig: „Die Tragödie von Bleiburg und Viktring. Partisanengewalt in Kärnten am Beispiel der antikommunistischen Flüchtlinge im Mai 1945“, versucht systematisch die Flucht der südslawischen Titogegner, waren sie nun Faschisten, wie die kroatishen Ustascha, waren sie königstreue Tschetniks, waren sie katholisch-konservative Slowenen, die Kämpfe im südkärntner Raum zwischen ihnen und nachrückenden Partisaneneinheiten, ihre Internierung und Auslieferung durch die Briten und ihre Ermordung auf langen Todesmärschen nachzuzeichnen. Der Kärntner Historiker sichtete und dokumentierte zu diesem Zweck eine Menge bisher unbekannter, besser: unbearbeiteter, Quellen, hauptsächlich aus dem Bereich der Pfarr- und Gendarmeriechroniken der von den Ereignissen betroffenen Ortschaften.
Anders, als die bisherigen Publikationen die Partisanengewalt in Kärnten betreffend, ist die Auswahl der Quellen und der dargestellten Ereignisse nicht selektiv-tendenziös auf eine kollektive Stigmatisierung aller Partisanen als weltanschaulich motivierte Mörder beschränkt.
Rulitz achtet in besonderer Weise darauf, der Vielschichtigkeit der Partisanenbewegung gerecht zu werden. Er weist unter anderem darauf hin, dass die meisten Morde an den antikommunistischen Flüchtlingen nicht etwa durch reguläre Partisaneneinheiten, sondern durch die Einheiten der Geheimpolizei (OZNA) im dirketen Auftrag der kommunistischen Spitzen der Partisanenbewegung begangen wurden.
Obwohl es zu vereinzelten Rachemorden kam, stand die planmäßige Ausschaltung der innerjugoslawischen Opposition bei den Vorkommnissen in Südkärnten im Vordergrund.

Wenn auch die Ereignisse rund um die antikommunistischen Flüchtlinge, ihre Abweisung durch die Briten und ihre Ermordung durch die Partisanen, in Österreich fast gänzlich unbekannt sind, so sind sie in Slowenien, vor allem aber im postjugoslawischen Kroatien von immenser Bedeutung für die Konstruktion einer nationalen Identität.
Es ist daher nur folgerichtig, dass nach den zwei Auflagen des Buches von Rulitz auf Deutsch, es wurden insgesamt 2.000 Stück gedruckt, eine kroatische Übersetzung in der Auflage von 10.000 Stück erschienen und eine slowenische Übersetzung in Arbeit ist.
Auch medial schlug die Erstveröffentlichung der Arbeit im Sommer 2011 hohe Wellen. Wobei sich gerade in der Rezeption dieses Buches einmal mehr die weltanschauliche Kontamination und Reflexhaftigkeit, durch die auch noch nach bald 70 Jahren die Auseinandersetzung mit dem Themenkomlex Partisanenwiderstand-Partisanengewalt geprägt ist, äußerte. Während man von seiten des institutionalisierten Deutschnationalismus nichts mit dem Buch anfangen konnte, da es die gewohnte Einseitigkeit bei diesem Thema vermied und deswegen nicht verwertet werden konnte, warf man Rulitz von seiten der Partisanenvertreter quasi vorbeugend rechtsradikale Gesinnung vor, ohne auch nur mit einem Wort auf den Inhalt seiner Arbeit einzugehen.

Link zur Arbeit: http://www.mohorjeva.at/shop/details/die_tragoedie_von_bleiburg_und_viktring/

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