Integrationsbericht 2020
Affenzeller: "Lehrende brauchen mehr Unterstützung"
Die Opposition ortet nach der Präsentation des Integrationsberichts dringenden Handlungsbedarf. Die Menschenrechtsorganisation SOS-Mitmensch bemängelt die fehlende Umsetzung der Empfehlungen des Expertenrats für Integration im Regierungsprogramm.
ÖSTERREICH. Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) hat am Dienstag die zehnte Ausgabe des Integrationsbericht präsentiert. Der Bericht wies erneut auf Problemfelder in der Integration der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Österreich hin. Auffällig ist ein schlechtes Ergebnis im Bildungsbereich – zwei Drittel der Kinder mit Migrationshintergund erreichen die Bildungsstandards im Lesen nicht. Gerlinde Affenzeller, Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation SOS-Mitmensch, erklärt im Gespräch mit den Regionalmedien Austria, dass es flächendeckende Ganztagsschulen brauche, um Sprachdefizite zu kompensieren. Zu diesem Schluss seien auch die Experten im Bericht gekommen. "Das ist aber nicht geplant und steht nicht im Regierungsprogramm". Expertenratsvorsitzende Katharina Pabel rät zu einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr für Kinder mit nichtdeutscher Umgangssprache. Das erhöhe sicher die Chancen der Kinder, "ist von der Regierung aber ebenfalls nicht geplant", so Affenzeller.
Wichtig sei es, die interkulturelle Kompetenz der Lehrer künftig zu stärken, so die Geschäftsführerin von SOS-Mitmensch. "Die Lehrenden geben viel und brauchen mehr Unterstützung", so Affenzeller. Es brauche eine Zusatzausbildung, was Deutsch als Zweitsprache anbelangt. Auch die Schulsozialarbeit müsse forciert werden. "Lehrerinnen sind derzeit für alles zuständig, dass geht einfach nicht." Notwenig sei ein Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit in Österreich. "Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass man eine Fremdsprache erst dann gut lernt, wenn man in seine Erstsprache gut beherrscht", gibt Affenzeller zu bedenken.
"Ehrenamt muss man sich leisten können"
Den Vorschlag der Integrationsministerin, ehrenamtliche Tätigkeiten für Zuwanderer zu forcieren, sieht Affenzeller kritisch: "Von Menschen, die zunächst gefordert sind, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, um Geld zum Überleben zu erwirtschaften oder eine Wohnung zu finden, kann man nicht verlangen Zeit zu finden, sich regelmäßig bei der Freiwilligen Feuerwehr zu beteiligen". Ein Ehrenamt auszuüben müsse man sich auch leisten können, so Affenzeller.
Wie der Bericht zeige, brauche es Maßnahmen und Förderung, "dann kann auch gefordert werden". Im Deutschkursbereich gebe es aber nach wie vor kein flächendeckendes Angebot. Affenzeller appelliert an die Regierung, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, "damit Integration vom ersten Tag an beginnen kann". Die Dauer der Ansuchen um Asyl seien nach wie vor zu lange. Menschen seien jahrelang zum Nichtstun verdammt und dürften keine Kurse machen. "Es wäre wichtig, dass Menschen nach zwei bis drei Monaten in diverse Programme einsteigen dürfen".
Opposition übt Kritik an Integrationsbericht
Auch die Opposition reagierte auf den Integrationsbericht am Dienstag kritisch. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl (FPÖ)sprach von einem "Problembericht". Arbeitsmarkt und Schulen würden die Überforderung zeigen, die durch die Massenzuwanderung entstanden sei. Österreich sei nach fast einem Jahrzehnt von Sebastian Kurz in der Bundesregierung eine „Problemzone Integration“, so Kickl. In der Regierung mit der FPÖ habe die ÖVP Verschärfungen im Zuwanderungs- und Integrationsbereich stets abgeblockt, vieles sei sofort nach dem Koalitionsbruch wieder zurückgenommen worden.
Die SPÖ forderte hingegen mehr Unterstützung für die Integration. „Das Aufzählen und Problematisieren von statistischen Zahlen ersetzt noch keine Integrationspolitik und keinen Einsatz für Teilhabe und Gleichstellung“, so SPÖ Integrationssprecherin Nurten Yilmaz. Gerade Arbeitnehmer mit Migrationsbiografie hätten im Lock-Down etwa in der Pflege oder als Erntehelfer das Land „am Laufen gehalten“, betont Yilmaz. Es brauche auf Bundesebene eine Politik, die die Interessen dieser Menschen vertritt und sie nicht nach Erstsprachen und Herkünften trennt und einzelne beschäme, so Yilmaz.
Die grüne Integrationssprecherin, Faika El-Nagashi fordert eine selbstkritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen des Integrationsberichts. Die Politik müsse Chancengerechtigkeit und Teilhabe ins Zentrum der Integrationspolitik stellen. So seien etwa 30,1 Prozent der in Wien lebenden Personen im wahlberechtigten Alter aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von der Wahl ausgeschlossen. Mehr als die Hälfte davon lebe schon zehn Jahre oder länger in Wien, viele seien in Wien geboren und aufgewachsen, so El-Nagashi.
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