Budgetstreit
Am Tag des Brexit: Kanzler Kurz stellt sich gegen EU
Bundeskanzler Sebastian Kurz, der sich stets darum bemüht, ein "guter" Europäer zu sein, geht mit der EU in Konfrontation. Er will keine Mehrbelastung für Nettozahler wie Österreich im neu zu definierenden EU-Finanzrahmen zulassen. Das kündigte er just am Samstag, an dem Tag, an dem Großbritannien aus der EU ausgestiegen ist, gegenüber Ö1 an.
ÖSTERREICH. Bei dem am 20. Februar in Brüssel stattfindenden EU-Sondergipfel zum Finanzrahmen 2021–2027 soll beschlossen werden, wie groß die künftigen EU-Haushalte sein sollen und wofür wie viel Geld ausgegeben wird. Der Gipfel ist der erste nach dem Ausscheiden Großbritanniens am 31. Jänner. Zugleich wird es auch der erste sein, an dem Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach seinem Comeback als Chef einer türkis-grünen Regierung teilnimmt.
Bei diesem Treffen wollen EU-Kommission, Europaparlament sowie die Mehrheit der EU-Staaten das EU-Budget um 1,11 Prozent erhöhen. Das EU-Parlament fordert sogar eine Erhöhung von 1,3 Prozent. Währenddessen will eine Gruppe von Nettozahlern, darunter Österreich, der EU nicht mehr als ein Prozent der Wirtschaftsleistung fürs Budget zugestehen (die größten EU Nettozahler waren im Jahr 2018 Deutschland und Dänemark, gefolgt von Österreich, Schweden, den Niederlanden und das Vereinigte Königreich).
Veto angekündigt
Kurz kündigte am Samstag Mittag in der Radiosendung Ö1 an, dass Österreich hier ein Veto einlegen würde: „Wir sind alles andere als alleine. Wir sind in einer Gruppe der fünf Nettozahler gut abgestimmt und haben hier eine klare Position.“ Allerdings verwies der Kanzler auch darauf, dass man noch „mitten in den Verhandlungen sei“: „Ich hoffe doch, dass wir einen neuen Vorschlag präsentiert bekommen, der dann hoffentlich auch für uns akzeptabel ist.“
Budgetkommissar Johannes Hahn (ÖVP) hingegen ist auf Linie des EU-Parlaments, auch wenn er "Verständnis für die Nettozahlerposition Österreichs" habe, wie er kürzlich betonte. Schließlich gehe niemand mit der Position in Verhandlungen, „was man alles bereit ist, mehr zu zahlen“.
Auch Köstinger kündigte Widerstand an
Zuvor hatte die für Landwirtschaft zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger im Gespräch mit RMA-Chefredakteurin in einer anderen Causa Widerstand angekündigt, nämlich, dass die Regierug die von der EU vorgesehenen Kürzungen des Agrarbudgets im Finanzrahmen 2021-2027 nicht hinnehmen werde. Der Verlust für Österreich: jährlich 110 Mio. Euro. Köstinger: "Für uns sind diese vorgeschlagenen Kürzungen inakzeptabel." Und weiter: "Wir werden sehr hart auf europäischer Ebene verhandeln und alles dafür tun, dass es zu keinem Minus kommt."
Geld für Sicherheit und Pflege hat Vorrang
In Bezug auf die anstehenden Budgetverhandlungen mit den Ressorts hielt Kurz in dem Interview auf Ö1 weiter fest, Investitionen in den Bereichen Pflege und Sicherheit locker machen zu wollen. „Natürlich gibt es Bereiche, wo wir mehr investieren werden“, sagte er. So werde es mehr Polizisten auf der Straße und Verbesserungen im Pflegebereich geben. In anderen Bereichen werde man so sparsam mit dem Steuergeld umgehen, dass es gelingt, keine neuen Schulden zu machen. Er sei optimistisch, dass die Budgetgespräche bis Ende März abgeschlossen sein werden.
Opposition reagiert sauer
Kritik an der Vetoankündigung von Kurz kam am Samstag von Oppositionsseiten. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) etwa gab zu bedenken, dass eine niedrigere Beitragsleistung „negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft oder die Kohäsionsmittel für die Mitgliedsländer“ haben würde. Dass die Bundesregierung einerseits fordere, keine EU-Mittel für die Landwirtschaft zu kürzen und gleichzeitig auf ein Prozent Beitragsleistung beharre, sei schwer argumentierbar, so Kaiser.
Für NEOS-Europasprecherin und EU-Abgeordnete Claudia Gamon ist diese Haltung „reiner Populismus“: „Ausgerechnet am Tag nach dem Brexit, der uns erinnern sollte, dass wir mit der EU keinen kurzsichtigen Populismus betreiben sollen, macht Sebastian Kurz genau das. Er droht gleich mit einem Veto, um Stimmung gegen die EU zu machen, obwohl die Verhandlungen erst im Laufen sind.“ Die EU-Sprecherin der FPÖ, Petra Steger, meinte wiederum, Kurz „widerspricht sich selbst“, da auch ein Beitrag von 1,0 Prozent mittlerweile „einem Anstieg um mehrere Millionen Euro“ in absoluten Zahlen entspreche.
Zur Sache:
Die Vertreter der 28 Mitgliedsstaaten wollen im heurigen Jahr rund 153,6 Milliarden Euro für Auszahlungen bereitstellen. Das entspricht einem Plus von 3,4 Prozent im Vergleich zum Haushalt 2019. Die Mittel zur Unterstützung des Beitrittskandidatenlandes Türkei würden um rund 85 Millionen Euro im Vergleich zu den ursprünglichen Planungen gekürzt.
Die Differenz zwischen Bruttobeitrag und Rückflüssen ergibt den Nettobeitrag eines Landes. Seit dem EU-Beitritt 1995 hat Österreich jedes Jahr aufgrund seines relativen Wohlstands mehr in den europäischen Haushalt einbezahlt als an Förderungen erhalten. Bedenkt man aber, dass sich Österreich durch die Mitgliedschaft allein durch den Wegfall der Zollkontrollen 1,7-4,2 Mrd. Euro pro Jahr erspart, rentiert sich der Status "Nettozahler".
Steiermark profitierte am meisten
Die gesamten Rückflüsse an Österreich betrugen im Jahr 2018 1,953 Milliarden Euro. Diese setzen sich aus EU-Mitteln unter für Landwirtschaft in Höhe von 1,24Milliarden Euro, für strukturpolitische Maßnahmen in Höhe von 180 Millionen Euro sowie 444 Millionen Euro
für “Wettbewerbsfähigkeit“ zusammen. Bei der Verteilung der EU-Struktur- und Investitionsfondsmittel auf Österreich 2014-2020 profitierte laut Wirtschaftskamer Österreich (WKO) das Bundesland Steiermark mit 130,648 Millionen Euro am meisten, gefolgt von Niedösterreich mit 122,775 Mio. Euro.
Quelle: Finanzierung der EU, WKO
Quelle: Europäische Union: Operative Haushaltssalden der Mitgliedsstaaten im EU-Haushalt im Jahr 2018
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
1 Kommentar
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.