Holocaust Gedenktag
Eine Flucht von Wien über Triest nach Shanghai
Gedenken an den Holocaust: 15.000 Juden überlebten auf ihrer Flucht von Wien über Triest nach Shanghai.
WIEN. "Es ist wichtig, am internationalen Holocaust Gedenktag nicht nur über das Böse zu berichten, sondern auch über Menschen und Länder, die geholfen haben, tausende Leben zu retten und sich bei ihnen dafür zu bedanken", erklärte Ariel Muzicant, Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im Italienischen Kulturinstitut anlässlich der Konferenz mit dem Titel "Wien-Triest-Shanghai - eine Gedenkreise".
Vielen sei gar nicht bekannt, dass sich rund 15.000 Juden, vor allem aus Wien, vor der Verfolgung durch die Nazis retten konnten, indem sie über Italien nach China flüchteten. "Sie gingen in Triest und Genua an Bord von Lloyd Triestino-Schiffen nach Shanghai, obwohl in Italien bereits Rassengesetze in Kraft waren, die jedoch nicht angewandt wurden. Damals war Shanghai der einzige Hafen der Welt, der den visafreien Zugang ermöglichte, und Lloyd Triestino bot Linienverbindungen mit seinen berühmten Transatlantikschiffen an", so Fabrizio Iurlano, Direktor des Kulturinstituts.
Zuflucht in Shanghai
Shanghai war internationales Protektorat und bis 1941 auch nicht vom chinesisch-japanischen Krieg betroffen. "Shanghai war eine prosperierende Stadt mit Industrie, Banken und kulturellem Leben. Es galt als Perle des Orients und es lebte dort bereits eine kleine, aber einflussreiche sephardische Gemeinde, die die Flüchtlinge aus Europa unterstützte", ergänzte Italiens Botschafter in Österreich, Stefano Beltrame, von 2014 bis 2018 selbst Generalkonsul in Shanghai.
Kein leichtes Leben im fernen Osten
"Wenn man sich die alten Fotos der nach Shanghai geflüchteten jüdischen Passagiere ansieht, glaubt man vielleicht, es sei eine luxuriöse Reise gewesen", erzählt Clemens Jabloner, Ex-Vizekanzler, Professor für Rechtstheorie an der Universität Wien und selbst Nachkomme jüdischer Flüchtlinge aus Shanghai. Das liege daran, dass sie ihre besten Kleider anhatten, oft mehrere übereinander, weil sie sonst nichts mitnehmen konnten.
"Mein Vater emigrierte 1938 über Genua nach Shanghai. Er hatte nichts, außer einem Smoking, guten Englischkenntnissen und er konnte Bridge spielen. Das verschaffte ihm Zutritt zur Bridgerunde an Bord. Damit konnte er sich sein mageres Reisebudget aufbessern."
Später eröffnete er gemeinsam mit einem Wiener Koch ein gut gehendes Kaffeehaus in Shanghai, das "Fiaker" und lernte dort Jabloners Mutter kennen. Ein Leben im Luxus sei das aber nicht gewesen. "Die sanitären Verhältnisse waren schwierig und auch mein Onkel starb wie viele Emigranten in Shanghai an einer Seuche."
Harte Strafen für Italiener
Die Lebensbedingungen in Shanghai verschlechterten sich mit dem Einmarsch der Japaner im Jahr 1941 noch weiter. Als Italien in den Krieg eintrat, strandete eines der Schiffe von Lloyd Triestino, das Conte Verde, das so viele jüdische Flüchtlinge gerettet hatte, in Shanghai. Am 8. September 1943 versenkte es sich selbst, um einer Kaperung durch die Japaner zu entgehen. Die japanische Reaktion war sehr hart: der Kommandant, die Matrosen und die gesamte italienische Gemeinschaft in China, einschließlich des Botschafters, wurden verhaftet und verbrachten zwei Jahre in japanischen Konzentrationslagern.
Auch sperrten die Japaner die jüdischen Flüchtlinge in ein Stadtgebiet, das zum letzten Ghetto der Geschichte wurde. Die Geschichte nahm jedoch ein glückliches Ende, da keiner der jüdischen Flüchtlinge aus Schanghai sein Leben verlor. Nach dem Krieg kehrten einige nach Österreich zurück, viele emigrierten nach Israel und andere in die Vereinigten Staaten.
"1946 kehrten meine Eltern nach Wien zurück, wo ich 1948 zur Welt kam", so Jabloner. Gesprochen wurde über das Exil daheim nur wenig. "Und wenn, hat mein Vater alles Traurige verdrängt und nur das Zauberhafte erzählt, für mich als Buben klang das unwirklich wie ein Abenteuerroman." Seine Großmutter, die ebenfalls in Shanghai überlebte, starb im Vorjahr mit 100 Jahren.
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