Stadt Wien als Auftraggeberin
Kein hitzefrei im Straßenbau?
Wenn die Tage am heißesten sind, werden in Wien die meisten Straßen asphaltiert. Wie steht es um den Hitzeschutz am Bau – und wer ist zuständig?
WIEN. Mit etwa 160 bis 200 Grad muss das flüssige Asphalt-Mischgut für den Straßenbau verarbeitet werden. Hinter dem Fertiger, der die Asphaltdecke auf die Erde aufträgt, hat es 42 bis 47 Grad, sagt Wolfgang Birbamer, Wiener Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft Bau Holz (GBH). Genau dort sind die Asphaltierer im Einsatz, um die Straßendecke noch einmal zu glätten: "Diese Menschen sind einer immensen Belastung ausgesetzt."
Der Straßenbau – sowohl der Abbruch als auch das Asphaltieren – zählt zu den heißesten Bautätigkeiten. Wenn dazu dann noch extrem heiße Temperaturen kommen, erhöht sich das gesundheitliche Risiko noch einmal. Hitze belastet den Kreislauf, kann Augen und Haut schädigen und durch die nachlassende Konzentration werden Unfälle häufiger. Deshalb haben sich Gewerkschaft und Arbeitgeber darauf geeinigt, dass am Bau ab 32,5 Grad im Schatten eine "Schlechtwetter-Regel" gilt: Ab dieser Temperatur können Bauarbeiter freigestellt werden. Sie bekommen für die nicht gearbeitete Zeit 60 Prozent ihres Lohnes, allerdings nicht vom Arbeitgeber, sondern aus der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse. Der Arbeitgeber hat also keine zusätzlichen Kosten – oder nicht unmittelbar, denn eine nicht termingerechte Fertigstellung der Bauarbeiten ist meist mit finanziellen Einbußen verbunden.
Zeitdruck ist groß
Und hier scheint es sich zu spießen: "Bei uns wäre das nicht möglich, es herrscht so ein Zeitdruck", sagt ein Arbeiter am Franz-Josefs-Kai, wo derzeit die Tunneldecke der U4 und danach die Fahrbahn saniert werden. In den Baugruben laufen Abdeckungsarbeiten, in einer wird gerade in der prallen Sonne geflämmt: "Dabei wird es extrem heiß, ob man das macht oder asphaltiert ist eigentlich auch schon egal." An hitzefrei sei aber trotzdem nicht zu denken, zu eng sei das Zeitkorsett, dass man sich mit der Auftragsannahme im Straßenbau anlegen müsse: "Es gibt hier so viele Unsicherheitsfaktoren und Dinge, die erst im Nachhinein sichtbar werden und Zeit fressen, der Termin muss aber trotzdem eingehalten werden." Die Pönalen beginnen meist am ersten Tag nach der Fristüberschreitung. Die Kollegen würden viel trinken und regelmäßige Schattenpausen machen – je nach Bedarf. Über eine zweite Baugrube ist ein Zelt als Beschattung gespannt worden.
Etwas weiter die Straße entlang, auf der Rossauer Lände, wird ebenfalls gebaut: Fahrbahnsanierung. Dank der hohen Bäume ist es eine teils schattige Baustelle, hier habe man es sehr gut getroffen, bestätigt ein Arbeiter. Hitzefrei gebe es zwar auch auf anderen Baustellen nicht, mithilfe der Gewerkschaft gebe es aber an heißen Tagen oft die Regel, dass eine Stunde früher begonnen und dann auch früher aufgehört werde. Das bestätigt die hier tätige Firma, Porr: "Wenn es die Rahmenbedingungen zulassen, geben wir dem Personal natürlich auch hitzefrei. Unterschiedliche Gegebenheiten – wie Bauherrenvorgaben, Terminpläne, Art der Tätigkeit, Ort der Leistungserbringung oder etwaige Störungs- und Gebrechensbehebungen - lassen hier oft keine einheitlichen Regelungen zur Vorgehensweise zu." Man setze auf Klimatisierung von Kran- und Fahrzeugkabinen, Verschiebung der Arbeitszeiten nach vorne, zusätzliche Pausen und persönliche Schutzausrüstung.
Hitzefrei-Regelung nicht immer umgesetzt
Die Hitzefrei-Regelung wird derzeit nur von etwa der Hälfte der Firmen umgesetzt, sagt die Gewerkschaft. Sie fordert gemeinsam mit der Arbeiterkammer deshalb eine gesetzliche Regel, einen Rechtsanspruch auf die Freistellung: "Die Regelung ist überlebenswichtig. Wir werden Auftraggeber und Arbeitgeber da nicht aus ihrer Verantwortung entlassen", sagt GBH-Bundesvorsitzender Josef Muchitsch. Es gab in diesem Jahr bereits einen Bauarbeiter in der Steiermark, der an einem heißen Tag nach einem Kollaps auf der Baustelle gestorben ist. Dass eine Vereinheitlichung angebracht wäre, zeigen auch Fälle, die die Arbeiterkammer bearbeitet: Etwa jener von Milan Z., dem es an einem Hitzetag plötzlich schlecht ging; der aber vom Chef zum Weiterarbeiten angewiesen wurde. Er fuhr trotzdem mit den Öffis zum Krankenhaus, wo die Diagnose Herzinfarkt gestellt wurde.
Nicht jeder heiße Tag ist übrigens ein potenzieller Hitzefrei-Tag: 2019 wurde der Wert 15 Mal gemessen, 2020 gar nicht. Meist wird die Temperatur erst am Nachmittag von der ZAMG gemeldet, bei einem Arbeitsbeginn um 5 Uhr wurde da auf der Baustelle oft bereits acht Stunden gearbeitet. Es geht also um stundenweise Baustopps, "bei zehn Tagen bin ich also um 30 Stunden später fertig", rechnet Birbamer vor.
Bei der Stadt "an der falschen Adresse"?
Die Stadt Wien ist als Auftraggeberin für besonders viele sommerliche Straßenbaustellen verantwortlich. Juli und August, wenn die Stadt leerer ist, ist für gewöhnlich jene Zeit, in der an Verkehrsknotenpunkten gebaut wird. Ob dort "hitzefrei" gegeben wird, weiß man bei der Stadt allerdings gar nicht: "Das ist die Sache unserer Auftragnehmer, sie sind verantwortlich für ihre Mitarbeiter", heißt es aus der Abteilung für Straßenbau. Sollten Baufirmen durch "hitzefrei" in Verzug geraten, gibt es von der Stadt auch keine Kulanzfrist: "Das ist nicht üblich." Vielmehr wird vertraglich festgehalten, dass sich die Gesamtleistungsfrist bei Behinderung durch Schlechtwetter nicht verlängere. "Unsere Bauvorhaben sind bis jetzt immer termingerecht fertiggestellt worden. Wie das die Firma macht, ist ihre Sache. Wenn sie hitzefrei gibt, ob sie dann etwa mehr Personal anstellt oder so – das ist nicht unsere Angelegenheit", heißt es dazu von der Abteilung Straßenbau. "Absurd" nennt es die Sprecherin noch, wenn extra in die Ferien gelegte Bauvorhaben nicht rechtzeitig fertig würden.
Bei den Wiener Linien, heuer durch den U-Bahn-Bau als Auftraggeber besonders präsent, verhält es sich ähnlich: "Wenn wir selbst Bauherr sind, verlegen wir die Arbeitszeit nach vorne", so eine Sprecherin, "beschäftigen wir aber Subunternehmen, ist es in deren Verantwortung, diese Frage zu lösen und trotzdem termingerecht fertig zu werden – etwa mit zusätzlichem Personal." Auf den verkehrswirksamen Baustellen herrsche aber immer ein immenser Zeitdruck.
Beidseitige Verantwortung
Liegt es also allein in der Verantwortung der Baufirmen, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter und Konsequenzen von Bauverzögerungen abzuwägen? Könnte die Stadt als eine große Auftraggeberin von Bauvorhaben hier nicht einwirken? Doch, das wäre möglich, meint der auf Vergaberecht spezialisierte Rechtsanwalt Berthold Hofbauer: "Das Gesetz sagt, dass im Vergabeverfahren Maßnahmen zur Umsetzung sozialpolitischer Belange berücksichtigt werden können." Das heißt, dass Aufträge nicht nur nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis vergeben werden dürfen, sondern dass die öffentliche Hand darüber hinaus fordern könnte, dass arbeitsrechtliche Standards wie die Umsetzung der Hitzeregelung auf ihren Baustellen eingehalten wird. "Es muss dann allerdings auch kontrolliert werden und eine Strafe bei Nichteinhaltung geben", sagt Hofbauer. Schützenhilfe von den Auftraggebern würde sich Gewerkschafter Birbamer wünschen: "Das wäre eine faire Sache, wenn man das in den Auftrag hineinschreibt."
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