Psychische und sexuelle Gewalt
Täter*innen nach der Trennung - Tipps

Lebe ich in einer toxischen zwischenmenschlichen Beziehung oder Partnerschaft und werde von meinem/meiner Partner*in chronisch psychisch, körperlich oder sexuell gewaltvoll behandelt, so nehme ich im Laufe der Zeit den/die Täter*in in mein Inneres hinein, ich verinnerliche ihn/sie also.

Es bilden sich dann neue schädliche, maligne oder Täter*innen-loyale Ich-Zustände, die sogenannten „Ego-States“, die ich hier umgangssprachlich als „innere Täter*innen“ oder „Täter*innen-States“ bezeichne. Innere Täter*innen können mich massiv unter Druck setzen, mich mit Angst, Schuldgefühlen, Panik, Ohnmacht und Hass überfluten und mich handlungsunfähig machen. Ich fühle mich dann unsicher, hilflos und stark beeinträchtigt.
Viele Menschen, die sich aus einer toxischen Partnerschaft gelöst haben, berichten, dass sie in den Wochen und Monaten nach der Trennung noch immer Angst haben, ihrem/ihrer Expartner*in zufällig über den Weg zu laufen, sich im selben Stadtviertel oder in der Nähe des Wohnumfeldes des Täters/der Täterin aufzuhalten. Mitunter entstehen auch qualvolle Phantasien, dass der/die Partner*in in der Nähe sei, beobachte, stalke etc.
Ich beziehe mich in diesem Artikel auf verinnerlichte Täter*innen. Bei realer, äußerlicher Verfolgung, bei Drohungen, bei Stalking und manifester physischer und sexualisierter Gewalt bedarf es im Sinne der äußeren Sicherheit immer auch der strafrechtlichen Verfolgung, d.h. der Exekutive. Ein*e Täter*in, die/der die Grenzen und die rote Linie überschreitet, muss die Konsequenzen seine dissozialen Verhaltens vehement zu spüren bekommen. Wer nicht hören will, muss fühlen, und die Staatsgewalt ist oft das Einzige, was Täter*innen ohne Empathie die Kante gibt und einschüchtert, sodass die Gewalt nicht eskaliert.

Subtiler ist es, wenn wir, wie oben beschrieben, die Täter*innen in unser Inneres hineinnehmen. Diesen Abwehrmechanismus der menschlichen Psyche bezeichnet die Psychoanalyse als „Identifikation mit dem/der Aggressor*in“. Er stellt einen wichtigen Selbstschutz dar, indem er kurzfristig unser psychisches Überleben sichert: Wenn wir uns mit dem/der Täter*in identifizieren und inneres Victim-Blaming betreiben, dann fühlen wir uns nämlich kurzfristig leichter, handlungsfähiger und weniger ausgeliefert. Auf längere Sicht betrachtet schaden uns diese inneren Täter*innen aber, weil wir dann tatsächlich überzeugt sind, die schlechte, missbräuchliche und vergiftende Behandlung zu verdienen und nicht-liebenswert zu sein.
Sobald Täter*innen verinnerlicht werden, spreche ich von „toxisch“ bzw. „vergiftend“. Ohne Verinnerlichung bin ich dagegen, diese Begriffe inflationär zu verwenden.
Ein Beispiel: Mein*e Partner*in manipuliert immer wieder Schuldgefühle, weil er/sie selbst zur Eifersucht neigt und nicht erwachsen-konstruktiv damit umgehen kann, wenn ich mich mit guten Freund*innen treffe. Ich verinnerliche im Laufe der Zeit meine*n eifersüchtige*n Partner*in und es bildet sich ein eifersüchtiger Ich-Anteil (Ego-State) aus. Der Feind ist dann sozusagen in den eigenen Reihen. Ich habe dann trotz körperlicher und emotionaler Treue Angst und Schuldgefühle, wenn ich mich mit guten Freund*innen treffe, und mein*e eifersüchtige*r Partner*in ist innerlich immer bei mir, spricht abwertend zu mir, macht mir Schuldgefühle und Angst.

Wie kann ich mich von inneren Täter*innen distanzieren?

Psychische Gewalt, die wir erst im Erwachsenenalter erfahren, hinterlässt in der Regel keine Traumafolgestörungen. Jedoch kann es zu seelischen Wunden und Verletzungen kommen, die das Leben und zukünftige Partnerschaften belasten und unnötig schwer machen. Es gibt einige wirksame Methoden aus der Traumatherapie und der ACT, der Akzeptanz- und Commitment-Therapie.
Spüre ich etwa Hilflosigkeit, Angst und Schuldgefühle und mein*e innere*r Täter*in ist innerlich ganz nah, dann kann ich mir den/die Täter*in imaginieren bzw. visualisieren. Ich kann mir den/die Täter*in dann kleiner vorstellen oder ihn lächerlich machen.
Ein Beispiel: Frau Z. hat auch Jahre nach der Trennung immer wieder starke Angst vor ihrem brutalen Expartner, der sie vergewaltigt und sie dann beschuldigt hat, dass sie die schwere sexuelle Gewalt doch auch selber wollte. Als sie sich das innere, belastende Bild dieses Mannes aus der Distanz vorstellt (sie macht dazu das innere Bild ganz klein und legt es dann mittels der Methode der Visualisierung auf den kleinen Bildschirm eines Smartphones) verwandelt sich ihre Emotion von Angst und Schuldgefühlen zu Wut und Empörung. Sie stellt sich nun vor, wie die Polizei den Täter festnimmt, ihn zu Boden drückt, demütigt und ihn dann an den Pranger stellt. Zudem muss der Täter einen Badeanzug und Schwimmflügerl tragen. Menschen, die vorbeigehen, bewerfen den Täter mit faulen Tomaten, bespucken ihn oder kotzen ihn an.
Diese Imagination verschafft Frau Z. Entlastung, Erleichterung und innere Sicherheit. Zugleich macht Frau Z. die wertvolle Erfahrung, dass sie die Kompetenz in sich trägt, innere bedrohliche Bilder des Täters kleiner zu machen und zu entgiften. Auch erlebt sie nun, dass sie berechtigte Wut und Empörung spürt, weil ein anderer Mensch so gewalttätig mit ihr umgegangen ist und lernt noch dazu, dass ihre Wut Raum hat und sie konstruktiv (mittels Imagination) mit ihrer Wut und ihrem Bedürfnis nach Rache und Vergeltung umgehen kann. Die Wut hilft ihr zudem, ihren Selbstwert besser zu spüren und macht die vom Täter manipulierten Schuldgefühle erträglicher. Frau Z. erfährt nun, dass sie selbstwirksam ist und über innere Stärken und Ressourcen verfügt, welche ihr vorher zu wenig bewusst waren.

Imaginationen, Visualisierungen, Rachephantasien u.v.m. sind alles gute und wesentliche Bausteine, wenn es darum geht, sich von inneren Täter*innen zu entgiften. Allerdings handelt es sich bei diesen Methoden nicht um Allheilmittel, sondern es bedarf eines Prozesses aus Zeit, innerem und äußerem Halt sowie innerer und äußerer Sicherheit. Dabei ist auch Geduld gefragt, denn es kann schon ein Jahr dauern, bis die seelische Wunde sich vom Gift gereinigt hat. Auch psychologische Hilfe, Beratung, Begleitung und Psychotherapie können sehr sinnvoll sein, weil ein professionelles Gegenüber Hilfestellung, Entlastung, Zeugenschaft und methodische Kompetenzen anbieten kann.

Wege und Methoden, um sich von belastende inneren Bildern und inneren Täter*innen zu lösen sind:

- die Erinnerung an schöne, sichere Zeiten
- die Vorstellung meines Lieblingsortes oder Wohlfühlortes, an dem ich mich ganz sicher und geborgen fühle
- der Gedanke an all jene Menschen, die mich lieben, annehmen und unterstützen
- die Imagination innerer Helfer*innen und Beschützerinnen
- die Bildschirmmethode, mittels derer ich mir innere Täter*innen und belastende Erinnerungen wie auf einem kleinen Bildschirm vorstelle
- das Rescripting: Ich schreibe dabei eine belastende, gewaltvolle Erinnerung zu einer positiven Phantasie um (etwa indem ich den/die Täter*in bestrafe, demütige, ihn verprügle, ihm meinen Ekel ins Gesicht speie, ihn/sie zur Verantwortung ziehe oder andere innere Helfer*innen das für mich tun).
- die inneren Täter*innen laut oder innerlich anzuschreien
- Gefühlen wie Wut, Empörung, Angst, Schuldgefühlen Raum zu geben und diese Emotionen radikal zu akzeptieren
- Impulsen nach Vergeltung, Rache am/an der Täter*in Raum zu geben und dann nach einem konstruktiven Umgang mit diesen Impulsen zu suchen
- einen Brief der Empörung und der Wut an den/die Täter*in zu schreiben, den ich dann in der Regel nicht absende (manchmal kann dies allerdings im Einzelfall sehr wohl sinnvoll sein, wenn ich etwa nach emotionalem Missbrauch langfristig das Gefühl habe, dass ich es mir selbst und dem/der Täter*in schuldig bin)

Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut
(Logotherapie und Existenzanalyse)

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