Fortsetzung: Vertrieben (31)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Die Tage sind heiß und schwül hier im Tiefland der March. Mit Sehnsucht denkt Muttl an die frische Bergluft daheim. Zum Glück müssen wir tagsüber nicht in den Baracken bleiben. Das wäre wohl qualvoll gewesen. Hinter unserer Baracke treffe ich auf die alte Frau Dorner (nicht verwandt mit unseren Hausleuten) mit der kleinen Ulrike im Kinderwagen. Die Mutter ist mit der älteren Tochter Helga am Bahnhof von Hodulein aussortiert und verschickt worden. Die fünf jüngeren Kinder aber, Harald (11 Jahre), Ilse (6 Jahre), die vierjährigen Zwillinge Hansi (eigentlich Helmut) und Gerhild und Ulrike, der sechsmonatige Säugling sind mit ihrer Großmutter in das Lager gekommen. Die Kleine bekommt Kaffee aus dem Fläschchen. Mir fällt auf, dass Ulrike so still ist und im Gesicht so gelb aussieht. „Die sieht aber gar nicht gut aus“. „Gelt, ja, meinst du das auch“? Frau Dorner wird ganz lebhaft. „Und gestern hat mir noch jemand gesagt, der Kleinen scheine es gut zu gehen“.

Am nächsten Tag ist Ulrike tot. Wie hätte sie auch überleben sollen? Es gibt keine Milch für die Kinder. Sie muss zu den ersten Kindern gehört haben, die im Lager ums Leben kamen. Keines der unter Zweijährigen hat den Lageraufenthalt überlebt.

Einige unserer Frauen lassen sich mit Männern von der Wachmannschaft ein. Dies wird zwar verurteilt, doch ihr Verhalten bringt Nutzen für uns. So setzen sie sich mit Erfolg für die Bennischer ein. Von unserer Baracke heißt es, in ihr gehe es am menschlichsten zu. Zu Quälereien ist es hier nicht gekommen. Die Tschechen beschützen uns Frauen sogar vor den Russen. Eines Abends draußen lautes Krachen und Poltern. Was ist los? Betrunkene Russen sind es, die erfahren haben, dass es hier junge Frauen in Menge gibt. In größter Angst lauschen wir alle. Gleich wird man die Tür aufstoßen und die Russen werden sich über uns hermachen.

Doch die Tschechen führen die Russen in einen Raum, wo nur sehr alte Frauen untergebracht sind. Es sind keine Bennischer Leute. Meist sind es reichsdeutsche Frauen, einige aus Berlin. (Reichsdeutsche sind den Tschechen eher noch verhasster als die Sudetendeutschen.) Die Wachleute machen den Russen weis, hier gäbe es nur alte Frauen. Enttäuscht ziehen die Russen ab. Bald darauf werden die meisten der Alten, darunter eine über 80-jährige Blinde, von den Tschechen erschossen. Besonders grausam ist, dass dies in zwei Raten an aufeinander folgenden Tagen geschieht und der zweiten Gruppe, die Bescheid weiß, dadurch eine quälend lange Todesangst auferlegt wird.

Doch auch wir anderen leben in dauernder Angst. Auf alles steht Todesstrafe. Einmal rutsche ich eine Metallplatte hinab, die irgendwo angelehnt steht. Sie gerät knatternd ins Schwingen. Ein bewaffneter Tscheche kommt angerannt und brüllt auf mich ein. Verstehen kann ich nichts. Aber „Todesstrafe“ ist sogleich mein Gedanke.

Wachtürme stehen am Lagergelände, einer ganz in der Nähe von unserer Baracke. „Betreten bei Todesstrafe verboten“. Doch das stimmt nicht. Noch einigen Wochen steigen wir doch hinauf und nichts passiert uns. Von oben sieht man den Bahnhof und kann erkennen, wie heimkehrende Soldaten sogleich von den Tschechen festgenommen werden. In der Ferne sieht man die Domtürme. “Dort sitzt der Bischof! Er ist Bischof auch von uns Deutschen! Warum setzt er sich nicht für uns ein? Weiß er denn nicht, was hier in seiner Nähe geschieht“? Ach, auch die tschechische Kirche hat sich ganz von uns abgewendet!

Fortsetzung folgt

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