Fortsetzung: Vertrieben (48)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Es ist Ende Februar 1946, als Adelheid und ich mit Tante Rosi vom Oberdorf zurück kommen. Tante Rosi hat die Heiders in ihrem Häusl besucht. Beim Häusl stoßen wir auf den Endler Heinrich und den Franzi. Manches ist auf dem Endler Hof anders geworden. Tonangebend ist jetzt die junge Frau Endler, der Mutter vom Franzi. Bisher war sie vom Schwiegervater und der Schwägerin eher „unten gehalten“ worden. Ihr Mann ist gefallen und sie ist Tschechin. Jetzt hat sie ihr Tschechentum wiederentdeckt und sie spricht nur noch tschechisch mit ihrem Franzi. Ich höre noch, wie der 5-jährige Bub (auf mohrauerisch) kläglich jammert: „Mami, was sagst du. Ich kann dich gar nicht verstehen“. (Ich finde damals, Frau Endler sei böse geworden. Doch in Wirklichkeit ist sie in einer schwierigen Lage. Dass sie einen Deutschen geheiratet hat, hätte für sie gefährlich werden können.) Wir wissen, Franzi wird nicht vertrieben. Er darf mit seiner Mutter in Mohrau bleiben. „Franzi, du wirst uns bestimmt vergessen“. „Nein, nein“, beteuert der Kleine, ganz bestimmt niemals“.

(Natürlich hat der Franz uns vergessen. Er lebt immer noch in Mohrau und hat deutsch vollständig verlernt. Bei unseren späteren Mohrau-Besuchen haben Adelheid und ich Frau Endler immer besucht. Sie ist stets freundlich und ausnehmend nett zu uns Killians gewesen. Immer hat sie uns gut bewirtet und als wir 1964 erstmals nach der Vertreibung Mohrau besucht und keine sonstige Unterkunft gefunden haben, haben wir sogar in ihrem Haus übernachtet. Sie hat Fotos vom Franzi und uns beiden aus ihren Sachen hervor gekramt und uns geschenkt. Die hatte vor vielen Jahren unser Vater aufgenommen und ihr gegeben. Später hat sich auch heraus gestellt, dass Frau Endler - später Wavrova, weil sie noch einmal geheiratet hat – aus eigenem Antrieb unser Mohrauer Grab gepflegt und geschmückt hat.)

Am Rückweg hinter den Häusern treffen wir auf eine Gruppe von sieben Buben, alle aus einer Familie. Was treiben die nur? Fasziniert schauen Adelheid und ich. Sie bauen eine riesige Schneeburg, eigentlich eine Schneesiedlung mit mehreren Häusern. Es dauert nicht lange, da haben wir uns mit den Buben vertraut gemacht und helfen beim Bauen mit. Und nun gehen wir täglich hin und sind mit den Jungen begeistert und eifrigst am Werk. Da gibt es runde und eckige Häuser und sogar einen mehrstöckigen Turm. Dessen Stockwerke sind durch Bretter (mit Durchschlupf) voneinander getrennt, der „Keller“ liegt eingetieft über dem Grund der ein bis zwei Meter hohen Schneedecke. Auch die Dächer bestehen aus Brettern, über die Schneeziegel gelegt werden. Die Wände bauen wir aus Schneequadern ganz wie die Eskimos. Der Firnschnee ist so fest, dass man leicht geformte Würfel und Quader mit dem Spaten ausstechen kann.

Ach, wie sind wir stolz auf die Bauwerke. Nur etwas Angst haben wir, dass Nachbarskinder sie überfallen und zerstören könnten (was teilweise auch einmal geschehen ist). Einen kleinen Nachbarjungen, den David Ernst, locken wir eines Tages in den Keller des Turms, verschließen den Zugang und lauschen von aussen. Was wird der Kleine wohl tun? (Ein etwas grausames Experiment). Doch der Bub weint nicht. Nur „Mami, Mami“ hat er ganz kläglich gesagt. Da lassen wir ihn heraus.

Viktor lutscht dauernd an Eiszapfen und isst Schnee. „Viktor, du sollst das nicht machen. Du wirst krank werden. Der alte Schnee ist schmutzig“. Umsonst die Ermahnungen. Kaum hat sich Muttl umgedreht, schwupps, Viktor hat schon wieder eine Handvoll Schnee in den Mund gesteckt.

Eines Morgens Ende Februar: Ich wache auf. Merkwürdig! Warum liege ich mit Adelheid und Viktor zusammen im Doppelbett und nicht in meinem? Dort liegt jetzt jemand anderer drin, ganz versteckt unter der Decke. Wer ist das? Wer ist der Fremde? Wir tuscheln miteinander, beobachten, fast haben wir Angst. Wir schauen und schauen. Da rührt sich der Fremde, macht „Hm, hm“. Die Stimme kommt uns bekannt vor. Wieder „Hm, hm“, das klingt so lustig, das klingt nach Roswitha. Der „Jemand“ lugt unter dem Bettzipfel hervor. „Roswitha, Roswitha“! jubeln wir laut und laufen zu ihr. Jetzt ist sie wieder bei uns. Am Abend vorher, als wir Kinder schon schliefen, ist sie nach Mohrau zurück gekehrt. So viel gibt es nun zu erzählen.

Fortsetzung folgt

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