Eine Investition in die Zukunft der Industrie

Ein Round-Table-Gespräch bei der                                         Firma Sebring mit Industrievertretern, Betreuern und Lehrlingen. | Foto: Symbol
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  • Ein Round-Table-Gespräch bei der Firma Sebring mit Industrievertretern, Betreuern und Lehrlingen.
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Bei Sebring in Voitsberg trafen sich Vertreter der weststeirischen Industrie mit einigen Lehrlingen zu einem „Round-Table-Gespräch.“

Die Industrie braucht gut qualifizierte Lehrlinge. War das auch in der Wirtschaftskrise der Fall?
Angelika Kresch: Nach zwei schwierigen Jahren haben wir wieder eine erfreuliche Situation, die steirische Industrie hat sich extrem gut erholt. Wir haben die Arbeitslosenzahlen um zehn Prozent gesenkt, in Wien sind sie um 1,5% gestiegen. Aber wir haben auch im Jahr 2009 Lehrlinge aufgenommen. Nicht so viele wie gewohnt, aber trotzdem. Während die Gesamtzahl der steirischen Lehrlinge in den letzten zehn Jahren um 4,3% zurückging, ist jene der Industrie um 12,1% gestiegen.

Also alles in bester Ordnung?
Kresch: Nein, es gibt eine bittere Pille. Wir bekommen nicht genügend qualifizierte Lehrlinge. Wir erwarten keine perfekten Fremdsprachenkenntnisse, sondern dass die Lehrlinge Kopfrechnen können, ein Gefühl für Zahlen haben, Rechtschreiben und sinnerfassend lesen können. Das ist leider sehr oft nicht der Fall, daher brauchen wir dringend eine Bildungsreform.
Im Bezirk Voitsberg haben wir das Glück, seit 2006 den Ausbildungsverbund Metall zu haben. Seit diesem Zeitraum wurden 86 Lehrlinge ausgebildet und erhielten Zusatzqualifizkationen.
Adolf Kraus: Wir brauchen viel mehr Unterstützung der Schulen, die PISA-Studie ist kein Schmäh. Wir von Stölzle Oberglas haben wieder volle Auftragsbücher, aber auch wir brauchen dringend qualifizierte Lehrlinge. Die Schulen sollen das Interesse für die gewerblichen Berufe mehr wecken.
Karl Kasper: Mädchen müssen überzeugt werden, in typische Männerberufe zu gehen. Der Girls Day setzt da um eine Schulstufe zu spät an, wir bieten mit den Neuen Mittelschulen schon für die 13-jährigen Burschen und Mädchen Schnuppertage an. Bei Remus gibt es drei weibliche Lehrlinge im technischen Bereich. Eine große Schwierigkeit war und ist es, Eltern davon zu überzeugen, dass Mädchen auch in technischen Berufen erfolgreich sein können.
Nathalie Kobos: Durch den Berufsfindungstag stieß ich auf den Lehrberuf Werkzeugtechniker. Das ist eine sinnvolle Sache. Außerdem war Stricken nie meine Sache, ich wollte mit Werkzeug arbeiten. Für meine Eltern, vor allem für meinen Vater, war es ein Schock, dass ich bei Remus lernen wollte. Meine Mutter wollte, dass ich beim Hofer zu lernen anfange. Ich mache nebenbei die Berufsmatura, Deutsch habe ich schon absolviert. Mir macht die Lehre großen Spaß.
Michael Waldhaus: Mir gefällt es, bei Sebring als Werkzeugbautechniker ausgebildet zu werden, die Arbeit im Team ist klasse. Von Frau Kresch gibt es finanzielle Zuckerln für den Lehrabschluss.
Kresch: Wir haben jetzt tüchtige Lehrlinge, aber wir haben auch schon danebengegriffen. 98% der Jugendlichen sind voll in Ordnung. Viele machen dann die Berufsmatura, zwei Drittel davon mit ausgezeichnetem oder gutem Erfolg.
Kraus: Der ABV Metall hat viel dazu beigetragen, dass wir gut ausgebildete Lehrlinge haben, denn wir selbst haben keine Lehrwerkstätten. Im Tagesgeschäft wäre das auch unmöglich zu bewerkstelligen. Beim ABV lernen sie nicht nur das Stoffliche, sondern auch Soziale Kompetenz. Sie lernen Firmen zu präsentieren, es entsteht so eine Art Competition unter den Lehrlingen der einzelnen Firmen, auch unter den Ausbildnern. Jeder ist voll motiviert.
Anja Wipfler: Ich habe im Jahr 2006 die HAK-Matura gemacht und wollte nicht ins Büro. So habe ich 14 Tage geschnuppert und entschied mich für die Alternative Industrie als Betriebselektrotechnikerin. Von meinen Schulkolleginnen ging die Hälfte studieren, die andere heiratete und bekam Kinder.
Auch ich kann nur sagen, dass die ABV-Ausbildner immer wieder schockiert über die Bildungskenntnisse der Jugendlichen sind. Keine Rechtschreibkenntnisse, keine Allgemeinbildung, sogar keine Kenntnis der Subtraktion und der Multiplikation.
Kresch: Der Industrie kostet ein Lehrling rund 90.000 Euro in der Ausbildung. Das ist viel Geld, aber wir brauchen Fachkräfte. Das Schöne ist, dass 80% der Lehrlinge fünf Jahre nach der Lehrabschlussprüfung immer noch im gleichen Betrieb sind. Wir reichen den Schulen nicht eine Hand, sondern beide Arme. Seit fünf Jahren geben wir den Volksschulen Experimentierboxen, damit die Kinder spielerisch mit Chemie, Physik und Mathematik umgehen lernen. Doch das Lehrpersonal traut sich nicht drüber. Daher wünschen wir uns als Industrie, dass die Handhabung dieser Boxen in den offiziellen Weiterbildungsplan aufgenommen werden. Und ich wünsche mir ein Umdenken im Elternhaus, denn zwei Drittel der Mädchen wollen immer noch Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau oder Friseurin werden. Wir kommen in der Industrie aber nicht ohne Mädchen aus, wir müssen die Hemmschwelle für die technischen Berufe senken.
Kasper: Notwendig ist es, die Schüler frühzeitig zu informieren, in den polytechnischen Schulen ist das oft schon zu spät. Die Industrie erwartet sich Flexibilität bei Schnuppertagen in den Schulen.
Wipfler: Das Vorurteil, dass Mädchen keine „schweren“ Berufe erlernen sollen, ist hartnäckig. Aber es sind nicht alle Burschen stark. Und wenn ich körperliche Hilfe brauche, habe ich sie immer noch bekommen.
Kresch: Die Industrie hat Interesse daran, dass die Lehrlinge die Matura machen, wir übernehmen auch Kosten und stellen Zeit zur Verfügung.

Was passiert, wenn sich in den Schulen nichts ändert?
Kresch: Der Worst Case ist, dass wir Kräfte aus dem Ausland holen oder als Betrieb auswandern müssen, weil alles nicht mehr finanzierbar ist.

Fakten:
Industriebeschäftigung und Lehre in der Steiermark – Zahlen und Fakten:
• Arbeitsmarkt
Veränderung der Arbeitslosigkeit im Jahr 2010
Steiermark: – 10,9 %
Österreich: – 3,7 %
Wien: + 1,5 %
• Jugendliche und Lehrlinge
Veränderungen seit dem Jahr 2000
Zahl der 15-Jährigen in der Steiermark: – 10,1 %
Zahl der Industrielehrlinge in der Steiermark: + 12,1 %
Zahl aller Lehrlinge in der Steiermark: – 4,3 %
• Lehrlingsaufnahme Steiermark 2010
Industrielehrlinge im ersten Lehrjahr: 735
Im Vergleich zu 2009: + 6,2 %
• Behaltequote in der Industrie
5. Jahr nach der Lehrabschlussprüfung: mehr als 80 %
• Investitionen für die Lehrlingsausbildung in der Industrie: rund 90.000 Euro pro Lehrling

Lehrberufe:
Die häufigsten 10 Lehrberufe
in der steirischen Industrie:

1. Maschinenbautechnik 602
2. Zerspanungstechnik 274
3. Mechatronik 216
4. Metalltechnik (versch. Schwerpunkte) 199
5. Elektrobetriebstechnik 156
6. Werkzeugbautechnik 143
7. Industriekaufmann/-frau 109
8. Produktionstechniker/-in 108
9. Elektromaschinentechnik 80
10. Elektrobetriebstechnik mit dem Schwerpunkt Prozessleittechnik 77

Rund 700 offene Lehrstellen gibt es in der Industrie steiermarkweit. Auf www.woche.at finden Sie den Link zur Lehrlingsdatenbank – geben Sie im Such-Fenster einfach die Webkennzahl 32820 ein.

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