Im Handgepäck: Schlafanzug und Zahnbürste

Sandra Krautwaschl hat ihre Eindrücke als Übernachtungsgast im SOS-Kinderdorf niedergeschrieben. | Foto: SOS-Kinderdorf
  • Sandra Krautwaschl hat ihre Eindrücke als Übernachtungsgast im SOS-Kinderdorf niedergeschrieben.
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Nicht nur 'darüber reden', sondern mitreden können: Grüne-Politikerin Sandra Krautwaschl ist seit Beginn des Jahres steiermarkweit unterwegs, um verschiedene Sozialeinrichtungen zu besuchen und Erfahrungen zu sammeln.
Kürzlich machte die Dreifach-Mama Halt im SOS-Kinderdorf Stübing. Bei einer Stippvisite in einer Wohngemeinschaft für Kinder von sechs bis 14 Jahren blieb es jedoch nicht, denn Krautwaschl verbrachte die Nacht im Kinderdorf. Im Handgepäck: Schlafanzug und Zahnbürste.
Ihre Eindrücke und Gedanken hat sie niedergeschrieben (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des SOS-Kinderdorfs Stübing):

„Es bringt mir unglaublich viel, direkt und 'mit allen Sinnen' erleben und lernen zu können, wie die Arbeit für Menschen, die im Moment oder auch für lange Zeiträume, in Ausnahmesituationen oder durch langfristige, strukturelle Benachteiligung einfach Unterstützung brauchen, funktioniert. Entsprechend gespannt war ich auch auf die speziellen Herausforderungen der Arbeit im SOS-Kinderdorf. Da ich selbst Mutter von drei (teilweise nun schon fast erwachsenen) Kindern bin, habe ich erwartet, dass mich die Geschichten der Kinder und Jugendlichen dort besonders berühren werden. Aber es war letztlich nicht nur dieser persönliche Aspekt, der mich zutiefst beeindruckt hat – es war tatsächlich auch und besonders die gesellschaftliche und nicht zuletzt die politische Dimension der Sache. Kinder, die, aus welchen Gründen auch immer, das Wichtigste nicht haben – eine Geborgenheit und Sicherheit gebende Familie oder familienähnliche Struktur –, werden hier aufgefangen.

Das ist nicht nur Arbeit für diese Kinder, das ist Arbeit für uns alle, für das Selbstverständnis einer Gesellschaft, die sich bewusst ist, dass jeder Mensch einmal Hilfe brauchen kann und dass jeder Mensch diese Hilfe verdient. Perspektiven für diese Kinder sind letztlich also immer auch Perspektiven für uns alle.
Was ich konkret erlebt habe, war ein wunderbarer Badetag am Schwarzlsee, gemeinsames Lasagne und Tiramisu Kochen am Abend, Haare waschen, ein paar kleinere emotionale Ausbrüche, Fernsehabend, eine dramatische Suche nach einem vermissten Handy, Neugierde und natürlich auch ein bisschen Misstrauen der Kinder mir gegenüber, unglaublich viel Geduld, Zuwendung und Konsequenz der BetreuerInnen, eine wahnsinnig beeindruckende Diskussion mit einem 14-jährigen Bewohner der WG über seine Zukunftswünsche, Gesellschaft und den Glauben an sich selbst, und eine Nacht voller berührender und aufwühlender Gespräche, nach der es sehr schwer gefallen ist, am nächsten Tag zu Mittag wieder nach Hause – in mein eigenes Leben – zu fahren.
An diesem Punkt möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass mein 14-jähriger Gesprächspartner (er wird im September 15) sehr intensiv nach einer Lehrstelle sucht und alle, die dazu eine Idee oder einen Tipp haben, ermuntern, sich bei mir zu melden!

Viele Geschichten, die ich von oder über die Kinder gehört habe, machen traurig, sind eigentlich unfassbar – umso mehr, wenn ich an meine eigenen Kinder denke, und daran, welche vergleichsweise Kleinigkeiten sich da oft schon zu kleinen Tragödien auswachsen. Die Kinder im Kinderdorf können nicht – oder jedenfalls nicht dauerhaft – bei ihren Eltern sein. Für die betreuenden PädagogInnen ist es eine riesige Herausforderung, den Aufbau von Beziehung, Vertrauen, aber auch Konsequenz und Klarheit, aber auch die Begleitung der Kinder in allen Lebenssituationen und vor allem nach teilweise schwierigen Elternkontakten im wechselnden Dienst bestmöglich zu bewerkstelligen. Damit das gelingen kann, braucht es eine sehr gute Abstimmung und genügend Austausch der PädagogInnen sowie ausreichend Zeit zum Reflektieren und natürlich auch für die persönliche Psychohygiene. Gerade in der Arbeit mit diesen Kindern ist es von besonders großer Bedeutung, dass der betreuende Personenkreis möglichst stabil bleibt.

Um die Ressourcen für all das aufzustellen und zumindest auch hin und wieder einen besonderen Wunsch der Kinder zu erfüllen, ist das SOS-Kinderdorf nach wie vor auch stark auf Spenden angewiesen. Egal, ob es um Kleidung (die fast ausschließlich gespendet wird) oder diverse Aktivitäten geht – ohne Spenden, wäre hier vieles nicht oder nur schwer möglich. Gespart muss trotzdem überall werden: Ein 12-jähriges Mädchen, das ich kennengelernt habe, hatte schon seit mehreren Jahren den sehnlichsten Wunsch, an einem Sommerreitcamp teilzunehmen – nun war es heuer, nach jahrelangem Sparen, endlich möglich.

Die Kinder lernen dadurch zwar etwas, was ich durchaus auch als 'Wert' ansehe: 'Es ist nicht alles selbstverständlich – man muss sich Dinge, die man haben möchte auch erarbeiten oder ersparen', aber aufgrund ihrer ohnehin schon außergewöhnlichen und schwierigen Ausgangssituationen, nehmen sie das natürlich oft auch als zusätzliche Benachteiligung war. Umso schöner ist es, wenn dann einmal etwas Besonderes möglich gemacht wird. Und umso wichtiger ist es vor allem, dass das, was für die meisten unserer Kinder tatsächlich selbstverständlich ist – Geborgenheit, Sicherheit, Unterstützung und vertrauensvolle Beziehungen – in hohem Ausmaß gegeben wird.

Ich habe an diesen zwei Tagen im Kinderdorf erlebt, dass hier gut ausgebildete Menschen mit großem Engagement, Liebe und Konsequenz für die Kinder sorgen. Und ich durfte viele schöne, eine paar traurige und auch viele lustige und unbeschwerte Momente mit den Kindern erleben. Das muss einer Gesellschaft nicht nur 'etwas wert' sein, es ist eigentlich der größte Wert, den eine Gesellschaft zu bewahren hat. Und das gilt, für mich, einfach ausnahmslos für alle Kinder, die hier bei uns sind. Denn eine Sache ist mir in diesen zwei Tagen im Kinderdorf noch klarer als bisher geworden: Es ist absolut fahrlässig, es widerspricht jeglicher Vernunft und vor allem jeder Menschlichkeit, dass es in der Steiermark immer noch (soweit mir bekannt als einziges Bundesland) Großunterbringungen für minderjährige Flüchtlinge gibt, die in keiner Weise dem entsprechen, was sie aufgrund ihres traumatischen Fluchterlebens wohl ganz im besonderen Ausmaß brauchen würden. Ich hoffe sehr, dass der Appell, den meine Landtagskollegin Sabine Jungwirth erst unlängst an die Landesregierung gerichtet hat, hier nun endlich Wirkung zeigt.

Danke an alle, die mir diese Hospitation und einen so beeindruckenden Einblick in diese schöne und herausfordernde Arbeit ermöglicht haben, und danke vor allem auch an die Geschäftsleiterin Susanne Maurer-Aldrian für das angenehme und ausführliche Gespräch!“

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