Kultur kurios: Warum Bücher?
Menschliches Wissen geht schneller verloren als man meist für möglich halten möchte. Was nicht dokumentiert ist, stirbt mit den Menschen, die sich damit befaßt haben. Selbst dokumentierte Details werden oft erst verständlich, wenn sie jemand sachkundig erläutert.
Diese Art der Vergeßlichkeit hat übrigens schon Sokrates kommen gesehen, als die Schriftkultur aufkam; so berichtete Platon. Damit wären nun zwei Seiten dessen erwähnt, was Bücher ausmacht. Sie machen uns vergeßlich und sie erhalten Wissen.
Das ist heute eine perfekte Option, denn die unermeßliche Menge von verfügbaren Informationen in unserer Kultur verlangt genau das. Wir müssen vergessen können, den Kopf freibekommen, und wir möchten Wissen erhalten können.
Im Schatten großer Medienkonzerne sorgen engagierte Menschen in kleinen österreichischen Verlagen dafür, daß zu einzelnen Themenschwerpunkten gefährdetes Wissen nicht verloren geht. Nach wie vor sind Bücher sehr stabile, langlebige Informationsspeicher.
Ich besitze noch drei Zoll-Disketten aus den 1980ern, die ich heute mit keinem meiner Computer mehr lesen kann. Aber ich habe wunderbare Bücher, die sind über hundert Jahre alt und werfen kein solches Problem auf.
Bücher sind nicht bloß verläßliche Informationsspeicher, sondern auch sinnliche Gegenstände, manche davon mit eigentümliche Schönheit ausgestattet. Ist man durch seine Interessen auf Fachbücher angewiesen, die komplexe Themen in Text und Bild bereit halten, hat man es meist mit Werken zu tun, deren tatsächliche Kosten sich auf dem Markt nicht erwirtschaften lassen.
Damit meine ich, sie verlangen in Summe mehr Arbeit, als über den Buchverkauf bezahlt werden kann. Ein aktuelles Beispiel ist die frische „Geschichte der Puch-Fahrräder“ (Weishaupt Verlag) von Walter Ulreich und Wolfgang Wehap. Müßten auch nur einige der Arbeitsstunden abgegolten werden, dank derer die beiden Autoren ihre Kompetenzen erwarben, um die aufwendige Recherche zu schaffen, was danach eine umfangreiche Bearbeitung von Texten und Bildmaterial verlangte, der Verkaufspreis des Buches wäre viel zu hoch.
Nun soll das Werk aber nach dem Schreiben noch redaktionell betreut, gestaltet und produziert werden. Damit nicht genug, die weit mühsamere Arbeit des Verlages ist schließlich der Vertrieb und die Sorge dafür, daß das Buch lange verfügbar bleibt. Nein, das ist mit keinem Buchpreis, den Fans bezahlen würden, zu schaffen.
Landesübliche Autorenhonorare kommen kaum über zehn Prozent vom Verkaufspreis eines Buches hinaus. Bei dreißig bis 50 Euro pro Buch müssen demnach eine Menge Exemplare über den Ladentisch, daß zwei Autoren zu halbwegs einem Brutto-Honorar kommen, welches nach Abzügen der nötigen Steuern und Sozialabgaben einen recht bescheidenen Nettobetrag ergibt.
Wissens- und Kulturarbeit in den Nischen unserer Geschichte kann also nicht einträglich sein und ist schon gar nicht auf attraktive Art marktfähig. Auch Thomas Karny und Matthias Marschik werden nach der ersten Abrechnung für "Autos, Helden, Mythen. Eine Kulturgeschichte des Automobils in Österreich“ (Verlagshaus Hernals) keine Feste feiern können, denn was immer der schöne Band einspielt, muß durch zwei geteilt und ferner dem Finanzamt unterworfen werden.
Im Verlag Brüder Hollinek konnten für die aktuelle Ausgabe von „Österreichische Automobilgeschichte“ gleich drei erfahrene Autoren verpflichtet werden: Hans Peter Lenz, Martin Pfundner und Hans Seper. Das reich illustrierte Buch drückt nur einen Bruchteil der Arbeit aus, die hinter diesem Informationsangebot steht.
Was ich Ihnen hier erzähle, ist die erstaunliche Kombination von bezahlter und unbezahlter Arbeit, in der Enthusiasmus und betriebswirtschaftliches Denken zusammenfinden müssen. Bedenken Sie, was Ihr Beitrag zum Erhalt dieser Kräftespiele ist, wenn Sie für manche Werke einen Ladenpreis von 50, 80 oder mehr Euro in Kauf nehmen.
Das berührt eine Kategorie der Collaborative Commons, wie sie etwa Jeremy Rifkin im Zentrum nächster Entwicklungen unserer Wirtschaft sieht. Geistiges Allgemeingut, das im Kollektiv erarbeitet wid.
Es ist engagierte Wissens- und Kulturarbeit, in der uns dieses radikale 20. Jahrhundert mit seinen davor nie da gewesenen Entwicklungssprüngen begreiflicher macht, denn solche Rasanz und Dichte ist in der Menschheitsgeschichte neu.
Wir leben seit rund 200 Jahren in einer permanenten technischen Revolution, die uns derzeit Richtung „Industrie 4.0“ führt, in eine Vierte Industrielle Revolution, die uns zwingen dürfte, den Großteil unserer Ansichten von Broterwerb, Weltwirtschaft und Kultur neu zu denken.
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