Gertraud Klemm: "An 'Herzmilch' habe ich über drei Jahre geschrieben"

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BEZIRKSBLÄTTER: Gertraud Klemm, als Sie 2005 Ihren Beruf als Biologin aufgaben, hatten Sie ein erklärtes Ziel: einen anspruchsvollen, humorvollen und feministischen Roman zu schreiben und in einem guten Verlag zu veröffentlichen. Jetzt ist „Herzmilch“ im renommierten Literatur-Verlag Droschl da. Sind Sie am Ziel Ihrer Träume?

GERTRAUD KLEMM: Natürlich bin ich sehr glücklich. Aber das heißt bei weitem nicht, dass ich nun „erfüllt“ oder „fertig“ bin. Schreiben ist mein Beruf. Ich habe immer geschrieben, Tagebuch, Erzählungen, Prosa-Texte, auch sehr viel Mist. An „Herzmilch“ habe ich über drei Jahre lang geschrieben, von 2009 bis 2012, danach kam die Verlagssuche. Es gab wie immer Absagen, aber Droschl hat zugesagt. Es ist ein Grazer Literatur Verlag, was gut ist, ich kenne einige Autorinnen in Graz, ich mag die Stadt und die Szene dort sehr.

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit dem Verlagslektor gestaltet?
Es war viel Arbeit. Rund 100 Seiten Text sind wieder gestrichen worden, zum Beispiel alle lyrischen Passagen. Das wäre zu viel gewesen.

Ihr Stil fällt mir auf als sehr pointiert, exakt, ja direkt ausgefeilt, sind Sie eine schreibende Tüftlerin? Haben Sie einen Plot und verfolgen Sie den akribisch? Oder überlegen Sie sehr lange bei den Formulierungen?
Ich habe verschiedene Arbeitsmethoden probiert. Bei „Herzmilch“ hatte ich natürlich einen Plot, aber es war die Figur, die mich von sich aus in den Text hineingetrieben und alles umgeworfen hat. Am besten kann ich schreiben, wenn ich mich drei, vier Tage komplett zurückziehen kann. Da kommt es dann eruptiv, wie von selbst. Andere Teile wieder stammen aus Tagebüchern oder früheren Texten, sind Versatzstücke.

Die Ich-Erzählerin erscheint mir als eine unglückliche Figur im Zentrum eines zornigen Textes und ich erkenne auch das kleinstädtische bürgerliche Milieu von Baden darin wieder.

Natürlich enthält die Geschichte zum Teil Autobiografisches, vor allem zu Beginn. Da würde ich es als eine Art kollektive Biografie bezeichnen, bzw. eine Milieustudie einer Umgebung, die mir sehr vertraut ist. Doch die Protagonistin wurde immer selbständiger, sie scheiterte zunehmend in eine vermeintliche Kleinstadtidylle hinein. Es kam so weit, dass ich als Autorin verzweifelt versucht habe, sie zu retten. Aber es ist mir nicht gelungen. Sie stirbt quasi im Paradies ab. All der Zorn, der sich nach außen richten könnte, implodiert, während sie funktioniert.

Dieses Scheitern an einer Gesellschaft, die Männern nahezu alles und Frauen immer noch sehr wenig erlaubt – ist das nicht eher post-feministisch, quasi die Retourkutsche an die Aufbruchbewegung der 1980er-Jahre?

Postfeministisch? Ich würde eher sagen prä-feministisch. Also dieses Buch zeigt, wieviel Feminismus es noch brauchen würde. Schauen Sie nur meine Generation an, der ja auch die Ich-Erzählerin entstammt. Wo sind die Frauen dieser Generation an den wirklich wichtige Hebeln der Politik, in der Wirtschaft? Was ist seit Dohnal passiert? Diese Frauengeneration hat viel verloren. Und was mich besonders betrübt, ist die spürbare Ablehnung junger Frauen auf frühere Feministinnen und den Feminismus im Allgemeinen. Wahlrecht, das Recht auf Bildung, Familienrecht, körperliche Selbstbestimmung, „Kleinigkeiten“ wie Recht auf eine eigene Kredikarte etc. – alles wurde schwer erkämpft, und die Profiteurinnen hört man nie Danke sagen.

Wie sind Sie selbst denn zum Feminismus gestoßen, im bürgerlichen Baden?
In erster Linie über Literatur, Simone de Beauvoir, Doris Lessing, Sylvia Plath – es war die Literatur von Frauen, die mich zur Fachliteratur geführt haben. Und da war natürlich Brigitte Schwaiger. Ihr „Wie kommt das Salz ins Meer?“ hat mich mit 15 literarisch geweckt. Sprachlich wurde das Buch meine Ikone, und inhaltlich ein Lehrstück an abschreckender Frauenbiografie. Ich bewundere sie sehr, durch eine glückliche Fügung stolperte sie über einen Text von mir und so traten wir in Briefkontakt. Ihr habe ich auch das Buch „Herzmilch“ gewidmet. Sie wurde eine Art Mentorin, leider hat sie sich das Leben genommen, ehe ich sie einmal persönlich kennenlernen konnte.
Später, als ich als Studentin in Wien gelebt habe, waren es feministische Studienkolleginnen, die mir weitere Denkanstöße, oft recht provokante, geliefert haben. Die mir alternative Lebensmodelle aufgezeigt haben. Jetzt lerne ich viel von Frauen die in den 50ern geboren wurden. Die haben sich noch viel mehr erkämpfen müssen und oft ein größeres feministisches Bewusstsein als die Frauen meiner Generation oder danach.

Ist „Herzmilch“ für Sie nun ein eher positiv oder negativ besetzter Begriff? Im Text beschreiben sie sie an einer Stelle so: Das Herz darf nicht so weich sein, weil sonst die Männer und die Kinder das Herz in die Faust nehmen und es drücken. Heraus kommt die Liebe, die nie genug sein kann...
Ich glaube, es kann aufwertend und abwertend verwendet werden. Es ist eine Metapher für diese aufopfernde, unbezahlte Liebe und Zuwendung für Kinder und Alte, dieses Selbstverständliche. Diese Liebe ist wichtig, kommt aber oft von weiblicher Seite, was bedeutet, dass Frauen halt nebenbei so schlecht erfolgreich und unabkömmlich sein können. Dabei könnte diese Zuwendung von Männern auch kommen. Männer, die sich darauf einlassen und in Karenz gehen etc. profitieren laut eigenen Angaben sehr davon. Ich denke, es wäre ein Gewinn für die Gesellschaft, wenn der Altruismus gerechter dosiert wäre. Um sich aufzuopfern braucht es weder Milchdrüsen noch eine Gebärmutter.

Die Männer kommen nicht gut weg in Ihrem Buch. Besonders eindrücklich schreiben Sie über Exhibitionisten, die ja schier an allen Ecken lauern...Haben Sie eine Wut auf Männer?
Ich lebe mit 3 Männern unter einem Dach – Wut auf Männer wäre fatal. Aber ich habe eine Wut auf die Ungerechtigkeit, und auf das System dahinter, das immer neue Schrecklichkeiten hervorbringt. Wer sich einmal damit anfängt zu beschäftigen, wird bald merken, dass es nicht mehr ignorierbar ist. Der Roman hat sympathische und unsympathische Charaktere beiden Geschlechts. Die Textstelle mit den Exhibitionisten ist ein sehr explizites Beispiel für ein Machtgefälle, in dem eine Frau in Sekundenschnelle vom Subjekt zum Objekt werden kann. In meinem Leben sind mir sieben Exhibitionisten begegnet, der erste mit 5, der letzte vor drei, vier Jahren, also mit 40. Ich war immer gleich hilflos und traumatisiert. Wenn es passiert, fühlt man sich wie eine Wichsvorlage. Das ist man ja auch, obwohl ja „nichts passiert ist“. Es wird viel zu wenig darüber gesprochen und geschrieben, wie schnell eine Frau zum Objekt wird.

Ihr Text lebt – neben den pointierten Formulierungen – auch von extrem genauen detailreichen Beobachtungen. Ich hatte jedenfalls so manches Aha-Erlebnis.
Autorin sein heißt für mich, zu sammeln und dabei sehr offen, weich und verletzlich zu sein. Ständig. Das kann sehr anstrengend sein, weil ich vieles persönlich nehmen muss und dann aber umschalten muss aufs Funktionieren im Alltag und in der Familie. Aber ich lerne es immer besser.

Und ist Schreiben dann auch eine Art Therapie für diese Verletzlichkeit?
Um bei den Exhibitionisten zu bleiben: Wenn ich einem Exhibitionisten begegne und ich kann das dann in einem Roman verarbeiten, ist es besser, als wenn ich einem Exhibitionisten begegne und mir nur die Haare raufe. Etwas auf Papier bringen heißt, es ist draußen und weg von mir; und die Leserschaft kann dann auch einen Blick darauf werfen und sich mit mir ekeln. Insofern kann es therapeutisch sein.

Darf ich noch nach dem neuen Projekt fragen?
Im Herbst 2014 erscheint ein Gedichtband, der in Zusammenarbeit mit der Malerin Uta Heinecke entstanden ist. Und ich arbeite an einem Roman, in dessen Zentrum eine 58-jährige Frau stehen wird, die plötzlich mit der Summe dessen, was sie alles nicht gemacht hat, konfrontiert wird. Ich stelle mich dann Fragen wie: Was ist, wenn die Kinder außer Haus sind? Wenn der Mann kein Interesse mehr an ihr hat? Wie wird all die unbezahlte Aufopferung seitens der Gesellschaft honoriert? Was hat sie der Gesellschaft gegeben und was kommt zurück? Wie wäre das, wenn man miteinander alt wird und es vielleicht gar nicht will?

Gertraud Klemm stellt am 20. Februar 19:30 im Haus der Kunst „Herzmilch“ der Öffentlichkeit vor. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Begegnung Literatur“ wird Herbert Först mit ihr ein Gespräch führen und dann wird Gertraud Klemm aus ihrem Buch lesen.

www.gertraudklemm.at

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