Jugend Vernetzungsgruppe Braunau
"Mama, bitte hilf mir"

Viele Jugendliche leiden in der Krise unter Ess- und Schlafstörungen, Existenzängsten und Einsamkeit. Doch auch für ihre Eltern ist die Situation herausfordernd, wie Experten der Jugend Vernetzungsgruppe Braunau erzählen.  | Foto: Miljan/panthermedia.net
  • Viele Jugendliche leiden in der Krise unter Ess- und Schlafstörungen, Existenzängsten und Einsamkeit. Doch auch für ihre Eltern ist die Situation herausfordernd, wie Experten der Jugend Vernetzungsgruppe Braunau erzählen.
  • Foto: Miljan/panthermedia.net
  • hochgeladen von Katharina Bernbacher

Die Coronakrise hat uns allen viel abverlangt. Die Jugend Vernetzungsgruppe Braunau weiß, was Jugendliche und Eltern ganz besonders beschäftigt hat und wohl auch noch eine Weile begleiten wird.

BRAUNAU (kat). Die "Jugend Vernetzungsgruppe Braunau" beschäftigt sich mit den Anliegen der jungen Generation in Braunau. Die Experten aus örtlichen Jugendzentren, Beratungseinrichtungen und weiteren Anlaufstellen für Jugendliche wissen, was die Mädchen und Burschen aber auch ihre Eltern in den vergangenen Monaten beschäftigt hat.

Einsamkeit und Existenzängste

"Einige können sich eher schlecht mit der gerade bestehenden Situation auseinandersetzen, sehen vieles als belastend und können nur schwer das Gute darin sehen", sind sich die Jugendexperten einig. Die Teenager leider unter anderem unter Ess- und Schlafstörungen, Einsamkeit, Existenzängsten, Streit zuhause und dem Fehlen der Freunde.

"Die wenigsten Jugendlichen sehen Corona als persönliche Bedrohung an. Die Sorge um ihre Mitmenschen, um ihre Eltern und vor allem Großeltern, ist dafür umso größer. Bei einem positiven Coronatest fühlen sich einige sofort schuldig, glauben, sie hätten nun ihre Großeltern in Gefahr gebracht oder gar getötet. Diese permanenten Schuldgefühle drücken stark auf das Wohlbefinden der Jugendlichen", erzählen die Mitglieder der Vernetzungsgruppe.

Die Mädchen und Burschen können der Situation aber auch etwas Positives abgewinnen: So begrüßen viele von ihnen etwa die eingesparten Co2-Emissionen und das damit einhergehende Aufatmen der Natur. "Weiters nutzen Jugendliche nun mehr Zeit mit ihren Hobbys oder entdecken neue interessante Aktivitäten und Themen", freuen sich die Jugendarbeiter. 

Auch Eltern leiden

Doch nicht nur für die Jugendlichen sind die derzeitigen Umstände herausfordernd: Auch die Eltern leiden mit ihren Kindern mit. "Viele besorgte Eltern wenden sich vermehrt an die Jugendeinrichtungen: Mein Kind zieht sich immer mehr zurück und spricht von unendlicher Einsamkeit. Eigentlich ist mein Kind ohnehin nicht sehr kommunikativ und hat kaum Freunde. In dieser Zeit zieht sich mein Kind noch mehr zurück. Es traut sich nicht einmal mehr, den wenigen Freunden eine WhatsApp zu schreiben, um die Enttäuschung einer Absage oder das Ignorieren einer Nachricht zu vermeiden", so die Jugendexperten. Eine besorgte Mutter berichtete dem Team: "So will ich nicht mehr leben, Mama. Bitte hilf mir."

Fallbeispiele aus der Jugendarbeit

Fallbeispiel 1

Überfüllte Geschäfte, verkrampfter Smalltalk, ein Beratungsgespräch mit einem übereifrigen Mitarbeiter oder gar eine Geburtstagsfeier einer Freundin, bei der zu viele Unbekannte und kommunikative Menschen eingeladen sind. All das bleibt Sophie dank des Gebotes zum „Social Distancing“ erspart. Für Menschen, die wie Sophie an einer Sozialphobie leiden, ein wahrer Segen! oder nicht? Sophie sitzt bei uns am Küchentisch und erzählt, wie sie die ersten Wochen der Corona Pandemie erlebte. „In der ersten Zeit schien alles einfacher zu sein, ich musste mir keine Ausreden oder Notlügen einfallen lassen, damit ich mich nicht mit Freunden treffen muss, auch die entsetzliche Angst vor und während jedem Bewerbungsgespräch und die Furcht dort abgelehnt zu werden war plötzlich kein Thema mehr, all die unangenehmen Begegnungen die das Leben mit Sozialphobie so mit sich bringt, alle auf einen Wisch weg und scheinbar verschwunden“. Mitmenschen vor einer Ansteckung schützen, Rücksichtnahme, Solidarität und die Vorstellung damit Gutes zu tun ein allzu schön klingender Selbstbetrug. So ganz ließen sich soziale Kontakte dann aber doch nicht vermeiden, zunehmend wurden meine Unsicherheit und die Ängste stärker umso mehr ich mich in mein Schneckenhaus zurückzog. Auf einmal drehten sich meine Gedanken in Stresssituation um solche Dinge wie:“ „Reden die anderen darüber, dass ich die Maßnahmen versehentlich einmal nicht eingehalten habe?“ berichtet sie. Die meisten Menschen verstehen nicht, dass Sophie nicht nur schüchtern ist, sondern das sie vor vielen Situationen panische Angst bekommt. Das alltägliche soziale Miteinander wird eine immer größere Herausforderung für sie und trotzdem braucht sie die soziale Interaktion um Psychisch stabil zu bleiben. „Die Situation wuchs mir über den Kopf, kaum Geld, Wochen mit leerem Kühlschrank, und auch noch stress mit dem AMS, ich musste etwas tun, meine Situation endlich ändern!“ erzählt sie. Heute kann Sophie ihrer prekären Situation auch etwas Positives abgewinnen. Die aussichtslose Lage hat sie dazu gebracht sich Hilfe zu suchen. Aus Ihrer Therapie weiß sie, langfristig führt die Vermeidung sozialer Situationen zu einem zunehmenden Selbstwertverlust und einer Zunahme von Angst und Unsicherheit. In der Therapie lernt sie Techniken um Ihren Selbstwert zu stärken, regelmäßig Konfrontiert sie sich nun mit Situationen von denen sie sich fürchtet um nach und nach wieder Sicherheit zu erfahren. Die Angst vor sozialer Interaktion wird wohl, ihr ganzes Leben nicht gänzlich verschwinden.

Fallbeispiel 2:
Ein Jugendlicher, 14 Jahre, ruft völlig aufgelöst an. Er hatte gerade einen positiven Corona - Schnelltest in der Schule gemacht. Zwei Tage zuvor hatte er seinen Großvater besucht. „Ich habe meinen Großvater ermordet“, ist sein Wortlaut, „Seit Monaten bin ich eingesperrt und trotzdem habe ich jetzt Schuld am Tod von meinem Opa!“. Erst nach einem längeren Gespräch über das weitere Vorgehen und dass ein positiver Corona-Schnelltest noch nicht bedeutet, dass man jemanden angesteckt hat bzw. eine angesteckte Person dann einen tödlichen Verlauf hat, lässt sich der Jugendliche wieder beruhigen. Unglaublich belastend ist der Gedanke, für den Tod eines Angehörigen verantwortlich zu sein. Weder der Großvater, noch der Rest der Familie hatte sich bei dem Jugendlichen angesteckt. Gottseidank, der Jugendliche hätte mit diesen „Schuldgefühlen“ nur schwer umgehen und Leben können. Man stelle sich vor: Schuld am Tod eines Angehörigen.

Fallbeispiel 3
Eine ganz normale Öffnungszeit, während einer Pandemie halt: Zwei Mädchen sitzen mit Maske am Küchentisch, zwischen uns allen sehr viel Abstand. Sie haben sich einen Termin vereinbart um vorbei schauen zu können. Die Mädels gehören zu jenen wenigen Jugendlichen mit denen wir arbeiten, welche es schaffen nach einer Terminvereinbarung tatsächlich auch zu kommen. Seit einer Stunde überschlagen sich die beiden fast beim Reden, Zeit zum Luftholen bleibt kaum. Ihre Smartphones liegen wie üblich vor ihnen am Küchentisch. Jederzeit, wirklich jederzeit, einsatzbereit. Überraschender Weise werde diese aber heute kaum in die Hand genommen. Ein Mädchen ergreift dann doch in einem kurzen Moment der Stille nach ihrem vertrautem Smartphone und sieht sich „Tiktok“ Videos und kommentiert das Like- Verhalten von Gleichaltrigen. Plötzlich wird das zweite Mädchen etwas lauter und schreit ihre Freundin an, sie solle endlich mal das verdammte Telefon aus der Hand legen. Sogar als „Junky“ bezeichnet sie das andere Mädchen und dass sie sich wohl gerne jetzt mit ihr persönlich unterhalten würde. Völlig fassungslos sitzen wir da. Dass jemand sich gegenseitig auf eine übertriebene Handynutzung aufmerksam macht, haben wir seit Jahren nicht mehr beobachten können. Es scheint eine Online Übersättigung zu geben, die Qualität des persönlichen Kontaktes wird wieder viel mehr erkannt.

Fallbeispiel 4
Sarah ist bald 16 Jahre und ist derzeit froh, dass diese Lockdowns sind. Sie sieht vor allem den Umweltaspekt in dieser Corona Zeit als sehr positiv. Denn durch die Lockdowns und Ausgangssperren konnte sehr viel Co2 eingespart werden. Selber war sie in ihrer Wohnumgebung bei Demonstrationen gegen die Umweltzerstörung aktiv dabei. Ebenso geht sie öfter mal in ihrer Freizeit Müll sammeln und versucht so gut wie es ihr möglich ist auf Plastik zu verzichten. Sarah erwähnte aber immer wieder wie viel Zeit sie vor ihrem Smartphone verbringe. Sie ist oft geschockt wie hoch ihre Nutzung von einzelnen Apps ist und sie versucht zwar die Nutzung zu minimieren, jedoch ist auch derzeit schwierig ohne den digitalen Fortschritt mit Freunden, vor allem die die weiter weg wohnen, Kontakt zu halten und sie zumindest via Video-Anruf auch mal sehen.

Fallbeispiel 5
„Laut mir darf der Lockdown und die Maßnahmen gern nochmal verschärft werden“ sagte Emil letztens bei einem Spaziergang zu zweit. Er versteht nicht warum es so viele verschiedene Maßnahme und Ausnahmen gibt. Seiner Meinung hätte der erste ‚harte‘ Lockdown ruhig länger bestehen müssen, so wären auch die Ansteckungen nicht so hoch gewesen. Emil hat auch für sich einen guten Weg gefunden mit den Ausgangssperren, Lockdowns und Maßnahmen umzugehen. Er hat angefangen sich nun noch mehr auf die Musik zu konzentrieren und nutzt nun seine Zeit um Instrumente zu lernen und hat auch schon erste Produktionsversuche gestartet. Somit hat auch für ihn die digitale Welt einen wichtigen Stellenwert.

Anzeige
1:46
1:46

WKOÖ Maklertipp
Rechtsschutzversicherung: Sichern Sie Ihr Recht!

Eine Rechtsschutzversicherung schützt Sie vor den Folgen von vielen möglichen Konfliktfällen – vor allem finanziell.  Es gibt viele Gründe für einen Streit vor Gericht: Angenommen, Ihr Vermieter erhöht den Mietzins in ungerechtfertigter Weise, Ihr Hund läuft einem Biker vor das Rad, Ihnen wird nach einem Verkehrsunfall das Schmerzensgeld verwehrt oder Ihr Arbeitgeber zahlt die Überstunden nicht. Von all diesen Fällen haben Sie schon gehört oder Sie haben sogar schon selbst eine solche oder eine...

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Braunau auf MeinBezirk.at/Braunau

Neuigkeiten aus Braunau als Push-Nachricht direkt aufs Handy

BezirksRundSchau Braunau auf Facebook: MeinBezirk.at/Braunau - BezirksRundSchau

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus Braunau und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du willst eigene Beiträge veröffentlichen?

Werde Regionaut!

Jetzt registrieren

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.