"Der Magen wächst enorm"

Bezirksblätter: Wie groß ist der Anteil an essgestörten Frauen bei uns im Flachgau?
ILSE BERGER: Das ist schwer zu definieren. Ich würde sagen, jede Zehnte erfüllt die Kriterien für gestörtes Essverhalten. Man muss aber betonen, dass Diäten zu unserem Alltag gehören und wenn eine Frau jeden Mittag nur einen Salat isst, fällt das nicht auf. Dass sie vielleicht dann am Abend zu hause ’Fressattacken’ hat und sich danach übergibt, bekommt niemand mit.“

Bezirksblätter: Was bekommt man mit? Wie weit ist die Krankheit fortgeschritten, wenn man sie nicht mehr verbergen kann?
ILSE BERGER: Ich kenne Frauen, die haben seit 20 Jahren Bulimie und nicht einmal der eigene Mann merkt es. Es gibt auch Bulimie ohne Erbrechen. Bei dieser Krankheit geht es ja nicht um das Erbrechen, sondern um ein Rückgängigmachen der Kalorienaufnahme. Die Betroffenen betreiben als ’Ausgleich‘ zwei, drei Stunden Sport täglich. Ich behandle auch Frauen, die unter binge-eating leiden. Sie essen hemmungslos, wenn sie Heißhunger bekommen. Da geht es nicht um das Abnehmen. Der Verlust der Kontrolle über das eigene Essverhalten ist es, was sie alle verbindet.

Bezirksblätter: Gibt es in den Bezirken genug Einrichtungen zur Betreuung der Betroffenen?
ILSE BERGER: Meiner Erfahrung nach machen die Frauen keine Therapie in ihrer näheren Umgebung. Meine Praxis ist in Anif und ich habe viele Patientinnen aus der Stadt und dem nördlichen Flachgau. Je weiter weg ich von ihrem Wohnort bin, desto lieber ist es den Patientinnen. Sie wollen so anonym wie möglich bleiben.

Bezirksblätter: Wenn Bulimie und Magersucht derart große Tabuthemen sind – was löst in den Betroffenen dann doch den Wunsch aus, sich therapeutisch helfen zu lassen?
ILSE BERGER: Fast alle meine Patientinnen sind gut ausgebildet, ins Berufsleben integriert und stehen zum Teil auch in der Öffentlichkeit. Die Angst, erkannt zu werden, ist groß. Manche entscheiden sich für eine Therapie, wenn sie ein Kind bekommen. Einige kommen nach 15 Jahren geheimer Krankheit, einige haben schon drei, vier Klinikaufenthalte hinter sich. Manche merken, dass ihre Leistungen schwinden. Es gibt Frauen, die monatelang kein Essen behalten. Der Körper baut ab, die Haare fallen aus, die Haut wird trocken, der Kreislauf schwach. Essstörungen gehören zu den psychischen Erkrankungen mit den höchsten Sterberaten. Aber sie kommen alle von selbst, ohne Zwang und sind hochmotiviert.

Bezirksblätter: Wie helfen sie ihren Patientinnen zurück zu einem normalen Essverhalten?
ILSE BERGER: Die Frauen haben alle ein sehr auf ihr Aussehen fokussiertes Selbstvertrauen und oft ein verzerrtes Bild von ihrer Figur. Ich schaue, dass sie langsam zunehmen, damit der Schock nicht zu groß ist. Sie haben Angst davor, das Zunehmen nicht mehr stoppen zu können. Frauen, die an Bulimie leiden, kennen kein Sättigungsgefühl mehr, denn sie haben ausgedehnte Mägen. Manche essen 20 mal am Tag, da wächst der Magen enorm. In der Regel essen sie Speisen mit viel Kohlenhydraten, viel Fett und Zucker.

Interview: Ulrike Grabler

ISIS
Einige ihrer Patientinnen bekommt Ilse Berger vom Frauengesundheitszentrum ISIS zugewiesen. ISIS ist ein Verein, bei dem Frauen und Mädchen Informationen, Beratung und Unterstützung in gesundheitlichen und ­psychologischen Fragen erhalten. Ziel ist es, jede einzelne Frau in der Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Gesundheit unterstützen.

Für Frauen mit Essstörungen ab 18 Jahren gibt es ab dem 18. April die Selbsthilfegruppe „Ein (ER)Leben ohne Essstörung“, die von Ilse Berger geleitet wird. Die Teilnehmerinnen erwartet emotionale Unterstützung, Maßnahmen zur Verringerung der Symptome und therapeutische Übungen in geschützter Atmosphäre.
Die Kosten für zehn Abende betragen 90 Euro, die Hälfte wird von der Salzburger Gebietskrankenkasse getragen.
Anmeldung: Frauengesundheitszentrum ISIS, 0662- 44 22 55 oder office@fgz-isis.at
Ort: Frauengesundheitszentrum ISIS, Alpenstraße 48/ 2. Stock, 5020 Salzburg.

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