INTERVIEW
"Moria ist ein absoluter Notfall"

Günther Holzinger: "Verstörende Migrationspolitik" | Foto: Privat
  • Günther Holzinger: "Verstörende Migrationspolitik"
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FREISTADT. Günther Holzinger ist vielen bekannt als Internist mit einer Praxis im Gebäude der Raiffeisenbank in der Linzer Straße. Der 63-Jährige ist aber nicht nur Mediziner, sondern auch Philosoph und Theologe. In diesen Funktionen haben wir ihn zum Interview gebeten. Anlass ist die seiner Meinung nach "verstörende Migrationspolitik der ÖVP".

Herr Holzinger, Sie sind sehr verärgert über die Performance der ÖVP in Sachen Migrationspolitik. Steht Ihnen die Partei in irgendeiner Form nahe?
Nein, diese Partei steht mir nicht nahe. Mein Elternhaus war allerdings ein sehr katholisches. Ich besuchte das Kollegium Petrinum in Linz und habe auch Theologie studiert, allerdings keine konfessionelle Theologie, sondern „Spirituelle Theologie“ – ein Studium, das es nur an der Universität Salzburg in Kooperation mit der Universität Zürich gibt. In meinem Elternhaus war klar: Wer katholisch ist, wählt mehr oder weniger automatisch die ÖVP – also eine Partei, die sich als christlich-sozial bezeichnet.

Stichwort Lesbos. Stichwort Moria. Was macht die ÖVP Ihrer Meinung nach falsch?
Ich muss hier etwas weiter ausholen. In der Philosophie unterscheidet man zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethikern. Menschen, die wir heute manchmal etwas abfällig als "Gutmenschen" bezeichnen, sind oft Gesinnungsethiker. Die Tücke dabei ist, dass sie die Folgen ihres Handelns oft zu wenig berücksichtigen. In Sachen Flüchtlingspolitik bedenken sie die durch Migration und Integration bedingten Schwierigkeiten zu wenig. In einem Satz: Gut gemeint heißt noch lange nicht effektiv und sinnvoll.

Und was ist mit den Verantwortungsethikern?
Sie achten vor allem auf die Folgen ihres Handelns. Ein Verantwortungsethiker sagt: So und so viele Flüchtlinge können wir aufnehmen, ohne unsere Demokratie zu gefährden und ohne das Sozialbudget zu überlasten. Diese Anzahl von Flüchtlingen können wir dann auch gut versorgen und integrieren. Die Gefahr beziehungsweise eine Nebenwirkung der Verantwortungsethik kann sein, dass man sich nur mehr an diese Richtlinien hält, damit allzu pragmatisch handelt, in Erstarrung verfällt und eine gewisse Flexibilität verliert.

Was würden Sie sich von der Politik in der Causa Moria wünschen?
Mein Wunsch wäre, dass Politikerinnen und Politiker lernen, ethisch zu denken und zu handeln. Moria ist ein absoluter Notfall! Ein Notfall, der außerhalb sonstiger Überlegungen und Ansichten stehen sollte. In einem Notfall ist die Devise, den Hauptbetroffenen – hier denke ich vor allem an unbegleitete Kinder und Jugendliche – rasch zu helfen. Die ÖVP kommt mir in Bezug auf Moria vor wie ein Arzt, der auf dem Nachhauseweg von der Ordination zu einem Unfallgeschehen kommt und vorbeifährt mit dem Argument, dass die Ordinationszeit schon vorbei sei.

„Aber wir können doch nicht alle Flüchtlinge aufnehmen!“ – was sagen Sie jenen, die solche Aussagen treffen?
Wir können und brauchen nicht alle Flüchtlinge aufzunehmen. Wir als Gesellschaft müssen genau abwägen – und das ist sehr schwierig. Darum sollten wir aber gerade jene Argumente bedenken, die nicht in unser Weltbild passen – auch, um nicht indirekt Populismus und Extremismus zu befördern. Moria ist aber eine Ausnahme, ein humanitärer Notfall, nicht die tägliche Routine.

Kann man als Christ und Verfechter der Nächstenliebe noch Anhänger der ÖVP sein? Ist es ethisch vertretbar, ÖVP zu wählen und gleichzeitig jeden Sonntag brav in die Kirche zu gehen?
Das finde ich eine sehr spannende Frage, ob man "nach Moria“ Christ, ein Verfechter der Nächstenliebe oder auch atheistischer Humanist sein kann und gleichzeitig ÖVP-Wähler oder ÖVP-Anhänger. Natürlich muss diese Frage jeder für sich selbst kritisch bedenken und beantworten. Ich kann nur sagen, dass das in meinem Kopf nicht zusammengeht. Wir leben zwar in einem Land mit einer breiten Parteienlandschaft, allerdings stellt sich die Frage, ob wesentliche Entscheidungen wirklich mehrheitskonform entschieden werden. Aus dieser Sicht wäre es wohl sinnvoll, dass die ÖVP ihre Moria-Politik nochmals überdenkt unter dem Motto: Wenn man in die verkehrte Richtung läuft, dann hat es überhaupt keinen Sinn, das Tempo zu erhöhen.

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