Zu viele Schüler, zu wenig Platz?
Während die Neue Mittelschule ausgebaut wird, mangelt es in Wien an AHS-Plätzen.
WIEN. Für rund 225.000 Wiener Schüler beginnt am 3. September wieder der Ernst des Lebens. Die bz hat mit Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky über Konstruktionsfehler des österreichischen Bildungssystems sowie zu wenige AHS-Plätze und Deutschförderklassen gesprochen.
Was sieht der Schulentwicklungsplan konkret in der nahen Zukunft für die allgemein bildenden höheren Schulen vor?
JÜRGEN CZERNOHORSZKY: Wir als Stadt sind für den Pflichtschulbereich – sprich Volksschule und Neue Mittelschule (NMS) – zuständig. Hier schaffen wir pro Jahr 100 neue Klassen und damit Platz für 1.000 bis 2.000 Schulkinder. Der Bund wiederum ist für den Ausbau der AHS, HAK, HTL usw. zuständig. Hier wird leider in einem viel langsameren Tempo neuer Schulraum geschaffen.
Aktuell ist die Situation so: Hat mein Kind in der vierten Klasse Volksschule einen Zweier zu viel, könnte es eine Aufnahmeprüfung für die AHS machen. Jedoch lehnen das viele Schulen aus Platzgründen ab. Somit muss mein Kind in eine NMS gehen.
Genau das ist meiner Meinung nach der größte Konstruktionsfehler des österreichischen Bildungssystems. Es gibt in ganz Europa nur zwei Länder, wo man mit neuneinhalb Jahren eine solche Entscheidung fällen muss – und das in einem Alter, in dem man diese Entscheidung noch nicht selbst treffen kann. Je enger der Platz in der darauf folgenden Schule ist – in dem Fall in den Gymnasien –, desto dramatischer ist diese Entscheidung.
Was ist die Lösung für dieses Problem?
Wir müssen auf der einen Seite daran arbeiten, dass diese dramatische Situation entschärft wird. Das können wir in Wien, indem wir ausreichend NMS-Plätze schaffen. Eine österreichweite Entscheidung wäre eine bildungspolitische. Also eine gemeinsame Schule für die Sechs- bis 14-Jährigen. Auf der anderen Seite müssen wir die Situation der Verknappung im AHS-Bereich auflösen. Nur da braucht es den Bund, der diese AHS-Plätze schafft.
Das Bildungsniveau in einer NMS ist so unterschiedlich, dass Lehrer kaum jedes Kind individuell fördern können.
Das sehe ich auch so. Daher meine Forderung: Wir brauchen für die bestehenden Systeme ausreichend Unterstützung für die Lehrer. Es braucht einen Chancenindex. Das heißt: Dort, wo die Herausforderung größer ist, müssen die Ressourcen aufgestockt werden. Wir machen das in Wien mit viel Energie dort, wo es uns möglich ist. Mit dem Fördersystem 2.0 finanzieren wir aus Wiener Mitteln zusätzlich 200 Pädagogen für unsere Schulen, um Kinder dort, wo es während der Schulzeit nicht geht, zu
fördern.
Stichwort: Deutschförderklassen. Sie haben der Regierung im Mai 100 Fragen zu diesen Plänen zukommen lassen. Sind diese eigentlich alle beantwortet worden?
Wir haben die Antworten über eine parlamentarische Anfrage erhalten. Jedoch sieht man schon jetzt, dass diese Hauruck-Aktion ab dem heurigen Schuljahr ein Drüberfahren über die Lehrer und Schulleiter ist – und das mit deutlich weniger Ressourcen. Das bedeutet alleine für Wien 300 Lehrer weniger für Sprachförderung und Integrationsmaßnahmen. Also: Förderung in größeren Gruppen mit deutlich weniger Personal.
Wien benötigt 300 Deutschförderklassen. An 41 Standorten ist das nicht umsetzbar. Hier darf die Förderung integriert stattfinden. Was heißt das?
An diesen 41 Standorten ist diese Vorgabe einfach räumlich nicht machbar. Dort, wo das der Fall ist, darf der Deutschförderunterricht flexibel umgesetzt werden. Das können parallel geführte Sprachgruppen in der Klasse sein oder eben andere Aufteilungen. Das ist eine gute, praktikable Lösung, die wir hier mit dem Ministerium gefunden haben.
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