Eine Frage der Wahrnehmung

Kammerspiel erster Güte: Sara Nunius als Anne und Andreas Wobig in der Rolle des demenzkranken André | Foto: Tiroler Landestheater
  • Kammerspiel erster Güte: Sara Nunius als Anne und Andreas Wobig in der Rolle des demenzkranken André
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  • hochgeladen von Christine Frei

Die Kammerspiele zeigen Florian Zellers meisterhaftes Demenz-Stück „Vater“.

Florian Zeller hat in diesen Wochen in Innsbruck fast so etwas wie Hochkonjunktur: Der vielfach preisgekrönte französische Gegenwartsautor, dessen Name so deutsch klingt, steht derzeit mit gleich zwei seiner erfolgreichsten Stücke auf dem Spielplan von Kellertheater und Landestheater. Im Keller ist er einmal mit der reichlich hinterfotzigen Ehekomödie „Wahrheit“, in den Kammerspielen mit der tragischen Alzheimer-Farce „Vater“ zu erleben. In beiden Spielstätten haben die Chefs selbst inszeniert, im Keller also Manfred Schild, in den Kammerspielen Thomas Krauß. Denn Zeller schreibt seine Szenen und Dialoge derart präzise am Punkt, dass sie sowohl für Regie wie Schauspieler/innen eine echte Herausforderung in Sachen Timing und Interaktion darstellen.

Einen direkten Bezug zwischen beiden Stücken herstellen zu wollen, erscheint einem angesichts der doch eklatanten Unterschiede in Inhalt, Genre, dramaturgischen Setting auf den ersten Blick fast unmöglich. Und doch erschließt sich einem gerade nach dem Besuch von „Vater“ ganz intuitiv, was das eigentlich Besondere an einer vermeintlichen Boulevardkomödie wie „Wahrheit“ und damit wohl insgesamt an Zellers Herangehensweise als Autor sein könnte: Nämlich die konsequente Negation einer verbindlichen gemeinsamen Realität. Alle seine Figuren leben letztlich in ihrer eigenen Wirklichkeit, haben ihre eigene Wahrheit.

Besonders drastisch erfahrbar wird dies in seinem Alzheimer-Stück „Vater“, wo er diese Sichtweise zum dramatischen Prinzip erhoben und fast das gesamte Stück aus der Perspektive des an Demenz erkrankten Vaters entwickelt hat. Rein äußerlich werden also nach jeder Szene Zimmerwände verschoben (ein ungemein kluges und stimmiges Bühnenkonzept von Ausstattungschef Helfried Lauckner), immer mal wieder tauchen mit Petra Alexandra Pippan (zurück aus der Babypause) und Benjamin Schardt zwei fremde Gesichter für die fix gesetzten Figuren der Tochter Anne (Sara Nunius), deren Partner Pierre (Kristoffer Nowak) und die neue Pflegerin Laura (Marion Fuhs) auf. Die zusehends beklemmendere Verwirrung, welcher André durch seine Demenzerkrankung quasi permanent ausgesetzt ist, wird dadurch auch für den Zuschauer auf eine unglaublich erhellende Art und Weise nachvollziehbar. Denn auch wir selbst beginnen unsere Wahrnehmungen unentwegt umzuinterpretieren.

Und Andrés erstaunliches Potenzial an Bewältigungsstrategien - seien es nun Verweigerung oder Widerstand, Zynismus oder Verbrüderung, sein charmantes Überspielen oder die immer wieder aufblitzende Bösartigkeit, mit welcher er sein Gegenüber zielsicher zu treffen vermag – wird zu einem Spiegel, in dem wir uns selbst wieder erkennen. Das lässt einen zuweilen lauthals lachen (gleichwohl sich seine Attacken stets gegen die wohlmeinende Tochter richten), das macht einen noch mehr betroffen. Zuletzt können wir instinktiv verstehen, dass sich André gar nichts mehr anderes herbeisehnen kann als seine Mutter, und damit eben jenen Urzustand an Geborgenheit, der einem als funktionierender – oder sollten wir wohl eher sagen – bluffender Erwachsener längst abhandengekommen ist. Andreas Wobig spielt den André in all seinen Facetten und Möglichkeiten aus. Er macht ihn uns liebenswert und verständlich. Das ist mit einem Wort ganz große Schauspielkunst ohne jedwede Attitüde, in welche sich auch das übrige Ensemble mit sehr viel Emphase einbringt. Und Schauspielchef Krauss hat uns mit diesem nicht von ungefähr mit dem Moliére ausgezeichneten Stück eine der eindrücklichsten Sprechtheaterproduktionen dieser Saison beschert. Unbedingt ansehen!

Wo: Tiroler Landestheater, Rennweg 2, 6020 Innsbruck auf Karte anzeigen
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