Spiegel unserer Zeit

Brillantes Ensemblespiel: J. Gabl, J.-H. Arnke, M. Fuhs, K.Y. Jochum in “Geächtet” | Foto: Foto: Rupert Larl
  • Brillantes Ensemblespiel: J. Gabl, J.-H. Arnke, M. Fuhs, K.Y. Jochum in “Geächtet”
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Eines gleich vorweg: wer die sommerliche Leichtigkeit nicht schon nach den ersten Kältewellen abgestreift hat, wird spätestens nach einem dieser beiden Theaterabende eine gewisse Schwere in sich verspüren. Denn Lösungen für unsere aktuelle gesellschaftliche Verfasstheit zeichnen sich weder in Ferdinand von Schirachs globalem Theaterspektakel „Terror“ (zu sehen im Kellertheater) noch in Ayad Akhtars pulitzerpreisgekröntem Stück „Geächtet in den Kammerspielen ab.
Das macht betroffen, weil es um das, was uns stets als größte Errungenschaft unserer Zivilisation angepriesen wurde, nämlich die Aufklärung und die damit verbundene geistige Emanzipierung, nicht mehr allzu gut bestellt sein dürfte. Ayad Akhtar hält sie sogar für destruktiver als frühere Systeme. Darüber ließe sich nun wahrlich streiten, so wie auch über sein Stück und erst recht über jenes von Ferdinand von Schirach. Und vielleicht macht genau das die Qualität beider Produktionen aus, dass wir uns hinterher unbehaglich fühlen und unbedingt reden wollen und auch müssen.
Was beide Abende darüber hinaus auszeichnet, ist ihre unglaubliche Intensität, der man sich weder entziehen kann noch will, eine kluge stringente Regie (Fabian Kametz zeichnet für „Terror“, Stefan Maurer für „Geächtet“ verantwortlich) und zwei Schauspielensembles, vor deren vehementer Ausdruckskraft man sich nur verneigen kann. Das allein lässt eine/n Theaterbegeisterte/n natürlich schon laut aufjubeln. Doch wie gesagt: Beide Stücke haben konzeptionelle und inhaltliche Untiefen, über die man trotz bravourösester Umsetzung nicht einfach hinwegsehen kann. Wie man etwa der Verlagsseite http://terror.theater entnehmen kann, haben bis dato weltweit 353.394 Schöffen über von Schirachs Fragestellung abgestimmt. Davon haben 61 Prozent den Piloten Lars Koch, der eigenmächtig eine entführte Maschine mit 164 Passagieren abschoss, um damit 70.000 Menschen in einem voll besetzten Stadion zu retten, frei gesprochen.
Der Erkenntnisgewinn daraus ist freilich einigermaßen ernüchternd: denn von Schirach deutet im Stück ganz klar an, dass sehr wohl Zeit gewesen wäre, das Stadion zu räumen. Das Ergebnis demonstriert zudem, dass sich sehr viele Menschen bereits in einer Art Kriegszustand wähnen, wo 164 Tote offenbar „das kleinere Übel“ sind. Ayad Akhtars Stück „Geächtet“ reiht sich indes dramaturgisch ein in die bereits hinlänglich bekannten Abendgesellschaftseskalationen, ist aber weitaus holzschnittartiger angelegt als etwa Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“. Im Grunde erweisen sich die im Stück verhandelten Identitätskonflikte um Religion und Herkunft als willkommener Vorwand für einen knallharten Konkurrenz- und Verteilungswettkampf. Und es ist ein Stück weit fast grotesk, dass ausgerechnet eine afroamerikanische Frau Amir als Partner einer jüdischen Kanzlei vorgezogen wird, vielleicht gerade, weil er seine pakistanisch-muslimische Herkunft immer zu verschleiern suchte. Warum er als ohnedies ständig aufbrausende Figur dann auch noch alle aufkeimenden Vorurteile erfüllen und auf seine ihn betrügende Ehefrau einprügeln muss, sei dahingestellt. „Geächtet“ lässt einen jedenfalls einigermaßen ratlos zurück, denn Akhtar zeigt Amir, den Apostaten zuletzt sprichwörtlich von Gott und der Welt verlassen.
Von Christine Frei

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