Impfskepsis am Vormarsch

Eltern, die darüber nachdenken, ob sie ihr Kind impfen lassen wollen oder nicht, stehen vor einer großen Informationsschieflage. | Foto: Franz Neumayr
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  • Eltern, die darüber nachdenken, ob sie ihr Kind impfen lassen wollen oder nicht, stehen vor einer großen Informationsschieflage.
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KLOSTERNEUBURG/REGION PURKERSDORF (cog/tw). Grippewelle, Masern-Epidemie, HPV-Virus und mit der ersten Frühlingssonne auch die Zecken. Derzeit sind die Medien voll von Impfempfehlungen. Doch immer mehr SkeptikerInnen vermuten, dass Impfungen mehr schaden als nützen, zum Beispiel Allergien, Krebs oder Alzheimer auslösen können. Tatsache ist: Das Impfen ist ein Milliardengeschäft. In Österreich bezahlt die Kasse für Kinder bis zum zweiten Lebensjahr elf Impfungen, zehn weitere werden empfohlen. Die Bezirksblätter hörten sich in der Region um, sprachen mit BefürworterInnen und GegnerInnen.

ImpfskeptikerInnen vernetzen sich

Eltern, die darüber nachdenken, ob sie ihr Kind impfen lassen wollen oder nicht, stehen vor einer großen Informationsschieflage. "Als Andersdenke hat man wenig Chance an Informationen zu kommen", weiß die zweifache Mutter Sabine H. aus Kritzendorf. "Es ist schwierig, ungefärbte Information zu bekommen, auch einmal ein offenes Ohr zu finden in der Ärzteschaft, wenn man kritisch ist und hinterfragen möchte." Für ÄrztInnen sei es natürlich auch schwierig: "Aber man soll doch auch die Chance haben, faire Infos zu bekommen."
Aus diesem Grund vernetzen sich ImpfgegnerInnen auch vermehrt und versorgen sich gegenseitig mit Informationen zum Thema Impfen. Eine Plattform, die Auskunft gibt, ist AEGIS. Bei Sabine H. war die Sorge vor Impfschäden treibend für ihre Entscheidung. Sie ärgert die ungleich belastende Verantwortungssituation und nennt dazu folgendes Beispiel: "Eine Freundin von mir wollte eine Beratung bei einer Kinderärztin, diese hat aber sofort meine Freundin sehr unhöflich angegriffen, wie verantwortungslos sie sei, überhaupt darüber nachzudenken, ihre Kinder nicht impfen zu lassen. Und wenn dann ein Kind, das nicht geimpft ist, eine Kinderkrankheit bekommt, sind die Eltern schuld, aber wenn ein Kind einen Impfschaden erleidet, übernimmt auch kein Arzt die Verantwortung."

Auch die beiden Söhne von Sophie Bernet (8 und 12 Jahre) sind überhaupt nicht geimpft. "Ich habe mich während der ersten Schwangerschaft schon intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Zuerst war es nur ein Gefühl, aber ich wollte zum Beispiel einem drei-Monate-alten Baby nicht so einen Cocktail injizieren", so Bernet. "Ich hatte viel mehr Angst vor Impfschäden, als vor den Kinderkrankheiten." Sie hatte auch Ärzte, die sie bei dieser Entscheidung unterstützt haben: "Das war wichtig, weil ich mich natürlich gerade in den ersten Jahren immer wieder gefragt habe: Ist das richtig?" Mittlerweile ist sich die zweifache Mutter sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben: "Meine Kinder hatten je eine Kinderkrankheit, aber sonst waren sie nie krank." Vor allem vor den Großeltern sei es jedoch schwer gewesen, diese Entscheidung zu argumentieren. Bernet schränkt sich durch diese Entscheidung auch selber ein: "Ich bin ein großer Indien-Fan und möchte mit meinen Kindern schon ewig dorthin. Für eine Indien-Reise würde ich die beiden aber impfen lassen und dazu habe ich mich noch nicht entscheiden können."

"Kinder sollen Krankheiten durchleben"

Im Gegensatz dazu hat Hanna Grubmüller kein Problem mit ungeimpften Kindern in Länder mit niedrigeren Hygienestandards zu reisen. Die siebenfache Mutter, ihre Kinder sind zwischen vier Monaten und 13 Jahre alt, hat sich bei jedem Kind gegen das Impfen entschieden. Einen Grund für ihre Skepsis gegenüber der Allheilkraft der Schulmedizin sieht sie in persönlichen Erfahrungen: Ihre mittlerweile verstorbene Schwester war durch einen ärztlichen Geburtsfehler schwerst behindert.
Besonders kritisch steht Grubhofer dem Eiweißträger von Impfstoffen gegenüber, von dem es heißt, dass er Allergien hervorrufen kann: "Ich bin der Meinung, dass heutzutage mit vielen Krankheiten gut umgegangen werden kann und möchte auch, dass meine Kinder Kinderkrankheiten erleben – noch dazu wo ich in der Lage bin, meine Kinder auch über einen längeren Zeitraum hinweg zu betreuen."
Grubhofer stellt auch die Wirksamkeit von Impfungen an sich in Frage. Im Fall von FSME-Impfungen, also Impfungen gegen eine von Zecken übertragbare Hirnhautentzündung, habe sie bei ihren Kindern die Zahl der Antikörper bestimmen (Titer) lassen: "Es stellte sich heraus, dass sie quasi Impfschutz besassen, obwohl sie nie geimpft wurden – der Körper hat sich selbst geschützt." Diskussionen mit ÄrztInnen muss die Familie deswegen immer wieder über sich ergehen lassen: "Ein Arzt meinte einmal, Impfungen seien eben eine Versicherung. Ich schütze mich, wovor ich mich fürchte. Aber vor Kinderkrankheiten fürchte ich mich nicht." Grubhofer bedauert zum Beispiel, dass ihr Ältester nie Mumps hatte: "Nun überlegen wir, ob wir ihn nicht doch impfen lassen sollen. Denn je älter man wird, desto komplizierter verlaufen Kinderkrankheiten."

Ärztin: "Wissenslücken und Irrglauben"

"Im Schnitt hab ich einen sehr hohen Prozentsatz von nicht oder kaum geimpften Kindern", erklärt Christa Levin-Leitner, Kinderärztin in Purkersdorf. Oft handle es sich auch um Wissenslücken oder Irrglaube, auf die man Eltern hinweisen muss, fügt sie hinzu. Rund zwei bis drei Prozent ihrer jungen Patienten sind gar nicht geimpft, erklärt sie. "Ich informiere die Eltern und erkläre, was empfohlen ist, aber sie müssen selbst entscheiden", so die Ärztin, dennoch zählen Impfungen ihrer Meinung nach zu den wichtigsten Vorbeugemaßnahmen. Die Haltung von Impfgegnern akzeptiert sie, "doch dann müssen sie akzeptieren dass ich bei jedem Besuch nochmal nachfrage".
"Für mich ist es fahrlässig wenn Kinder nicht Tetanus-geimpft sind. Die Erreger sind immer und überall", so Christa Levin-Leitner. Auch die Masern- und die Zeckenimpfung empfiehlt sie verstärkt weiter, letztere auch schon im Krabbelalter, da die Region Purkersdorf Hochinfektionsgebiet sei. Eher zurückhaltend ist sie hingegen bei der Grippe-, Feuchtblattern und der Menningokokken-Impfung.
"Es ist paradox: Teilweise sind das Leute, die spenden damit Kinder in Afrika Masern-geimpft werden und dann lassen sie ihre eigenen Kinder nicht impfen", wundert sich die Mutter zweier mittlerweile erwachsener Kinder, die im Kindesalter beide geimpft wurden.

"Es gibt kein 100-prozentig Richtig"

Die Klosterneuburger Kinderärztin Veronika Himmelbauer gilt als eine, mit der man über Impfskepsis reden kann. "Ich bin 100 Prozent fürs Impfen", stellt sie klar, aber sie betreut auch gerne ungeimpfte Kinder und nimmt die Bedenken der Eltern ernst. Und solche haben viele: "Ich würde sagen etwa 40 Prozent sind impfkritisch eingestellt. Die Hälfte davon ist sich sicher, die Kinder nicht impfen lassen zu wollen, die andere Hälfte ist verunsichert und sucht meinen Rat." Wie dieser laute? "Gratisimpfungen stehen an erster Stelle, Hepatitis A zum Beispiel emfehle ich nur, wenn viel gereist wird oder das Kind mit Kindern zusammentrifft, die viel reisen." Auch ihre eigenen Kindern seien alle geimpft: "Ich habe als Schulmedizinerin im Spital nie Impfschäden, aber Kinder mit schweren Komplikationen bei Kinderkrankheiten gesehen. Das ist grauslig, wenn man wie bei einer Hirnhautentzündung sieht, dass man ein Kind nicht heilen, sondern ihm nur mehr die Schmerzen erleichtern kann." Sie betont aber nicht: "Ich sage aber nicht, das eine ist 100-prozentig richtig und das andere 100-prozentig falsch." Falsch halte sie nur das absichtliche Provozieren: "Ich habe von Masernpartys gehört, aber weiß von keiner. Aber ich höre schon von Eltern, die sagen, sie würden zu einer fahren. Davon rate ich ab. Masern sind nicht harmlos." Himmelbauer findet die Impfthematik insofern schwierig, weil es wenig fundierte Literatur gibt, auf die man sich verlassen kann. Sie vermisst etwa schulmedizinische Studien zu Impfkomplikationen, hält aber viele alternative Publikationen für fahrlässig: "Da wird oft nur Angst geschürt."

Was Herdenimmunität mit Impfen zu tun hat

Sylvia Cremer ist Expertin für soziale Immunisierung und Herdenschutz, sie forscht am IST Austria in Maria Gugging am Beispiel von Ameisenstaaten. "Wenn der Prozentsatz an immunen Individuen sehr hoch ist, entsteht Herdenimmunität", erklärt sie. Je nachdem wie gut sich Krankheiten ausbreiten udn wie infektiös sie sind, liegt dieser Prozentsatz zwischen 80 und 90 Prozent. Immunität gegen Krankheiten wie Masern erreichte jemand, der die Krankheit durchgemacht hat oder jemand, der dagegen geimpft wurde. Cremer: "Das funktioniert aber nur dann, wenn sich Populationen gut mischen. In einem Kindergarten mit vielen nicht geschützten Individuen, können also trotzdem Epidemien ausbrechen." Trotz aller Unsicherheitsfaktoren könne es durch eine erreichte Herdenimmunität tatsächlich gelingen, Krankheiten auszurotten – ein Beispiel dafür sind die Pocken. "Insofern hat Impfen neben dem Eingenschutz auch einen Nutzen, wenn ich eine Gesellschaft schützen will", erklärt Cremer weiter. "Und dadurch können auch Risikogruppen, die sich nicht impfen lassen können, wie Babys, sehr alte Menschen oder Schwangere, mitgeschützt werden." Die Forscherin betont, dass der krankheitsabhängige Prozentsatz für eine erreichte Herdenimmunität nicht gleichzusetzen sei mit der Impfrate: "Impfungen geben nicht 100-prozentigen Schutz und muss manchmal nach Jahren auch aufgefrischt werden."

ZUM WEITERLESEN:
Interview mit Bert Ehgartner (Dokumentarfilmer und Autor impfkritischer Bücher): "Impfungen können Schlimmeres auslösen"
Interview mit Dietmar Baumgartner (Kinderarzt und Vizepräsident der NÖ Ärztekammer): "Risiko-Impfungen gibt es nicht"

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