Interview
Peter Binder: "Das ist einfach ein Größenwahn der ÖVP"

Peter Binder gilt als enger Vertrauter des Linzer Bürgermeisters Klaus Luger. | Foto: BRS/Diabl
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Der neue SPÖ-Landtagspräsident Peter Binder über sein Alter, Fairness bei der Ressortverteilung, die Ursachen des Bedeutungsverlustes der Sozialdemokratie und die neue Rolle der Linzer SPÖ.

LINZ. Peter Binder (47) ist Linzer Abgeordneter zum Landtag und wurde vor Kurzem zum Dritten Landtagspräsidenten gewählt. Er gilt als enger Vertrauter des Linzer Bürgermeisters Klaus Luger.

Sind Sie nicht noch etwas zu jung für einen Landtagspräsidenten?
Das Bild, dass Landtagspräsidenten eher am Ende ihrer Laufbahn in dieses Amt kommen, ist völlig falsch. Barbara Prammer hat das vor ihrem Ministeramt gemacht. Es ist also möglich, dass man das in jungen Jahren gut ausfüllt. Wir haben uns sehr stark verjüngt, von elf Abgeordneten sind sieben neu, und ich bin der Zweitdienstälteste, obwohl ich erst sechs Jahre im Landtag bin. Diese Erfahrung macht in dieser Position auch etwas aus.

Trotzdem ist es keine aktiv politisch gestaltende Rolle.
Gerda Weichsler-Hauer war unbestritten eine unparteiische und von allen respektierte Präsidentin, aber bei ihren Themen als Abgeordnete, wie Naturschutz oder Kultur, in der Sache hart. Ich werde mich weiter mit dem Gesundheitswesen und dem Wohnbau kritisch auseinandersetzen.

Was kann man als Präsident überhaupt gestalten?
Ein großer Vorteil ist der Dienstwagen, weil man sehr oft repräsentative Aufgaben in allen Teilen des Landes hat. Aber ich werde das auch nutzen, um zum Beispiel alle Regionalkliniken zu besuchen. Ich kann vor Ort stärker nachschauen, wie die Dinge wirklich sind.

"Der Proporz ist nicht mehr zeitgemäß"

Welche drei Dinge würden Sie im politischen System auf Landesebene verändern?
Es ist traurig, dass wir als SPÖ da erst draufkommen, seit wir selbst nur mehr 18,6 Prozent haben, aber wir brauchen unbedingt eine Stärkung der Minderheitenrechte: stärkere Kontrollinstrumente und mehr Ressourcen für die parlamentarische Arbeit, wie einen Budgetdienst, und die Ausstattung der Klubs. Da gibt es ein Ungleichgewicht zugunsten der Regierung. Und am Ende steht die Abschaffung des Proporzes. Der ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß.

Das alles müsste ein Gesamtpaket sein?
Ja. Die Grünen haben einen Antrag auf einen Oberösterreich-Konvent eingebracht und das unterstütze ich.

Peter Binder folgte Gerda Weichsler-Hauer im Landtagspräsidium nach. | Foto: BRS/Diabl
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Irgendwie hatte man den Eindruck, die SPÖ OÖ hat sich gar nicht als Koalitionspartner ins Spiel gebracht.
Wenn man sagt, dass wir weniger brav aufgetreten sind, nehme ich das als Kompliment. Bei uns war klar, wenn wir in eine Koalition wollen würden, hätte das geheißen, selbst auf den zweiten Landesrat zu verzichten, der uns eigentlich zusteht.

Welches der verbliebenen Ressorts ist das spannendste?
Die Kinder- und Jugendhilfe legt in vielen Bereichen den Grundstein dafür, ob wir später mehr oder weniger soziale Netze brauchen. Dort findet die Unterstützung von Familien und Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen statt. Ich bin selbst bei Pflegeeltern aufgewachsen und hoffe, dass es gelingt, die eine oder andere gute Initiative zu setzen und zu zeigen, wie wichtig diese Arbeit ist.

"Die ÖVP hat alle großen Themen an sich gezogen"

In Linz hat die SPÖ der ÖVP die Wirtschaft weggenommen, im Land die ÖVP der SPÖ das Sozialressort. Läuft Politik wirklich so ab?
Tatsächlich wollte die ÖVP schon 2015 das Sozialressort. Das ist für mich durchaus legitim, auch wenn mir persönlich das Herz blutet, weil wir im Sozialressort wirklich sehr viele Dinge vorangebracht haben. Wenn Wolfgang Hattmannsdorfer meint, er könne das so viel besser, dann soll er das tun. Zwei Dinge sind im Vergleich zur Stadt Linz unfair. Erstens bekommen wir keinen zweiten Regierungssitz, obwohl er uns zustünde. Die Linzer ÖVP hat mit einem schlechteren Ergebnis ein zweites Stadtregierungsmandat und von zwei Ressorts, die sie als ihre DNA sieht, nämlich Wirtschaft und Kultur, eines behalten dürfen. Zweitens haben wir Bernhard Baier mit dem Verkehr kein Rumpfressort überlassen, sondern ein zentrales Ressort gegeben, das alle anderen Stadtregierungsparteien schon gehabt haben. Baier hat acht Jahre allen ausgerichtet, was besser zu machen ist, jetzt kann er versuchen, mit seinen Kontakten zur Landes- und der Bundesregierung, etwas zuwege zu bringen. Man hätte der SPÖ auf Landesebene etwas anderes geben können, wie den Wohnbau, Gesundheit oder Bildung. Aber nein, man hat einfach nur in einer Raffgier, wie ich es selten wo erlebt habe, alle großen Themen an sich gezogen. Das ist einfach ein Größenwahn der ÖVP, der unvergleichlich ist.

Warum gibt es in Linz jetzt ein freies Spiel der Kräfte? Das Regieren mit der FPÖ war doch relativ bequem?
Das ist vielleicht eine Spur unbequemer, aber gleichzeitig war das Arbeitsübereinkommen nur ein kleinster gemeinsamer Nenner. Da ohnehin alle größeren Parteien in einer Regierung sitzen, sollte es möglich sein, dass sich jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Idee hat, eine Mehrheit suchen kann.

"Die FPÖ war den Sachargumenten zugänglich"

Das Übereinkommen hat aber auch den Effekt gehabt, dass die FPÖ bei Themen, die für die SPÖ unangenehm waren, wie dem Swap oder der Aktenaffäre, stillgehalten hat.
Das ist auch ein wenig der Hintergrund, warum die ÖVP auf Landesebene wieder die FPÖ ins Boot geholt hat. Man muss aber schon sagen, dass die FPÖ im Gegensatz zum Bund in Linz und im Land gezeigt hat, dass sie Verantwortung übernehmen kann. In der Stadt stimmt aber, dass man in vielen Bereichen ruhiger arbeiten konnte, weil die FPÖ den Sachargumenten im Kontrollausschuss zugänglicher war als ohne Arbeitsübereinkommen.

Daraus könnte man schließen, dass die SPÖ in den nächsten Jahren mit keinen sie betreffenden Skandalen rechnet.
Das ist das eine. Es hat sich aber in der Corona-Krise gezeigt, dass man in Linz Differenzen beiseitestellen hat können und gemeinsam an einem Strang gezogen hat.

Wie steht es um das Verhältnis zwischen Land OÖ und Stadt Linz? Unter Klaus Luger und Thomas Stelzer ist es ja eher abgekühlt.
Die Abkühlung ist entstanden, weil beide von ihren Vorgängern ein sehr undurchsichtiges Geflecht an Finanzierungsverpflichtungen geerbt haben. Das aufzulösen war nicht einfach. Die Stadt Linz hat dann Schritte gesetzt, um zumindest aus einem Teil dieser Verpflichtungen herauszukommen, weil man ohnehin insgesamt mehr an das Land zahlt, als man zurückbekommt. Das hat dem für Landesfinanzen Verantwortlichen (Stelzer, Anm.) nicht so gefallen. Aber das ist mittlerweile überwunden, die zwei kennen sich ja auch aus dem Gemeinderat und haben zu einer sehr guten Zusammenarbeit gefunden. Das hat auch mit Corona zu tun, wo man sich abgestimmt hat, um das Chaos, das von der Bundesebene gekommen ist, abzufedern. 

Transferzahlungen: "Da bin ich pessimistisch"

Linz klagt immer wieder über zu hohe Transferzahlungen an das Land. Hat die neue Landesregierung ein offenes Ohr dafür?
Da bin ich pessimistisch, das sage ich jetzt als Linzer Abgeordneter. Wir trommeln das gemeinsam mit Bürgermeistern aller Parteien. Auch der Rechnungshof stellt immer wieder fest, dass es ein Ungleichgewicht zulasten der Gemeinden gibt und es da eine echte Aufgabenreform braucht. Eine offene Diskussion darüber wäre gescheit und längst überfällig, wird aber nicht passieren. Auf Dauer geht das aber nicht und schränkt die Spielräume im nahesten Lebensbereich der Menschen, in den Gemeinden, ein. Das betrifft nicht nur Linz, sondern auch andere Bezirksstädte.

Binder war von 2014 bis 2016 Landesgeschäftsführer der SPÖ OÖ. | Foto: BRS/Diabl
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Sie sind Linzer Abgeordneter, aber trotzdem für ganz OÖ zuständig. Vertreten Sie Linz im Landtag?
Eigentlich nicht, aber Linz ist ja auch ein Teil von OÖ, noch dazu der größte Teil. Es sollte jeder Abgeordnete das große Ganze im Auge behalten, aber natürlich seine Heimatregion, in der er gewählt worden ist, nicht aus den Augen verlieren. Im Landtagspräsidium sind zwei Vertreter aus dem Bauernstand und ich der einzige aus einem Industriestandort. Alleine deswegen ist es eine wichtige Aufgabe, auf die Interessen des Industriestandortes zu schauen. Man könnte im Österreich-Konvent aber eine stärkere regionale Verantwortlichkeit diskutieren. Dem möchte ich mich nicht verschließen.

Stichwort Strukturreform. Könnten wir auf die Landesebene verzichten?
Ich finde nicht, aber man muss politische Verantwortlichkeit anders aufladen und mehr von Abgeordneten fordern. Das gilt auch für Nationalratsabgeordnete, besonders angesichts der Gehaltsunterschiede zu einem Linzer Bürgermeister. Gerade in Zeiten, wo es immer schwieriger wird, der Bevölkerung politische Maßnahmen näherzubringen, braucht es mehr Politik und nicht weniger.

"So wenig gestritten haben wir noch nie"

Hat sich das schwierige Verhältnis zwischen Linzer SPÖ und Landespartei durch Ihre Wahl verbessert?
Die Wahl in diese Funktion ist auf jeden Fall ein starkes Signal, das Klubobmann Michael Lindner gesetzt hat. Das ist schon deswegen nicht selbstverständlich, weil wir beide ja noch 2015 gegeneinander um das Landtagsmandat angetreten sind. Er hat in den letzten Jahren ein stärkeres Miteinander erreicht. So wenig gestritten wie im letzten Jahr haben wir noch nie. Das hat sich zwar noch nicht in einem Wahlerfolg niedergeschlagen, aber zumindest zur Stabilisierung beigetragen.

Das heißt, die Linzpartei wird in Zukunft eine größere Rolle in der Landespartei spielen?
Wir werden uns da sicher stärker einbringen und Verantwortung übernehmen. Und schauen, dass wir die Partei miteinander besser aufstellen, damit das Wahlergebnis in sechs Jahren anders ausschaut.

Sie kennen die SPÖ OÖ aus verschiedensten Funktionen. Wie kann der Bedeutungsverlust der Landespartei gestoppt werden?
Man muss ehrliche Wahlanalysen betreiben. Der Selbstbetrug der SPÖ OÖ hat 2003 begonnen. Wir haben damals zwar ein fulminantes Wahlergebnis eingefahren. Die ÖVP hat aber im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern, die damals gewählt haben, ein wenig dazugewonnen. Trotzdem waren sie die Verlierer und wir die großen Sieger, obwohl wir Zweiter geblieben sind, während die SPÖ in anderen Bundesländern Nummer eins geworden ist. Bei nächsten Mal hat Josef Pühringer dann eine Absolute eingefahren, eine ehrliche Absolute, nicht wie jetzt in der Landesregierung. Wir haben übersehen, dass sich vieles verändert hat. Wir müssen viel stärker analysieren, etwa wo die SPÖ-Wähler zu Hause sind. Das sind nun mal die städtischen Ballungszentren. Wir haben übersehen, dass dort Pflege und Kinderbetreuung funktionieren. Da hätte man sich noch ein anderes Thema überlegen müssen. Und dann schwindeln wir uns ja schon ewig über die Reform der Parteiorganisationsstruktur hinweg.

"Der Morgenrot-Prozess war eigentlich richtig"

Es hätte ja einige Prozesse, wie „Morgenrot“ gegeben.
Der Morgenrot-Prozess war eigentlich richtig, er war nur nicht konsequent genug. Wir haben das erste Mal auf allen Ebenen, bei allen befreundeten Organisationen eingeholt, was sie bewegt. Da kam sogar eine Publikation heraus, wo man zum ersten Mal nachlesen konnte, was die Leute eigentlich gesagt haben. Dieser erste Teil war richtig gut. Dann wäre es darum gegangen, diese Erkenntnisse in einer zweiten Phase auch konsequent umzusetzen und die Partei zu verändern. Das hätte aber für die eine oder andere Partie einen Machtverlust bedeutet oder eine Abkehr von lieb gewonnenen Dingen. Da wurden Erwartungshaltungen geweckt, die wir nicht erfüllt haben.

Wird dieser zweite Schritt jetzt angegangen?
Da muss man sicher noch dahinter sein. Jetzt wird aber erst einmal die Wahl mit Experten analysiert. Dann hoffe ich schon, dass man weitergeht und sich strukturell verändert.

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