Eine Busreise in den Himalaya

- hochgeladen von Sebastian Buchner
Mein Name ist Sebastian Buchner - ich bin freier Fotograf und habe Asien und vor allem Indien in mehreren langen Reisen durchquert. Ich halte immer wieder Vorträge über meine Reisen, in der Hoffnung Menschen in Österreich das Land und die Leute näher zu bringen. Der nächste Vortrag findet am 7. Oktober um 19:30 im Cafe Bernhardt in Schwarzenbach statt. Das ist ein Exzerpt für alle, die sich interessieren, wie man in Indien ganz alltäglich reist:
Indische Busse, sind eine Sache für sich. Zwanzig-, dreißigjährige Fossile aus Eisen. Kantig, wenig vertrauenserweckend, mit einem Lenkrad, für das man die ganze Spannweite der eigenen Arme braucht. Gepäck liegt auf dem Dach verschnürt oder unter den Sitzen verstaut. Die Fenster sind verschmiert, die Sitze ziemlich hart, die Rückenlehne zu niedrig um den Kop darauf auszurasten. Es gibt, wie bei allem in Indien, Abstufungen im Komfort. Private Buslinien bieten Super Comfort Deluxe Busse mit verstellbaren Sitzen und Kilmaanlage (oft permanente Klimaanlagen, bei denen der Ausschaltknopf defekt ist um die Passagiere halbgefroren am Ziel abzuliefern), die immer ein Glüksspiel sind. Man bucht Super Comfort und wird auf halber Strecke in einen regulären Bus abgeladen oder die Busse sind in erbärmlichem Zustand und außer der Klimaanlage funktioniert gar nichts. Generell ist man besser beraten, wenn man einen der billigen regulären Busse nimmt, auch wenn Mahindra, der Herr in dem kleinen Reisebüro, wo ich wegen Bussen anfrage, mir das ausreden will.
„Nach Reckong Peo?“
„Ja.“
„Siebenundzwanzig Stunden?“
„Ja.“
„In einem regulären Bus?“
„Ja.“
„Wirklich?“
„Ja.“
Endlich tut er mich als hoffnungslosen Fall ab und gibt mir die benötigte Information. Reckong Peo ist die Distrikthauptstadt von Kinnaur, einem komplett unbekannten Flecken Indiens. Gelegen im östlichen Rand von Himachal Pradesh und ein absoluter Geheimtipp unter Reisenden.
Siebenundzwanzig Stunden Busfahrt sind auch für mich ein Rekord. Der Bus scheint zumindest nicht auf den ersten Blick auseinanderzufallen, hält aber schon bei der Ausfahrt aus der Bushaltestelle an um einen Reifen zu wechseln. Mein Gepäck ist verstaut – Rückenschmerzen sind erwartet und ich wundere mich, ob ich müde genug sein werde um zu schlafen. Orte ziehen vorbei während mein Geist leerer und leerer wird. Baijnath, Mandi, Rampur. Kleine Gärten wechseln sich ab mit überfüllten, grell bemalten Marktplätzen. Als es Nacht wird, bekomme ich eine junge Sitznachbarin, die gutes Englisch spricht. Sie ist dreizehn und spricht mit einer Weisheit und Unmittelbarkeit, die man in wenigen jungen Mädchen findet. Physik fasziniert sie, ebenso Technik. Sie fährt mit ihrer Familie, Vater und Großmutter, nach Mandi um dort ein gekauftes Auto abzuholen. Am nächsten Morgen wird die Familie stolz im neuen Auto nach Baijnath zurückfahren. Sie teilt Namkeen, gewürzte Teigwaren aus Kichererbsenmehl mit mir. Später, wir sind beide müde, fragt sie mich ob ich an Gott glaube. Viele Menschen aus dem Westen, so weiß sie, glauben nicht an Gott. Was soll ich sagen? Ich bin alleine in einem fremden Land unterwegs und steuere gerade auf das höchste Bergmassiv der Erde zu. Wie kann ich da nicht ein gewisses Urvertrauen haben? Wir einigen uns darauf, dass die Menschen im Westen vergessen haben, was Gott ist.
Stunden später, sie ist lange schon ausgestiegen, es gab einen Fahrerwechsel – sehr zu meinem Erleichtern fährt uns nicht derselbe Fahrer für die ganze Strecke. Wie das in lokalen Bussen so ist, steigen Passagiere andauernd ein und aus. Jeder Platz ist besetzt und die Leute drängen sich am Gang. Das hat sich auch in der Nacht nicht groß geändert. Jetzt wird es ein Vorteil, dass der Bus vollgestopft ist – man kann im Stehen schlafen ohne umzukippen. Mein neuer Sitznachbar schläft bereits bequem auf meiner Schulter. Menschen schlafen auf Säcken, die am Gang stehen oder breiten Decken aus. Im Halbschlaf spüre ich wie sich eine Hand fast zärtlich um mein Schienbein legt. Ich schaue hinunter und sehe einen Kopf, der sich meinen Schuh zum Polster gemacht hat. Ich würde mit den Schultern zucken, aber ich will niemanden aufwecken. Draußen ziehen Bäume vorbei, verschwinden schnell wieder in der Finsternis. Ich meine Abhänge zu erkennen. Der Bus kurvt fleißig und die Strasse steigt an. Irgendwann sinke ich in einen unruhigen Schlaf.
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