Bezirk Neunkirchen/Industrieviertel
Geh hin, wo der Pfeffer wächst – Teil 8

- Geh hin, wo der Pfeffer wächst entstammt der Feder von Erika Hager und ist im Verlag Bibliothek Provinz erschienen.
- Foto: Verlag Bibliothek Provinz
- hochgeladen von Thomas Santrucek
Fortsetzungsroman: Mit der Buchverkauf wird das Projekt "AIDS-Waisenkinder in Theni", Indien, unterstützt.
Anfänglich waren es nur fünf tapfere Mütter, die sich zur gegenseitigen Ermutigung und gegen die Dominanz ihrer Ehemänner zusammen getan hatten, inzwischen sind es wahrscheinlich mehr als 350. Am späten Nachmittag treffen sie aus verschiedenen Richtungen ein – ein gemeinsames Lied in Kannata Sprache stimmt sie auf das Miteinandersein ein. Nicht nur die zwei Männer aus unserer Gruppe, auch einige aus der Dorfgemeinschaft sind unter den zahlreichen Frauen zu sehen.
»Was ist euch als Gemeinschaft in letzter Zeit gelungen?«, kommt als erste Frage von uns.
»Eine Resolution gegen Kinderheirat und gegen die Bestechung der Polizei. Das sind zwei große Schritte.
Und als im vergangenen Jahr eine Dalit Frau von einem Mann aus einer höheren Kaste vergewaltigt wurde, sind spontan tausende Menschen aus unterschiedlichen Kasten auf die Straße gegangen.«
Unter den Männern in den Dörfern sind natürlich noch so manche im Zweifel über die neue »Frauenpower«, aber der Dorfälteste unterstützt sie, denn er versteht, dass dies zum Wohl der Gemeinschaft ist.
»Und welche Rechte haben Frauen bei euch?«, wollen sie von uns wissen.
Es gefällt ihnen, dass wir selbst entscheiden dürfen, ob und wen wir heiraten wollen. Uns interessiert, wie eine Frau hier genug verdienen kann, um die Familie zu ernähren. »Um einen Mikrokredit von der Development Bank zu bekommen, müssen wir zuerst etwas ansparen, das von NGOs organisiert wird. Dann können wir allein oder in Kleingruppen Mini-Unternehmen gründen, mit einer Nähmaschine, einem Gemüsestand oder Ziegen, um selbständig zu überleben und auch den Kredit zurückzuzahlen.« Nach einem gemeinsamen Foto mit den Männern zerstreuen sich diese mutigen, starken Frauen und gehen in ihre Dörfer zurück. Das Schicksal der Kinder aus den ärmsten Familien – wir finden sie in Zündholz- und Feuerwerksfabriken – berührt mich besonders, es ist das Erschütterndste. In der Umgebung von Sivakasi gibt es wahrscheinlich die in Indien höchste Anzahl von Kindern ab sechs Jahren in Arbeitsverhältnissen, die erdrückend sind. Wir können uns vor Ort davon überzeugen. Bereits die Fahrt in einem Kleinlastwagen, der in der plötzlich einbrechenden Dunkelheit ohne Licht fährt, scheint ein Vorbote zu sein vom glücklosen Dasein in dieser Umgebung. Der Fahrer des Wagens ist ratlos. Wir suchen nach Taschenlampen und strecken unsere Arme aus den Fenstern – wie ein Stern in endloser Finsternis. Auf der Landstraße sind zwar kaum Autos, aber Tag und Nacht Menschen und Tiere unterwegs – hoffentlich vernehmen sie das Rattern des Fahrzeuges und flüchten rechtzeitig von der Straße. Als wir ankommen, sind alle ziemlich angespannt und die Frage des Mannes, dessen Haus wir für eine Woche mieten können, ist sehr einleuchtend:
»What is the purpose of your visit?« – »Warum seid ihr hier?«
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich für uns erst später, als wir das Ausmaß des Elends sehen und beschließen, ein Ausbildungsprojekt für Jugendliche in Kughenparai zu finanzieren. (Dorothea und die Entwicklungshilfe in Südtirol).
In der trockenen Hitze von Tamil Nadu sind die Flüsse schon ausgetrocknet. Mehr als 1800 Feuerwerksfabriken produzieren hier für die Nachfrage aus der ganzen Welt. Ihre Besitzer vermuten, dass europäische Besucher eher Käufer sein werden als Ankläger, und lassen uns unbeaufsichtigt herumgehen und fotografieren. Kinder, Frauen und Männer, die hier arbeiten, sind zu einem frühen Tod verurteilt, ob durch Explosion und Brand oder durch giftige Chemikalien, die von den »silvermen« ohne jeden Hautschutz verarbeitet werden. Zu ihrem kargen Lohn bekommen sie ein Stück Seife pro Woche!
Kleinkinder sitzen neben ihren Müttern, die uns anflehen, ihr Kind doch mitzunehmen, wegzutragen aus dieser Hölle. Buben und Mädchen stechen Löcher in »firecrackers«, Raketen, die sie dann mit Schießpulver füllen. Für sie besteht die einzige Hoffnung, sich aus der Versklavung zu befreien, wenn sie Abendschulen besuchen oder von einer ausländischen Organisation unterstützt werden, die den Ausfall ihres Lohnes an die Eltern erstatten kann. Nach zwölf bis vierzehn Stunden Arbeit in der trockenen Hitze von Tamil Nadu noch in eine »Nachtschule« zu gehen, ein kleiner, dunkler, schäbiger Raum, der eher einer Kohlenkammer gleicht, erscheint uns unerträglich, ist jedoch trauriger Alltag. Seit ich diese indischen Arbeitslager gesehen habe, die zwar nicht mit Stacheldraht abgeriegelt, aber in der Wüste angesiedelt sind, ist mir das schöne Spektakel eines Feuerwerks zum schmerzhaften Anblick geworden.
Zur Sache
Geh hin, wo der Pfeffer wächst
Reisenotizen aus Nepal und Indien | A travelogue from Nepal and India
Erika Hager
ISBN: 978-3-99028-491-9
19 x 12 cm, 174 S
€ 18
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