Verhandlung am Landesgericht Wiener Neustadt
Anästhesie-Arzt wegen "fahrlässiger Tötung" angeklagt - mit Knalleffekt!
Man stirbt in einer Klinik, in der neues Leben entstehen soll.
Ein Anwalt während des Prozesses.
BADEN, WIENER NEUSTADT (Peter Zezula, APA). Verhandlung am Wiener Neustädter Landesgericht wegen des Vergehens der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs. 1 StGB u. a. Del.
Der wesentliche Anklagevorwurf: Der Angeklagte soll, als Anästhesist drei Patientinnen ein mit einem Darmkeim kontaminiertes Propofol intravenös verabreicht haben. Dies führte bei allen zu einer schweren Sepsis, einem lebensbedrohlicher Zustand, der entsteht, wenn die körpereigenen Abwehrreaktionen gegen eine Infektion die eigenen Gewebe und Organe schädigen. Sie ist eine der schwersten Komplikationen von Infektionskrankheiten, die durch Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten ausgelöst werden, welche bei einer Patientin zum Tod führte.
Tatort und Tatzeit: 3. Juni 2020 in einer Kinderwunschklinik in Baden.
Der Beschuldigte und in diesen Fällen einzig verdächtigte Arzt: Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin, 64 Jahre alt.
Der tragische Vorfall erregte viel Aufmerksamkeit, so herrschte auch am Landesgericht enormer medialer Andrang.
Der Mediziner hatte im Verlauf des Ermittlungsverfahrens für den Vorfall vom Juni Verantwortung übernommen, bekannte sich heute aber nicht schuldig.
Er soll am 3. Juni bei Follikel-Punktionen (Anstechen der Eibläschen zur Eizellenentnahme, Anm. d. Red.) Fehler bei der Verabreichung des Mittels Propofol begangen haben. Wie der Staatsanwalt in seinem Eröffnungsvortrag erklärte, hatte der 64-Jährige am Tag davor ein Fläschchen mit dem Medikament benutzt. Anstatt es - wie üblich - danach zu entsorgen, transportierte der Beschuldigte das bereits geöffnete Gebinde mit nach Hause und lagerte es dort im Kühlschrank.
"Dieses Fläschchen hat er am 3. Juni wieder mitgenommen in die Babywunschklinik", schilderte der Vertreter der Anklagebehörde. "Das war Zufall, Schicksal für mich. Das war blöd", gab der Anästhesist zu Protokoll. In der Badener Einrichtung will der grundsätzlich in einem Wiener Spital tätige Mediziner Anfang Juni nur ausgeholfen haben.
Inhaltsstoffe aus dem mit Darmkeimen kontaminierten Gebinde soll der 64-Jährige schließlich im Rahmen der Behandlung auf drei Frauen übertragen haben. Die 32-jährige Patientin starb zwei Tage später in einem Wiener Krankenhaus. Sie hatte laut Staatsanwaltschaft einen septischen Schock mit massiver Blutgerinnungsstörung erlitten, als Auslöser gilt eine Kontamination mit Keimen. Zwei weitere Frauen waren vorübergehend intensivmedizinisch betreut worden, befanden sich aber bald auf dem Weg der Genesung. In diesem Zusammenhang wird dem Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin fahrlässige schwere Körperverletzung vorgeworfen.
Grundlegende medizinische Fragen
In diesem Prozess geht es um mehr, als um den Tod und die Verletzungen der drei Patientinnen, bereits am Vormittag hat sich eine Uneinigkeit der Mediziner und noch mehr der Juristen, die die Medizin vertreten, heraus kristallisiert. Das in allen OP-Sälen verwendete Betäubungsmittel Propofol sei doch nicht so problemlos anzuwenden wie angenommen, bei den drei Patientinnen der Klinik wären andere Krankheitsbilder aufgetreten, etwa durch zu viele Follikel-Entnahmen (Eizellen-Entnahmen).
Michael Dohr, Anwalt im Verteidiger-Team des Anästhesisten, zweifelt den Keim-Vorwurf an, u.a. mit den Worten "der Keim ist erst nachgewiesen worden, nachdem das Gebinde längere Zeit im Mistkübel gelegen ist".
Am Nachmittag hatten die Mediziner das Wort. Aber dann der Knalleffekt
Der Einzelrichter kam nach mehrstündiger Verhandlung und diversen Befragungen zur Erkenntnis, dass der Beschuldigte wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang angeklagt werden sollte. Begründung: Der Angeklagte soll gewusst haben, dass er das angebrochene Propofol-Fläschchen nicht mehr verwenden hätte dürfen, daher läge nicht "grobfahrlässige Tötung" sondern "Körperverletzung mit tödlichem Ausgang" vor.
Der Strafrahmen beträgt im äußersten Fall bis zu 15 Jahre, zuständig ist ein Schöffensenat. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
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