Christine Haberlander im Interview
"Die Länge der Sommerferien hinterfragen"

- Christine Haberlander (ÖVP) ist seit 2018 Landeshauptmann-Stellvertreterin in Oberösterreich.
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Oberösterreichs Landeshauptmann-Stellvertreterin Christine Haberlander (ÖVP) spricht im Interview mit MeinBezirk OÖ über die "Aktion Tagesmütter OÖ", Kinderbetreuung, die Wahlärzte im Land, die Länge der Sommerferien und die Nationalratswahl 2024.
Interview: Thomas Kramesberger
Die „Aktion Tagesmütter OÖ“ hat 117 Mitarbeiter zur Kündigung angemeldet, 480 Kinder stehen möglicherweise ohne Betreuung da. Warum eskaliert eine Situation so, ohne dass das vorher jemand mitkriegt?
Haberlander: Als Bildungslandesrätin und mit dem klaren Ziel, dass wir Kinderland Nr. 1 werden wollen, bedauere ich diese Entwicklung. Soweit ich informiert bin, hat der Verein finanzielle Probleme. Warum die Probleme entstanden sind, warum es das Minus gibt, das wissen wir als Behörde zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Was wir wissen ist, dass andere Vereine mit den Förderungen auskommen. Es wird eine Wirtschaftsprüfung bei dem Verein geben, weil wir uns das genau ausschauen wollen – immerhin bekommt die Aktion Tagesmütter OÖ 1,6 Millionen Euro vom Land OÖ.
Das Zweite ist die Sorge der Eltern und die Sorge der Tageseltern, die ich verstehe. Es bemühen sich mittlerweile viele Gemeinden um Lösungen: Sei es, die Kinder in Krabbelstuben aufzunehmen oder dass Bürgermeister die Tageseltern auch in den Gemeinden anstellen. Es wird eifrig nach Lösungen gesucht – denn es ist das Wichtigste, dass es für die Familien, für die Kinder, Lösungen gibt.
Aber hat die „Aktion Tagesmütter OÖ“ vorher gar keinen Kontakt mit Ihnen gesucht und einfach diesen Schritt gesetzt?
Wir wurden ein paar Werktage vorher informiert, dass das passieren wird.
Man hat nicht das Gespräch gesucht?
Genau, denn das kann der Verein selbst entscheiden. Aber man muss sich überlegen, wie man sich von den Mitarbeitern trennt und was man mit den Kindern macht. Deshalb appelliere ich an alle, sich Zeit zu lassen und Lösungen für Kinder und Angestellte zu finden.

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Sehen Sie einen politischen Hintergrund, weil die „Aktion Tagesmütter OÖ“ ja eher der SPÖ zuzuordnen ist? Ist das ein politisches Spiel, das auf dem Rücken der Eltern und Kinder gespielt wird?
Das hoffe ich nicht, denn das wäre schlimm, wenn man am Rücken von Kindern Politik macht. Aber das möchte ich der SPÖ-Abgeordneten Doris Margreiter (die Geschäftsführerin des Vereins ist, Anm.) nicht unterstellen.
Hintergrund der Auseinandersetzung ist, dass die Krabbelstuben ab September zwischen 7 und 13 Uhr gratis sind. Für die Tageseltern muss man trotzdem zahlen – warum diese Ungleichbehandlung?
Also man muss berücksichtigen, als wir angekündigt haben, die Krabbelstube gratis zu machen, gab es die Sorge von den Vereinen, dass sie dann zu wenige Kinder hätten. Jetzt sieht man, dass die Vereine trotzdem genug Kinder haben, die Betreuung brauchen und es gibt auch Förderungen für sie.
Es gibt grundsätzlich vom Land OÖ ein klares Bekenntnis zur institutionellen Kinderbetreuung, weil wir bei dieser eine hohe Qualität verlangen – beim Personal, beim Bildungsrahmenplan und auch bei den baulichen Voraussetzungen. Die Tagesmütter sind quasi das Speedboot, das das institutionelle Angebot an den Randseiten ergänzt. Und dafür gibt es eine Förderung, also eine Unterstützung durch das Land OÖ.
Aber ist es dann nicht so, dass Eltern denken könnten: Wenn ich in der Gratis-Krabbelstube einen Platz bekomme, gut, und sonst greif ich auf die Tagesmütter zurück. Verzerrt das nicht den Wettbewerb?
Das ist kein Wettbewerb. In der Krabbelstube und im Kindergarten gibt es Qualitätsvoraussetzungen, die ungleich höher sind. Dort wird eine andere Art der Bildungsarbeit geleistet.
Es gibt Kritik an den Förderungen, die umgestellt wurden, dass es nachteilig für die Tagesmütter-Organisationen wäre.
Es geht hier um Steuergeld, damit muss immer auch wirtschaftlich, zweckmäßig und sparsam umgegangen werden. Das heißt, wir schauen uns ganz genau an, was abgerechnet wird und was mit einem Kind getan wird – die am Kind geleisteten Stunden werden gefördert. Das ist der Anspruch, den wir als Fördergeber haben.
Also es gibt keine Unterförderung der Tagesmütter?
Es gibt mehrere Vereine, die Tagesmütterbetreuung anbieten. Einer davon hat ein sechsstelliges Minus in der Bilanz und trennt sich von Mitarbeitern, die anderen Vereine machen das nicht. Und es gibt auch eine Bestandsgarantie von den anderen Vereinen.
Aber, vielleicht darf ich das Ganze anders erklären: Mein Ziel ist es, dass wir Kinderland Nr. 1 eins werden, dass die Familien eine sichere Betreuung haben. Ich will doch nicht etwas zerstören, das Kindern ein Angebot bietet, sondern im Gegenteil. Wenn da etwas nicht hinhaut, dann ändern wir was. Wenn Hilfe notwendig ist, dann helfen wir. Ich konterkariere ja nicht das eigene Ziel, das ich mir gesetzt habe. Wir zerstören keine Strukturen, wir bauen sie aus.
Wird es für alle 480 Kinder am Ende des Tages eine Betreuung geben?
Das wird man sehen. Die Kompetenz liegt bei den Gemeinden, weil sie für die Kinderbetreuung zuständig sind – und wir sind natürlich schon mit einigen Kommunen in Kontakt getreten. Wir haben außerdem eine Hotline eingerichtet, bei der sich überwiegend Eltern gemeldet haben, nur in geringem Ausmaß die Tagesmütter selbst.
Wir gehen davon aus, dass es Lösungen geben wird, wir helfen und beraten auch.
Warum ist eigentlich nur der Vormittag und nicht auch der Nachmittag gratis in Kindergarten und Krabbelstuben?
Ich glaube schon, dass 30 Stunden beitragsfreie Stunden viel ist, das ermöglicht vielen Erziehungsberechtigten auch, arbeiten zu gehen. Und für den Nachmittag gibt es unterschiedliche, gestaffelte Systeme – wir fangen da bei 25 Euro pro Monat an.
Aber signalisiere ich damit nicht den Frauen, die überwiegend die Kinderbetreuung leisten, am Vormittag könnt ihr arbeiten gehen, aber am Nachmittag sollt ihr wieder zu Hause beim Kind sein?
Also da widerspreche ich als Frauenlandesrätin vehement. Wir bauen die Kinderbetreuung aus, damit Frauen die Wahlfreiheit haben. Und wir sehen in den Zahlen, dass je mehr wir die Kinderbetreuung ausbauen, desto mehr nehmen die Eltern Teilzeit in Anspruch. So ist es auch in Wien, wie auch alle Statistiken und Studien zeigen.
Damit mehr Vollzeit gearbeitet wird, da braucht es umfassendere Ansätze – sei es steuerseitig oder auch beim Dienstgeber. Wir ermöglichen 30 Stunden kostenfreie Betreuung. Das heißt, ein hohes Ausmaß an Dienstverhältnissen aufgrund dieser Betreuungsleistung geschaffen werden.

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Aber die 30 Stunden gibt es auch nicht flächendeckend.
Wir haben einen Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung.
Nein, am Vormittag – es gibt nicht in jeder Gemeinde eine Krabbelstube.
Den Bedarfsdeckungsanspruch haben die Gemeinden, die Familie muss sich melden. Und wir unterstützten Familien sehr gerne, die sich bei uns melden und sagen, unser Bürgermeister tut nichts, obwohl wir das gerne hätten.
Dass es aber manchmal, in gewissen Gemeinden, nicht genug Kinder bzw. Anmeldungen für eine Krabbelgruppe gibt, ist auch klar – deshalb sind Kooperationsprojekte so wichtig. Ich finde schon, dass immer mehr Gemeinden was tun und es gibt auch immer Betriebskrabbelstuben, damit die Mitarbeiter vor Ort arbeiten können.
Sie haben vorher von einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung gesprochen.
Am Nachmittag, ja.
Ist dieser Rechtsanspruch dann das Gleiche wie Zwangsarbeit für Frauen?
Die Sorge von Klubobmann Christian Dörfel, dass vielleicht durch den Druck der Arbeitgeber auf die Arbeitnehmer ein Ungleichgewicht entstehen könnte, teile ich. Aber ich bin trotzdem dafür, dass wir das Angebot ausbauen.
Aber ist die Wortwahl nicht im Jahr 2024 sehr fraglich?
Die Wortwahl ist pointiert und zugespitzt.
Würden Sie dem zustimmen?
Ich habe diese Worte ja nicht verwendet. Aber wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, es gibt Sorgen von unterschiedlichen Ebenen, die man anerkennen muss.
Diese zu artikulieren, ist schon wichtig, auch in der Politik. Wir spiegeln ja die Gesellschaft wider. Und ich trete für Wahlfreiheit und für den bedingungslosen Ausbau der Kinderbetreuung ein.
Nächstes Thema, Schule. Wir sind zwar gerade am Ende des Schuljahres, aber wie schaut es mit dem Lehrermangel aus derzeit?
Derzeit gibt es 100 offene Stellen in Oberösterreich, aber aufgrund von Pensionierungen suchen wir natürlich laufend Lehrer. Auch Quereinsteiger werden gut angenommen, was eine gute Ergänzung ist. Aber wir müssen sicher noch mehr Menschen für die Ausbildung und den Beruf Lehrer gewinnen.

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Sind eigentlich neun Wochen Sommerferien noch zeitgemäß?
Wir merken natürlich, dass es im Sommer ein großes Betreuungsproblem für die Eltern gibt. Meistens spricht man dabei von den kleineren Kindern, aber die Herausforderungen bei den 6- bis 16-Jährigen sind genauso gegeben. Es wird die Sommerschule mittlerweile auch sehr gut angenommen – also die Eltern drängen in den letzten zwei Wochen der Ferien schon darauf, die Kinder wieder in Betreuung schicken zu können.
Wäre es nicht besser, das System so umzubauen, dass Lehrer zumindest einen gescheiten Arbeitsplatz haben und administrative Unterstützung bekommen – und dafür die Sommerferien zu verkürzen?
Also da besteht aus meiner Sicht kein Zusammenhang. Es ist für mich unerlässlich, dass Lehrer einen ausreichenden Arbeitsplatz haben und darauf legen wir bei baulichen Maßnahmen in unseren Schulen großen Wert. Und auch das administrative Assistenzpersonal bauen wir vonseiten des Landes aus. Aber man kann, 250 Jahre nach Einführung des Schulwesens, den Aufbau des Schuljahres und auch die Länge der Sommerferien hinterfragen.
OÖ Gesundheitsholding-Chef Franz Harnoncourt hat im Vorjahr in einem Interview gesagt, der Flaschenhals im Gesundheitssystem wäre die Pflege, gar nicht so sehr die Ärzte. Stimmen Sie zu?
Spannenderweise haben wir so viele Mitarbeiter wie noch nie in unseren oberösterreichischen Krankenhäusern. Und trotzdem gibt es Drucksituationen in allen Bereichen. Ich würde nicht sagen, dass das eine Problem schwerer wiegt als das andere. Wir merken eine leichte, leichte Entlastung im ärztlichen Bereich, aber ich würde nicht von Entwarnung sprechen. Sehr angespannt ist die Situation aber weiterhin in gewissen Pflegebereichen. Das hängt aber nicht mit der Anzahl der Mitarbeiter zusammen, sondern auch viel mit der Spezialisierung – und Teilzeit ist leider auch ein Trend.
Wenn jeder Teilzeit-Mitarbeiter zwei Stunden mehr arbeiten würde, hätten wir 500 Vollzeitäquivalente mehr. Wir müssen also nicht nur Menschen in den Beruf bringen, sondern daran arbeiten, das Arbeitsstundenausmaß zu erhöhen.
Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker hat gefordert, Ärzte, die nur geringfügig im Krankenhaus arbeiten, sollten keine Wahlarztpraxis mehr betreiben können.
Die Wiener Regelung kann man nicht mit der oberösterreichischen Regelung vergleichen. Mir ist wichtig, dass die besten Köpfe in unseren Krankenhäusern für die Patienten arbeiten. Und ich schließe nicht jemanden aus der öffentlichen Grundversorgung aus, weil er nebenbei ein paar Stunden in einer Ordination arbeitet.

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Ist es nicht ein Problem, dass es immer mehr Wahlärzte gibt?
Die ÖGK wäre gut beraten, zu hinterfragen, warum mehr Menschen sich für die Wahlarztordination und nicht für den Kassenvertrag entscheiden. Das ist eine versorgungsrelevante Frage für Oberösterreich und für Österreich. Die Wahlärzte sind natürlich versorgungsrelevant, aber die Frage ist, warum gehen da so viele hin und nicht in die Kassenstelle?
Wie ist Ihre Antwort? Die flexibleren Arbeitszeiten?
Der Kassenvertrag muss attraktiver werden.
Also mehr Geld?
Mehr Geld kann nicht die alleinige Antwort sein. Es geht darum, dass man sich einen Vertrag teilen kann, dass man einfach modernere, jüngere Lösungen findet. Die flexiblere Kassenvertragsgestaltung ist jedenfalls ein Thema, mit dem sich die ÖGK auseinandersetzen muss. Denn manche gehen zum Wahlarzt, andere ins Krankenhaus, wo sie oft nicht hingehören und wieder andere warten, weil sie keinen Hausarzt oder Gynäkologen mehr finden. Das kann es auch nicht sein, jeder Versicherte muss seinen Kassenarzt haben.
Stichwort Patientenlenkung: Bei 1450 gab es im Vorjahr 110.000 Anrufe, nur etwas mehr als zehn Prozent waren Gesundheitsberatungen, der Rest hat gefragt, wann die nächste Apotheke offen hat. Ist das trotzdem ein Erfolgsmodell für Sie?
1450 ist ein Erfolgsmodell und wir wollen das noch ausweiten. Es ist gut, dass dort geholfen wird, mit welcher Frage auch immer die Leute kommen, jede Frage ist wichtig. Es ist kein Problem zu groß und keine Frage zu klein für 1450. Und wir wollen, dass in Zukunft – Stichwort Digitalisierung – via 1450 auch Termine gebucht werden können.
Im Jahr 2026 soll via 1450 die Videosprechstunde kommen. In mancher Arztpraxis fühlt man sich heute noch eher im letzten Jahrhundert, was Digitalisierung betrifft. Ist das realistisch, das in zwei Jahren einzuführen?
Also, es wäre spannend, wenn die ÖGK diese Frage beantworten würde, aber ich versuche es als Gesundheitslandesrätin: 2026 ist ein gutes Zieldatum, damit alle in die Gänge kommen. Man muss ein Ziel setzen, das alle pusht. Man muss klarmachen, dass man sich mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen muss und nicht leugnen kann, dass sich die Welt außerhalb der Ordination weiterdreht. Im Mittelpunkt des Tuns sollte ja der Patient mit seinen Bedürfnissen stehen.
Zum Schluss noch zur Nationalratswahl: Sollte Herbert Kickl die Wahl gewinnen, wird die ÖVP jemanden, der Pferdentwurmungsmittel gegen Corona empfohlen hat, zum Bundeskanzler machen?
(lacht) Für mich kommt ein Bundeskanzler Herbert Kickl nicht in Frage.
Wäre es für die ÖVP ehrenhafter in Opposition zu gehen, als eine Regierung mit Kickl zu bilden?
Ich glaube, dass man als ÖVP alle Möglichkeiten weise prüfen soll. Es liegen sowohl in der Regierung, als auch in der Opposition Chancen.
Sie gelten seit vielen Jahren als ministrabel und werden als mögliche Ministerin gehandelt.
Und ich bin seit all diesen Jahren stets in Oberösterreich.
Ein aktuelles Gerücht lautet auch, dass Sie nach dem Ende des Vertrags von Franz Harnoncourt an die Spitze der OÖ Gesundheitsholding wechseln könnten.
Es ist immer wieder eine Ehre für manche Positionen genannt zu werden. Aber mein Platz ist an der Seite von Landeshauptmann Thomas Stelzer, als Landeshauptmann-Stellvertreterin, und ich werde gemeinsam mit ihm in die Landtagswahl 2027 gehen.

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