Tischtennis-Legende Liu Jia im Interview
"Will mit Menschen zusammen sein, die so ticken wie ich"

Liu Jia zählt zu den erfolgreichsten Sportlerinnen Oberösterreichs und brachte den heimischen Tischtennissport auf ein professionelleres Niveau. | Foto: BRS/Flecker
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Tischtennis-Legende Liu Jia zog als 15-jähriges Mädchen von Chinas Hauptstadt Peking in die oö. Landeshauptstadt. Im Interview mit der BezirksRundSchau erzählt die ehemalige Europameisterin und sechsfache Olympiateilnehmerin von ihrer schwierigen Anfangszeit in Linz  und warum sie in Oberösterreich alt werden möchte. 

BRS: Jia, mit 15 Jahren bist du von Peking nach Linz gezogen – wie wurden die Österreicher aufmerksam auf dich?

Liu Jia: Das war reiner Zufall. Die Österreicher absolvierten in Peking ein Sommertrainingscamp – ich war eine von vielen Spielerinnen, die mit ihnen trainiert hat. Mir hat es extrem getaugt, mit den Österreichern zu spielen. Im Gegensatz zu meinen Kolleginnen waren sie richtig frech, da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben gesehen, dass man beim Training auch Spaß haben kann. Wir sind teilweise auf und unter den Tischen herumgesprungen und haben nur herumgeblödelt. Das war natürlich nicht das beste Training damals, für mich war es aber eine unvergessliches Trainingswoche. Als ich dann mehrere Angebote bekam, wollte ich unbedingt nach Österreich – nur wegen diesen Kindern, mit denen ich so viel Spaß hatte. 

In Österreich gab es damals die Idee, jemanden für das Nationalteam einzubürgern. Die österreichischen Trainer haben damals gesehen, dass es da ein junges Mädchen mit Talent gibt, das auch kulturell gut nach Europa passen könnte. Dass es dann so eine Erfolgsgeschichte wird, mit nationalen und internationalen Titeln, das konnte niemand erahnen, war aber das Resultat harter Arbeit. 

Liu Jia (li.) bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen. Insgesamt nahm die gebürtige Chinesin sechsmal an den Sommerspielen teil – in Rio de Janeiro 2016 war sie Fahnenträgerin der österreichischen Olympiamannschaft. | Foto: Liu Jia
  • Liu Jia (li.) bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen. Insgesamt nahm die gebürtige Chinesin sechsmal an den Sommerspielen teil – in Rio de Janeiro 2016 war sie Fahnenträgerin der österreichischen Olympiamannschaft.
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Als klar war, dass du nach Österreich gehen willst, wie hat das deine Familie aufgenommen?

Meine Eltern haben das sehr gut aufgenommen und ich war sehr dankbar, dass sie so offen gewesen sind und mich gehen haben lassen. Sie haben mich damals toll unterstützt und sofort begonnen das Visum und einen Flug zu organisieren.

Wie waren deine ersten Eindrücke, als du in Linz angekommen bist?

Das war ein riesiger Kulturschock für mich. Ich habe mich gefragt, wo hier die Menschen sind und warum es kaum Fahrräder gibt. Mir fehlte der Lärm, das Licht, die Geschäfte – das hat mich innerlich so gestresst, dass ich mich auf der Fahrt nach Linz sogar übergeben musste. Ich fragte mich, wo fahren die mich da überhaupt hin? Mir sind tausende Gedanken durch den Kopf gegangen. Als mich die Familie von Froschberg-Manager Günther Renner empfangen hat, gab es ein richtiges Festessen mit kalter Platte, Schweinsbraten und Schnitzel – ich war aber noch so geschockt und wollte das alles gar nicht essen – alles was ich wollte, war ein bisschen Reis.

Wie ging es dir zu Beginn mit der Sprachbarriere? Du konntest ja noch kein Wort Deutsch ...

Ich habe ja bei Familie Renner gewohnt. Es war sicherlich für beide Seiten ein harter Start und wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt. Die Lebensgewohnheiten wurden da schon ziemlich auf den Kopf gestellt. Sie haben sich aber gut um mich gekümmert und mir auch dabei geholfen Deutsch zu lernen. Ein Problem war, dass ich nicht in die Schule gehen durfte – das war wegen der fehlenden Deutschkenntnisse nicht möglich. Wenn man aber kommunikativ und offen ist, kann man auch so die Sprache schnell erlernen. 

Die 41-Jährige arbeitet in der Kommunikationsabteilung von Backaldrin und kümmert sich unter anderem um asiatische Geschäftspartner.  | Foto: BRS/Flecker
  • Die 41-Jährige arbeitet in der Kommunikationsabteilung von Backaldrin und kümmert sich unter anderem um asiatische Geschäftspartner.
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Wie haben dich die Menschen generell in OÖ aufgenommen? Wie haben die Teamkolleginnen reagiert, als da plötzlich eine neue Spielerin aus China im Verein auftauchte?

Ich glaube, ich habe das Vereinsleben bei ASKÖ Froschberg schon stark verändert. Da waren viele Spielerinnen dabei, die haben Tischtennis eher als Hobby betrieben. Ich habe den Verein regelrecht gequält und tägliche Trainings am Vormittag und am Nachmittag eingefordert. Wenn man nur zwei- oder dreimal in der Woche trainiert, dann kann man nicht gut werden. Und das war mein Ziel – ich wollte international mit den Besten mithalten. Natürlich war ich deshalb bei manchen Leuten im Verein auch unbeliebt, das war mir aber egal. Ich wollte einfach nur trainieren und auch die Möglichkeiten dazu erhalten. Günther Renner hat das auch anerkannt und nach und nach die Trainingsgestaltung an meine Bedürfnisse angepasst. 

Wie ging es dir mit dem Heimweh? Wie oft hattest du Kontakt zu deiner Familie?

Damals gab es noch kein Internet und so habe ich alle zwei Wochen in der Telefonzelle mit meinen Eltern telefoniert. Ein bisschen Heimweh war schon da, aber ich war immer gut beschäftigt mit dem Erlernen der Sprache und den Trainings. Als ich dann nach zehn Monaten die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten habe, bin ich zum ersten Mal wieder nach China gereist. 

Mit diesem Schläger krönte sich Liu Jia zur Europameisterin bei der EM 2005 im dänischen Aarhus. | Foto: BRS/Flecker
  • Mit diesem Schläger krönte sich Liu Jia zur Europameisterin bei der EM 2005 im dänischen Aarhus.
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War es eine bewusste Entscheidung, dass du erst mit dem Erhalt der Staatsbürgerschaft wieder nach China zurückreist?

Damals habe ich China mehr oder weniger heimlich verlassen. Ich wurde ja noch stark gefördert und sie wollten mich leistungsmäßig noch weiterbringen. Es gab damals sicherlich die Angst, dass ich ohne österreichischen Pass vielleicht nicht mehr ausreisen hätte dürfen. So ehrlich muss man sein, in einem Land wie China ist alles möglich. Da läuft nicht immer alles gut.

Dass du offiziell nach Österreich gehst, wäre also gar nicht möglich gewesen?

Ich denke nicht. China war in den 90er-Jahren politisch noch nicht so offen wie jetzt. Die hätten mich auf jeden Fall gestoppt damals.

Kommen wir zurück auf Oberösterreich. Wie gut kennst du dich in der Region aus? Hast du gewisse Lieblingsplatzerl?

Oberösterreich habe ich erst besser kennengelernt, als ich meine Tochter bekommen habe. Zuvor war ich ja permanent weltweit unterwegs. Mit der Familie haben wir dann viele Ausflüge über das Wochenende gemacht – da habe ich das Bundesland so richtig lieben gelernt. Im Sommer sind wir oft im Salzkammergut zum Wandern oder auch Baden am Wolfgangsee. Im Winter verbringen wir viel Zeit am Hochficht oder in Hinterstoder. Ich bin eine leidenschaftliche Skifahrerin, meine Tochter fährt mir aber auf jeder Strecke davon – sie steht schon seit der Krabbelstube auf den Skiern. Zur Entspannung bin ich auch sehr gerne in der Therme in Bad Schallerbach.

Mit ihrer Familie verbringt die leidenschaftliche Skifahrerin gerne Zeit auf der Skipiste. | Foto: Liu Jia
  • Mit ihrer Familie verbringt die leidenschaftliche Skifahrerin gerne Zeit auf der Skipiste.
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Als du nach OÖ gekommen bist, war Reis noch am täglichen Speiseplan. Wie hat sich dein Zugang zur heimischen Küche entwickelt? Was sind deine Lieblingsspeisen?

Wenn wir in den Bergen unterwegs sind und dann in ein Gasthaus gehen, dann gibt es nur zwei Bestellungen: Schnitzel und Schweinsbraten. Das sind definitiv meine Lieblingsspeisen, wobei ich nicht jeden Tag Fleisch esse. Kaiserschmarrn und Palatschinken dürfen natürlich auch nicht fehlen. Generell ernähre ich mich aber sehr gesund und achte darauf, viel Gemüse zu essen. Von der Körperstatur her bin ich als Asiatin eher zart gebaut, zu deftiges Essen würde mein Körper auf Dauer gar nicht vertragen. 

Wie würdest du den Begriff "Heimat" für dich definieren?

Heimat ist für mich Vertrautheit, Identität und natürlich Kultur. Ich fühle mich sehr verbunden mit der oberösterreichischen Kultur und da gehört auch mein Umfeld dazu, dass mir das Gefühl gibt, zuhause zu sein. Mit Menschen zusammen zu sein, die so ticken wie ich – das ist Heimat für mich. In China sind meine Wurzeln, da habe ich Familie und Verwandte und ich liebe die Menschen dort. Aber zuhause fühle ich mich nur in Oberösterreich. Ich möchte hier alt werden.

Wandern im Salzkammergut zählt zu den liebsten Freizeitbeschäftigungen im Sommer.  | Foto: Liu Jia
  • Wandern im Salzkammergut zählt zu den liebsten Freizeitbeschäftigungen im Sommer.
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Welche Ziele verfolgst du noch in deiner sportlichen Karriere? Es kam für viele überraschend, dass du noch einmal durchstarten möchtest.

Mit dem Team bei Olympia spielen zu dürfen, das wäre natürlich toll. Im Moment sieht es aber schwierig aus, wir haben nur noch eine Chance uns zu qualifizieren. Da der Qualifikationsmodus geändert wurde, müssen wir bei der Weltmeisterschaft das Viertelfinale erreichen. Wir haben eine gute Mannschaft, aber es gibt viele starke asiatische Mannschaften, da müssten wir zumindest eine davon schlagen, was sehr schwierig wird. 
In den kommenden Monaten werde ich für den Pariser Klub Saint Denis in der nationalen Liga spielen – da möchte ich gerne meinen Beitrag für eine erfolgreiche Saison leisten.

Welche Ziele verfolgst du für die Zeit nach deiner aktiven Karriere? Gibt es Projekte, die dich reizen?

Ich bin nun das zweite Jahr für ein Projekt vom Österreichischen Tischtennisverband engagiert, in dem ich mich um die Mädchen der Nachwuchs-Nationalmannschaft kümmere. Insgesamt sind es acht Mädchen von der U11 bis zur U15. Es macht mir sehr viel Spaß mit ihnen zu arbeiten. Ich denke, wir haben da so etwas wie eine Goldene Generation, die vor allem die richtige Einstellung zum Profisport mitbringt.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg in der Zukunft. 


Die größten Erfolge in der Karriere von Liu Jia:

  • Europameisterin 2005 in Aarhus
  • zweifache Vize-Europameisterin
  • zweifache Champions League-Siegerin mit ASKÖ Froschberg
  • Platz 1 im Europe TOP-16
  • Siegerin im europäischen Ranglistenturnier Europe TOP-12
  • Deutsche Meisterin und Pokalsiegerin mit Kolbermoor
  • Siegerin im DHS Europe Cup
  • mehrfache österreichische Staatsmeisterin


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