Christian Wehrschütz
Ein Leben im Kriegsgebiet

Kriegsreporter Christian Wehrschütz hat viel erlebt. In Ried stellte er sich den Fragen der BezirksRundschau.  | Foto: Christian Doms
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  • Kriegsreporter Christian Wehrschütz hat viel erlebt. In Ried stellte er sich den Fragen der BezirksRundschau.
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Christian Wehrschütz (61) war am vergangenen Donnerstag zu Gast in Ried und zog dabei in zwei Veranstaltungen Jugendliche und Erwachsene in seinen Bann.

RIED/KIEW. Der Steirer berichtet seit Ende 1999 als ORF-Korrespondent aus Belgrad über das ehemalige Jugoslawien und Albanien. Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine, dort leitet er seit 2015 das Büro in Kiew, ist der Steirer durch Radio und Fernsehen einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Im Interview mit der BezirksRundschau spricht „Österreichs Journalist des Jahres 2014“ über seine Arbeit, sein neues Buch, den Krieg und was er braucht, um sich zu erholen. Außerdem erzählt der verheiratete zweifache Vater, wie er mit der ständigen Gefahr lebt, getötet zu werden. Erst kürzlich wurde sein Büro in Nikopol von einer Rakete beschossen, wie durch ein Wunder blieben Wehrschütz und sein Team unverletzt.

Vor kurzem wurde Ihr Büro in Nikopol von Raketen getroffen. War das die bedrohlichste Situation in Ihrer Kriegsreporter-Laufbahn?
Christian Wehrschütz: In Bachmut drehte ich die Evakuierung eines schwerverletzten Soldaten. Als wir ihn schließlich ins Spital gebracht hatten, sagte der Fahrer der Rettung zu uns: „Ihr habt doch eh mitbekommen, dass uns russische Granatwerfer bei der Ausfahrt aus Bachmut beschossen haben?“ Gott sei Dank haben sie nicht getroffen. Ansonsten hatten wir viel Glück, denn in einem Kriegsgebiet ist man sehr schnell mal „zur falschen Zeit am falschen Ort“.

Wann und wie hat Ihre Frau von dem Beschuss in Nikopol erfahren?
Ich habe Sie bewusst erst am Morgen angerufen, da ich ihr die Nacht nicht vermiesen wollte. Doch sie erzählte mir, dass sie in dieser Nacht ganz schlecht geschlafen hat. Wir sind da irgendwie schon ganz tief verbunden, trotz tausender Kilometer Entfernung.

Wenn Sie nach einem Heimaturlaub wieder Richtung Ukraine fahren, wie läuft hier der Abschied ab? Gibt es da Tränen bei der Familie?
Nein! Nach dem Vorfall in Nikopol war die Sorge natürlich groß. Doch meine Familie weiß, dass meine Arbeit nicht immer ungefährlich ist, allerdings wissen sie auch, dass mein Team und ich keine Selbstmörder sind. Wie versuchen Situationen richtig einzuschätzen und wissen, wie weit wir gehen können. Allerdings ist man im Krieg – wie bereits erwähnt – eben auch mal schnell am falschen Ort.

"Ich bin in erster Linie ein Korrespondent, der das Pech hatte, dass in dem Land, wo er arbeitet, gerade Krieg ist." Wehrschütz über den Begriff Kriegsreporter. 

Wie stehen Sie zu der Bezeichnung Kriegsreporter?
Sehen Sie, ich bin in erster Linie ein Korrespondent, der das Pech hatte, dass in dem Land, wo er arbeitet, gerade Krieg ist. Ich war ja auch schon vor dem Krieg dort.

Waren Sie am 24. Februar überrascht, als Russland die Ukraine angriff?

Nein, da nicht mehr. Seit 17. Februar sind die Kämpfe im Donbass wieder aufgeflammt. Und der Kreml ist hier dann drehbuchartig vorgegangen: Der „Hilferuf“ der Anführer der Volksrepubliken Donezk und Luhansk, die spätere Anerkennung dieser durch Moskau oder auch die sogenannte Entnazifizierung. Die Frage war dann nur noch, ob der Krieg im Donbass bleibt, oder sich auf die ganze Ukraine ausbreitet.

Ist man mit Russland nach der Annexion der Krim 2014 falsch umgegangen?
Nach 2014 waren die Sanktionen sehr weich. Erst nach dem Abschuss des Passagierflugzeugs Malaysia-Airlines-Flug 17, bei dem 298 Menschen ums Leben kamen, wurde hier verschärft. Es ist schade, dass das Minsker Abkommen für die Ostukraine nicht umgesetzt wurde. Insgesamt ist das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen, hier vor allem die USA, schon viele Jahre eines gewesen, das auf Misstrauen basierte. Ein Beispiel ist Putins Rede bei der Sicherheitskonferenz in München im Jahre 2008, aber auch die Art und Weise der NATO-Osterweiterung des Jahres 2004. Für die massive Entfremdung trägt der Westen, insbesondere die USA, eine Mitverantwortung. Doch dieser Umstand bedeutet keine Rechtfertigung für den Krieg, den Russland am 24. Februar begonnen hat.

"Es ist egal, ob man Leichen von Ukrainer oder Russen sieht, es sind alles Menschen." Wehrschütz über sein Leben im Kriegsgebiet.

Sie erleben speziell jetzt in der Ukraine viel Leid. Wie gehen Sie damit um?
Das tut schon sehr weh. Die Älteren, die sich kaum helfen und auch nicht flüchten können, die Kinder, aber auch die jungen Soldaten! Es ist einfach eine Katastrophe. Da ist es auch egal, ob man Leichen von Ukrainer oder Russen sieht, es sind alles Menschen. Wir versuchen aber auch da zu helfen, wo es geht. Ich habe ein Mädchen und ihren noch jüngeren Bruder kennengelernt. Beide haben ihren Vater im Krieg verloren. Ich habe eine Hilfsorganisation kontaktiert, die Kindern mit ihren Müttern einen Erholungsaufenthalt in Österreich ermöglicht. Beim nächsten Mal werden die beiden dabei sein.

Haben Sie im Krieg schon Wegbegleiter verloren?
Gott sei Dank (noch) nicht. Nur zwei Kameraleute haben unser Team verlassen, weil Sie nicht im Krieg arbeiten wollten.

"Nichts geht über den Opa-Tag." Der 61-Jährige liebt die Tage mit seiner Enkelin.

Sie sind Milizoffizier (Major) beim österreichischen Bundesheer. Sind Sie dadurch gegenüber Ihren Kollegen im Vorteil?
Natürlich ist es ein Vorteil, wenn man eine militärische Ausbildung hat. Man kann die Lage besser und schneller beurteilen.

Wie viele Stunden hat ein Arbeitstag in einem Kriegsgebiet? Wie gestaltet man dort Freizeit?
Freizeit gibt es da kaum, und wenn, dann versuche ich mal auszuschlafen und stelle mir keinen Wecker. Doch da gibt es ja noch die innere Uhr. Heute zum Beispiel (Anm. d. Red.: Donnerstag) musste ich einen Beitrag für das Ö1-Morgenjournal gestalten und habe mir den Wecker auf 6 Uhr gestellt, wach geworden bin ich aber um 5 Uhr. Richtig gut und lange schlafen kann ich nur dann, wenn unsere Enkelin bei uns zu Hause übernachtet.

Wie schalten Sie ab und erholen sich?

Da gibt es den Opa-Tag mit meiner Enkelin, da geht nichts darüber. Meine Familie ist mein Ausgleich!

Sind Sie in diesem Konflikt parteiisch?
Über einen Konflikt oder Krieg zu berichten, lässt sich auch mit der Aufgabe eines Journalisten vergleichen, der über einen Autounfall berichten soll. Es gibt zwei Parteien, möglicherweise Zeugen, die Polizei und einen Gutachter. Nur ist ein Krieg viel komplexer und die Herausforderungen sind viel größer. Objektivität ist für mich aber das oberste Gebot.

Möchte die ukrainische Bevölkerung Friedensverhandlungen?
Dazu gibt es keine verlässlichen und seriösen Umfragen. Ich kann nur eines sagen, das Durchhaltevermögen der Ukrainer ist beeindruckend. Die Wirtschaftstreibenden wären für solche Gespräche sicherlich offen, da ja jetzt schon sehr viel an Infrastruktur zerstört wurde. Doch wenn es Verhandlungen geben sollte, dann nur mit einer Lösung zwischen Russland und den USA. Ein kleiner Lichtblick ist, dass man sieht, dass gesprochen wird. Es werden ja auch Gefangene ausgetauscht.

Wann endet dieser grausame Krieg?
Nur eines ist fix: Er dauert so lange, bis er vorbei ist! Soll heißen, dass diese Frage einfach schwer zu beantworten ist. Aktuell ist kein Ende in Sicht.

"Ich glaube, hier denken noch alle sehr rationell und keiner möchte das." Wehrschütz über einen möglichen Einsatz von Atombomben.

Glauben Sie, dass es zu einem offenen Krieg mit der NATO kommt und im schlimmsten Fall zum Einsatz von Atombomben?
Ein Einsatz von Atombomben würde vermutlich das Ende der Welt bedeuten. Ich glaube, hier denken noch alle sehr rationell und keiner möchte das. Es gibt derzeit auch keine Anzeichen dafür. Doch dass Atomwaffen wieder ein ernsthaftes Thema sind, ist schon schlimm genug.

Bei all der Angst vor einem noch „größeren“ Krieg und der ständig schlechten Nachrichten aus der Ukraine, was stimmt Sie zuversichtlich?
Zuversichtlich zu sein, fällt aktuell schon sehr schwer. Die Welt hat sich im Februar sehr verändert. Frieden ist in Europa keine Selbstverständlichkeit mehr. Doch da ist nicht nur der Krieg. Die Pandemie, die Flüchtlingskrise, die hohe Inflation, die schlechter gewordene Deutsch-Französische-Beziehung usw. Ich glaube, wir haben in Europa und der Welt auch nicht das beste politische Personal, um diese Krisen zu meistern. Wir als kleines Land sind nicht so ausschlaggebend. Ein Otto von Bismarck ist aktuell in der Weltpolitik keiner dabei.

Wir haben in Europa und der Welt auch nicht das beste politische Personal, um diese Krisen zu meistern." Christian Wehrschütz. 

Warum haben Sie für Ihr neues Buch den Titel „Mein Journalistenleben zwischen Darth Vader und Jungfrau Maria“ gewählt?
In der Ukraine habe ich 2015 den Spitzenkandidaten einer Internetpartei interviewt, dieser Mann war im Wahlkampf immer als Star Wars-Bösewicht Darth Vader verkleidet. Erst später haben wir erfahren, wer wirklich dahintersteckte. Es war eine gut gemachte Kampagne. In Medjugorje, einem bosnischen Pilgerort, wurde ich Zeuge, als eine Frau angeblich eine Botschaft der Jungfrau Maria empfangen hat. Ich habe diese Gläubigen immer bewundert, daher soll man sich darüber auch nicht lustig machen, und das mache ich auch nicht.

Kriegsreporter Christian Wehrschütz hat viel erlebt. In Ried stellte er sich den Fragen der BezirksRundschau.  | Foto: Christian Doms
Vor dem Interview sprach der 61-Jährige vor rund 400 Schülern über sein Leben. Mit dabei: Frau Elisabeth, die hier eine Frage einer Schülerin beantwortete. | Foto: Christian Doms
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