„In Bad Ischl hat die Hetze gleich begonnen“
INTERVIEW: Einer der ältesten KZ-Überlebenden – der St. Wolfganger Leopold Engleitner – über den „Anschluss“.
SALZKAMMERGUT (tk) Als Kriegsdienstverweigerer wurde Leopold Engleitner von den Nazis in drei Konzentrationslager deportiert – Buchenwald, Niederhagen und Ravensbrück. In seiner Heimat wurde er – erst spät – rehabilitiert und kämpft seither mit seinem Biografen Bernhard Rammerstorfer (Bild) gegen das Vergessen.
BezirksRundschau: Wie haben Sie den 12. und 13. März 1938 erlebt?
Engleitner: Ich war mit meinem Fahrrad gerade von einer Zusammenkunft der Zeugen Jehovas in Bad Ischl auf dem Heimweg Richtung St. Wolfgang, als mir eine lange Militärkolonne deutscher Soldaten entgegen gekommen ist. Die Soldaten sind direkt an mir vorbei marschiert. Es ist mir klar gewesen, dass es ab nun sehr schwierig werden wird für mich, da ich fest entschlossen war, nicht von meinem Glauben abzuweichen, aber schon wusste, dass Hitler die Zeugen Jehovas in Deutschland brutal verfolgt hat.
In unserer Zeitschrift „Trost“ wurden sogar schon Zeichnungen von Konzentrationslagern veröffentlicht und über die Zustände darin geschrieben. Ich war also gewarnt und wusste, was auch auf mich zukommen wird.
Es hat in Bad Ischl auch gleich mit der Hetze gegen Juden begonnen. Es wurden Plakate aufgehängt, mit der Aufschrift: „Jude, packe schnell dein Bündel, jetzt ist es aus mit dem Gesindel!“
Mich hat das sehr gestört, zumal ich mit dem jüdischen Bad Ischler Kaufman Ernst Morgenstern gute Erfahrungen gemacht habe. Er hat mir einmal eine Lederhose ganz billig verkauft, da ich nicht genügend Geld hatte und er war der einzige, der uns Zeugen Jehovas in Bad Ischl sein Kino vermietet hat, um einen biblischen Film („Photodrama der Schöpfung“) vorzuführen. Leider wurde ihm schnell sein Geschäft weggenommen, seine Frau beging daraufhin sogar Selbstmord und er ist mit seinen zwei Söhnen nach England geflüchtet und nicht mehr nach Österreich zurückgekehrt.
Wie änderten sich Ihre persönlichen Lebensumstände durch den Anschluss?
Zu Beginn gab es für mich sogar eine Besserung. Im Austrofaschismus wurde mir ungerechterweise wegen meines Glaubens die Arbeitslosenunterstützung entzogen und damit war ich am Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar.
Was die Ausübung meines Glaubens betraf, wurde es immer schwieriger. Wir wurden sofort verboten und durften uns nicht mehr versammeln. Darum haben wir unsere biblischen Zusammenkünfte geheim in Privatwohnungen abgehalten. So ist es gekommen, dass ich am
4. April 1939 in Bad Ischl mit drei anderen Zeugen Jehovas verhaftet worden bin. Zuerst kam ich in die Gefängnisse Bad Ischl, Linz und Wels. Dann wurde ich ins Konzentrationslager Buchenwald transportiert.
Wie würden Sie die Stimmung in der Bevölkerung zu dieser Zeit beschreiben?
Die meisten Menschen waren begeistert, da sie Hitlers Versprechungen geglaubt haben und auch die Kirchen waren für ihn. In den Zeitungen wurden sogar Aufrufe der katholischen und evangelischen Kirche veröffentlicht, dass die Gläubigen bei der Volksabstimmung mit „Ja“ stimmen sollten. Das kam für mich natürlich nicht in Frage.
Haben Sie unmittelbar nach dem Anschluss Repressalien wegen Ihres Religonsbekenntnisses erlebt?
Ja, meine ganze Verfolgung war aufgrund meiner Religion. Wir durften uns nicht mehr versammeln und unseren Glauben ausüben. Es ist vielleicht interessant, dass ich immer der Verfolgung entgehen hätte können, wenn ich meinen Glauben aufgegeben hätte und für Hitler in den Krieg gezogen wäre. Sogar die Entlassung aus dem KZ wäre möglich gewesen, wenn ich damit einverstanden gewesen wäre. Das kam aber für mich nicht in Frage, da ich mich unbedingt an das biblische Gebot „Du sollst nicht töten“ halten wollte, komme, was da wolle.
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