Interview
Anni Hasibether kämpft weiter gegen sexuellen Missbrauch

Anni Hasibethers zweites Buch "Anni. Ich kämpfe weiter !" ist im Mai 2021 im Innsalz-Verlag erschienen. Darin beschreibt sie, wie sie Menschen heute als Peer-Beraterin zur Seite steht – von Betroffenen, für Betroffene. | Foto: Michelle Bichler
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  • Anni Hasibethers zweites Buch "Anni. Ich kämpfe weiter !" ist im Mai 2021 im Innsalz-Verlag erschienen. Darin beschreibt sie, wie sie Menschen heute als Peer-Beraterin zur Seite steht – von Betroffenen, für Betroffene.
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In ihrem zweiten Buch "Anni. Ich kämpfe weiter!" erzählt die 62-Jährige, wie sie mit ihrer Vergangenheit umzugehen gelernt hat und wie sie Betroffenen heute hilft.

ST. FLORIAN AM INN (bich).  Im Interview spricht die Pensionistin über Drohbriefe nach Erscheinen ihres ersten Buches, wieso Wegschauen gar nicht geht und wieso für sie sexueller Missbrauch ein "Mord am Menschen" ist. 

Sie haben in Ihrem ersten Buch „Anni - Die Geschichte einer verletzten Kinderseele“ aus dem Jahr 2018 darüber geschrieben, wie Sie als Kind jahrelang sexuell missbraucht worden sind. Nun haben Sie im Mai 2021 ein zweites Buch veröffentlicht: „Anni. Ich kämpfe weiter.“ Was erwartet die Leser?
Anni Hasibether: Ich helfe seit vielen Jahren Menschen, die Opfer von sexuellem Missbrauch sind, aber auch Menschen mit anderen Problemen kostenlos dabei, mit ihren Erlebnissen fertig zu werden und damit umzugehen, damit leben zu lernen. Seit 15 Jahren bin ich ausgebildete Peer-Beraterin. Mein Motto lautet: Von Betroffenen, für Betroffene. Im Buch zeige ich auf, wie ich als Peer-Beraterin arbeite, erzählte Geschichten darüber, wie ich Hilfe handhabe und wie ich auch Opfertätern helfe.

Was sind Opfertäter?
Das sind Menschen, die unschuldig verurteilt werden. Und bevor Sie fragen, wie ich weiß, ob jemand unschuldig ist oder nicht: Das bringst du raus, ob einer das war oder nicht.

"Mein Motto lautet: Von Betroffenen, für Betroffene. Im Buch zeige ich auf, wie ich als Peer-Beraterin arbeite und erzählte Geschichten darüber, wie ich Hilfe handhabe." (Anni Hasibether)

Warum brauchte es ein zweites Buch?
Obwohl sich nach dem ersten Buch schon einige gemeldet haben und einige mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit gegangen sind, sind es noch viel zu wenige. Das Thema ist einfach noch zu sehr tabu. Mein Buch soll dabei helfen, dass sich die Menschen trauen aufzustehen und nicht mehr den Kopf einstecken, sondern in Richtung Täter sagen: Du nicht mehr!

Wie ging es Ihnen beim Schreiben der beiden Bücher? Gab’s Unterschiede zwischen Ihrer Gemütslage zwischen Buch 1 und 2?
Ja, auf alle Fälle. Das Erste war mit viel Schmerz, Aggression, Wut und Hilflosigkeit verbunden. Beim zweiten Buch war es mehr: Schaut’s her, ich darf kämpfen, ich darf aussagen, ich darf hochmütig sein. Ich fürchte mich nicht mehr. Das war das zweite Buch. 

Wie waren die Rückmeldungen auf Ihr erstes Buch?
Das war einfach ein Hammer. Zum einen bekam ich Briefe mit Drohungen und Anfeindungen. Zum anderen aber auch viel positive Resonanz. Und das aus ganz Österreich. Da war ich total überrascht.

Warum glauben Sie ist sexueller Missbrauch auch heute noch so ein großes Tabuthema?
Ekel, da gibt’s kein anderen Wort. Außerdem fühlen sich Opfer ebenso wie Angehörige des Opfers einfach ohnmächtig, können mit der Situation nicht umgehen. Schämen sich und wollen das Erlebte einfach verdrängen. Das hilft aber leider nicht dabei, wieder leben zu lernen.

"Und genau das will ich den Leuten geben. Dass sie aufschauen können, nicht mehr den Kopf einstecken und in Richtung Täter sagen: Du nicht mehr!" (Anni Hasibether)

Gerade vor ein paar Tagen soll ein siebenjähriges Mädchen in Schärding sexuell missbraucht worden sein. Wie geht es Ihnen, wenn Sie so eine Geschichte hören?
Ich habe geweint. Man ist so machtlos.

Was raten Sie der Familie des Opfers und dem Opfer selbst?
Du kannst nicht mehr als reden. Spielen ist ganz wichtig. Und ja nicht mit Medikamenten still stellen. Du hast da so einen Schmerz in dir, und du verstehst das in dem Alter nicht. Was machst du dann mit 15 oder 16 Jahren, wenn der erste Freund kommt? Wie kann man sie vorbereiten? Es geht darum, wieder leben anzufangen. Und das geht nur mit Gesprächen, spielen, sich mal hinlegen dürfen, mal schweigen, mal schreien, was raus muss. All das.

Was kann jeder einzelne gegen sexuellen Missbrauch tun?
Nicht wegschauen, das ist ganz schlimm.

Sie möchten mit dem öffentlichen Sprechen über das Thema auch einen Rahmen bieten, der es möglich macht, sich über sexuellen Missbrauch auszutauschen. Inwieweit ist Ihnen das schon gelungen?
Wir hatten nach Erscheinen des ersten Buches eine Veranstaltung mit 90 Leuten. Das war ein toller Erfolg. Im Herbst halte ich wieder einen Info-Abend im Familienzentrum Schärding – am 18. September um 19 Uhr. Es ist wichtig, den Leuten das Thema immer wieder vor Augen zu halten. Und Opfern und betroffenen Familien zu sagen: Du brauchst dich nicht zu schämen, öffne dich. Denn Gefühle sind das Wichtigste.

In Ihrem Buch sind auch Zeichnungen und Bilder abgedruckt. Was zeigen Sie und sind die alle von Ihnen selbst?
Ja, die sind alle von mir. Und sie zeigen mein Leben, meine momentane Verfassung. Sie helfen mir einen weiteren Schritt zu gehen.

Inwieweit helfen Sie beim Verarbeiten von solch schlimmen Erlebnissen?
Sehr. Du zeichnest und wenn du fertig bist, fühlst du dich plötzlich befreit und denkst: Ich wusste gar nicht, dass das in mir drinnen war. Das kann positive wie negative Befreiung sein. Ich zeichne auch mit den Leuten. Viele verwenden oft nur eine einzige Farbe, hängen sich die Bilder aber dann trotzdem auf. Denn sie sind Ausdruck ihrer Gefühle.

Sie haben sich zu einer Peer-Beraterin ausbilden lassen. Was machen Sie als solche konkret?
Ich bin seit 15 Jahren Peer-Beraterin. Dabei führe ich Gespräche mit den Leuten. Ich bin keine Psychologin und keine Therapeutin. Ich bin eine Betroffene, die weiß oder hofft zu wissen, wie man am besten lernt, mit dem Ganzen umzugehen, wie man lernt sich hinschauen zu trauen. Das wäre so wichtig. Weil die die aufstehen können vielleicht – und es ist wirklich ein Vielleicht – helfen, dass von dem Täter nicht noch eines missbraucht wird. Da ist das WIR wichtig, nicht ich, sondern WIR.

"Sexueller Missbrauch ist meines Erachtens Mord am Menschen, an seiner Seele. Die körperlichen Wunden heilen, die geistigen nie. Du musst dein Leben damit leben, dein ganzes. Die Erinnerung und der Schmerz verjähren nicht." (Anni Hasibether)

Wie kontaktieren Sie die Menschen, die Ihre Hilfe suchen?
Ich bin auf Facebook vertreten. Da einfach eine persönliche Nachricht schreiben. Nachdem ich einige Drohungen erhalten habe, gebe ich nicht mehr so einfach meine Telefonnummer oder Adresse bekannt.

Sie planen ja neben der Buchveröffentlichung auch noch eine Unterschriftenpetition.
Ja, genau. Ich habe bereits nach dem ersten Buch Unterschriften gegen Verjährung von sexuellem Missbrauch gesammelt. August Wöginger hat uns damals stark geholfen, die Liste haben wir damals dann dem Spindelegger übergeben. Das möchte ich jetzt wieder machen. Es darf keine Verjährung mehr geben und das Strafmaß für die Täter muss erhöht werden – das ist ehrlich gesagt eine Frechheit. Denn sexueller Missbrauch ist meines Erachtens Mord am Menschen, an seiner Seele. Die körperlichen Wunden heilen, die geistigen nie. Du musst dein Leben damit leben, dein ganzes. Die Erinnerung und der Schmerz verjähren nicht.

Außerdem möchten Sie Informationsveranstaltungen zum Thema halten.
Ja. Dafür suche ich noch Räumlichkeiten. Wenn also ein Wirt oder eine Gemeinde bereit ist, mir ihren Saal zur Verfügung zu stellen, wäre ich sehr dankbar.

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Foto: Cityfoto
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