Leserbrief
"Schuster bleib bei deinen Leisten"

Die Schärdinger Ärztin Dr. Ursula Hammel nimmt in ihrem Leserbrief Stellung zum Online Bericht "Schärdinger Firmen gegen Spaltung und Impfpflicht" (hier geht's zum Bericht).

„Impfen ist die Teilnahme an einem Genexperiment“ sagt Herr Pretzl, Geschäftsführer einer angesehenen Edelstahlfirma. Dazu kann ich als Ärztin nur sagen: „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ Und das wäre auch schon im Wesentlichen die Zusammenfassung meines Leserbriefs. Wie Sie sich unschwer vorstellen können, verstehe ich als Ärztin nicht wirklich was von Edelstahlverarbeitung, von Fertigputz, von Fenster, Türen oder Sonnenschutz – aber ganz viele Mitmenschen verstehen plötzlich – durchaus fantasievoll - was von Medizin, von Infektiologie, von Viruserkrankungen, von Behandlungsmöglichkeiten, die angeblich verschwiegen werden, von der Wirkweise von Impfstoffen – und geben ohne zu zögern Tipps ab an Angestellte, an Arbeitskollegen, Freunde, Verwandte. Also gut. Wenn jemand von den Mitlesern mal eine Beratung braucht bzgl. Sonnenschutz oder Edelstahldruckbehältern oder Fertigputz: Machen Sie sich gerne bei mir in der Ordination einen Termin aus - Sie werden 100-prozentig kompetent beraten, weil wir kennen uns sogar da gut aus (dank Google)! Und wenn wir nicht weiterwissen, dann fragen wir jemanden aus dem Wartezimmer, da findet sich bestimmt wer, der sich noch besser auskennt.

„Man darf jetzt ganz öffentlich Ungeimpfte beschimpfen.“ Ich wurde selbst schon hier und auf Facebook auf das tiefste beschimpft – von Menschen, denen ich selbst noch nie in meinem Leben begegnet bin (und solche Beschimpfungen lesen wiederum Tausende von irgendwo auf der Welt mit). Warum? Weil ich in meiner Ordination impfe – und zwar ausschließlich Menschen, die das selbst wollen. Ich kenne persönlich Kollegen, die derzeit anonyme Drohbriefe bekommen. Es werden Kollegen in der Impfstraße tätlich angegriffen. Es werden alte Menschen von jungen Verwandten innerhalb der Familie beschimpft, weil sie sich impfen ließen (Bericht einer Patientin). Einige davon bitten mich, ja nicht unbeabsichtigt den Kindern gegenüber zu erwähnen, dass sich die Oma impfen hat lassen. Weil sonst gibt’s wieder Streit zu Hause. Es wurde eine Mutter von ihren Arbeitskolleginnen bespuckt, weil sie ihren Sohn impfen ließ (Bericht einer Patientin). Es wurde eine Krankenschwester von ihren Kolleginnen für völlig verrückt erklärt und über mehrere Tage per Messenger etc. mit empörten Mails überhäuft, weil sie sich impfen ließ (Bericht der Betroffenen). Ich könnte noch einige Beispiele mehr aufzählen. Ganz ehrlich: Wo ist da jetzt der Respekt gegenüber der „freien Entscheidung“, wie soll das zusammengehen mit einer Initiative gegen die Spaltung der Gesellschaft, wenn ich in der Zeitung lesen kann, was mein Chef so über Geimpfte denkt, also z.B. über mich?

Statements, wie: Geimpfte würden „massenweise“ Ungeimpfte anstecken, sind schlichtweg falsch. Dass „Impfnebenwirkungen nicht erfasst“ würden, ist schlichtweg falsch. Dass die „Wirkung der Impfung nicht gegeben“ sei, ist schlichtweg falsch. Dies alles kann ich als Ärztin sehr wohl sagen, weil ich konkret davon etwas verstehe. Weil es mein Beruf ist. Weil ich die wissenschaftlichen Studien dazu habe und lese. Weil ich die Patienten selbst kenne. Weil ich es jeden Tag selbst miterlebe. Weil ich mich regelmäßig mit anderen Kollegen darüber austausche. Weil wir alle sehr genau schauen, was wir unseren Patienten empfehlen und was nicht. Weil wir Ärzte uns sehr wohl bewusst sind, welche Verantwortung wir übernehmen. Jeden Tag. Wohingegen ich mit Edelstahlverarbeitung, Sonnenschutz, Fertigputz und was es sonst noch für Berufe gibt, die ich nicht erlernt habe, eher weniger auskenne – und daher auch keine Aussagen darüber tätige, wie man einen Druckbehälter „richtig“ baut, mit welchen Schrauben eine Markise „keinesfalls“ montiert werden darf, und welches Verputzmaterial „das einzige und beste“ ist. Wenn ich solche Produkte haben möchte, dann frage ich die Spezialisten, die das anbieten. Weil ich davon ausgehe, dass sich die damit besser auskennen, als ich. Weil die das gelernt haben – und ich nicht. Weil ich denen vertraue.

Dass die Coronamaßnahmen ein heilloses Durcheinander geworden sind, ist vollkommen richtig. Die Politik muss sich tatsächlich den Vorwurf machen lassen, dass so einige Entscheidungen auf Druck starker Lobbies getroffen wurden (z.B. Tiroler Skitourismus). Auch einige sehr unglückliche Aussagen wurden getätigt, um steigende Unbeliebtheitswerte abzubremsen (Kurz versus Anschober) oder Beliebtheitswerte gegen die Konkurrenz nach oben zu treiben (Kickl oder MFG? Who´s the winner?). Dies alles hat uns mächtig auseinanderdividiert – keine Frage.

Aber jetzt „gemeinsam gegen Spaltung“ auftreten zu wollen – und im ersten Satz alle, die sich impfen lassen, als „Teilnehmer an einem Genexperiment“ zu bezeichnen – was durch die Blume gesagt nichts anderes bedeutet, als dass jeder, der sich impfen lässt, zu den Dummen zählt, und jeder, der impft (ich zum Beispiel), mit Menschen experimentiert (!) – das kann beim besten Willen nicht unkommentiert bleiben. Misstrauen und Zwietracht – genau das wird hier wieder gesät und treibt uns immer weiter auseinander. Das muss endlich aufhören! Das ist unerträglich.

Unternehmer möchten ja eine Vorbildwirkung haben, wenn sie sich zu so einer Initiative zusammentun: gegenüber ihren eigenen Mitarbeitern, gegenüber der Kundschaft, in der eigenen Region. Wer Vorbild sein möchte, übernimmt damit viel Verantwortung: Jedes Wort, jeder Satz, jede Aussage bekommt besonderes Gewicht. Wer aber glaubhaft gegen Spaltung auftreten will, der darf nicht lautstark und halbwissend der einen Seite Recht und der anderen Schuld geben. So einfach wäre es eigentlich!
Wir alle haben das schon mal besser gekonnt. Ich kann mich eigentlich noch gut dran erinnern. Vielleicht geht es Ihnen ja auch so.
Dr. Ursula Hammel
Schärding

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