Dialog der Kulturen: Von St. Pölten zum modernen Islam

Als Nachwehen des sogenannten "Arabischen Frühlings" liegt noch heute Stacheldraht auf dem place de l'Indépendance in Tunis.
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ST. PÖLTEN/TUNIS (jg). Stacheldraht liegt auf dem place de l'Indépendance in Tunis. Die französische Botschaft wird von Militärs mit gepanzerten Fahrzeugen bewacht und mit dem österreichischen Sturmgewehr "Stg 77" bewaffnete Sicherheitskräfte zeigen Präsenz. Zu Unruhen wie Ende 2010, als sich von Tunesien aus der sogenannte Arabische Frühling über Nordafrika ausbreitete, soll es schließlich nicht mehr kommen und auch Terroranschläge sollen unterbunden werden. Menschen, die die Avenue Habib-Bourguiba entlangschlendern, werden deswegen genau beobachtet. Zu diesen Menschen zählt auch Reinhard Gosch – Jener St. Pöltner, der sich aufmachte, um den Dialog der Kulturen zu leben.

Mit dem "Verein für den Dialog zwischen den Kulturen" mit Sitz in St. Pölten setzt Gosch auf kulturellen Austausch, um Barrieren abzubauen. Es geht um ein friedliches Miteinander, das Nehmen von Ängsten. Im Gespräch mit Gosch kommt man schnell auf Terrorismus und Flüchtlinge. Welche Rolle spielen dabei verschiedene Kulturen? Und wie sieht der von St. Pölten aus gepflegte Dialog konkret aus?
Laut Gosch sind Staatsgrenzen künstlich geschaffene Barrieren. Während sich Politik und Religion mit unterschiedlichen Machtansprüchen auf diese berufen, würden sich Kulturen über Grenzen hinweg vermischen.

"Erinnert an das Wienerlied"

Fawzi Chekili ist dafür ein Paradebeispiel. Der tunesische Künstler empfängt Gosch in seinem Haus, er begrüßt ihn mit Wangenküsschen und tischt heimische Spezialitäten auf. Chekili ist Pianist. Mit seinen Jazz-Arrangements tourte er durch die ganze Welt. Nun verarbeitet er seine Wurzeln, indem er Funk und Jazz mit klassisch nordafrikanischem Malouf mischt. Heraus kommt Musik, die mitreisst und vertrauter klingt, als man annehmen möchte. "Es erinnert ein bisschen an das Wienerlied", sagt Béatrice Chicanaux vom tunesischen Fremdenverkehrsamt, nachdem Chekili mit den Zwillingen Mohamed und Bechir Gharbi Kostproben seiner neuen Werke zum Besten gab. Das Brüderpaar mit sympathischem Lächeln und starkem Händedruck steht für ein Nordafrika, das den Dialog der Kulturen heute mehr braucht denn je.

Mit dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 habe es angefangen, heißt es schon im Flieger von Wien nach Tunis. Tunesien als Reiseziel wurde immer unbeliebter. Angst vor Terrorismus, der mit dem Anschlag auf das Nationalmuseum von Bardo im vergangenen März einen Höhepunkt erreichte, machte sich breit. Dschihadismus und IS regieren heute die europäische Berichterstattung, die an der nordafrikanischen Realität vorbeigeht.
Die Einschusslöcher im Museum sind zwar noch heute zu sehen. 24 Menschen kamen ums Leben. Am Tag des Anschlages spielten Mohamed und Bechir Gharbi allerdings unweit des Museums ein Konzert im Sinne eines modernen Islam. Sie wollten sich nicht dem Diktat des Terrors unterordnen und das Konzert absagen. So setzten sie schließlich ein Zeichen: "Wir sind die arabische Welt, die dem Terror selbst den Kampf ansagt."

Reich an Kulturschätzen

Die Welt von Mohamed und Bechir zeigt sich auch am Markt in der Altstadt von Tunis: Hier zerlegen junge Araber mit Tätowierungen auf den Oberarmen Thunfische. Sie grinsen in die Fotokameras und freuen sich, wenn sich Westeuropäer für sie und ihre Angebote interessieren. Männer mit dicken Bärten und martialischem Blick sucht man hingegen vergeblich. "Wird bewusst versucht, dieses Bild von Tunesien in Europa zu vermitteln, um Ängste zu nehmen und letztlich wieder Touristen ins Land zu locken?", fragen wir die tunesische Kulturministerin Latifa Lakhdhar.

Während Österreich Philharmoniker und Wiener Sängerknaben um die ganze Welt schickt, um Werbung zu machen und letztlich auch das österreichische Selbstverständnis zu stärken, spielt in Tunesien die eigene Kultur scheinbar eine untergeordnete Rolle. Man präsentierte Strände und "All inclusive Clubs". Dass Tunesien mit 40.000 Ausgrabungsstätten eines der reichsten Länder an Kulturschätzen ist, weiß in Europa wohl kaum jemand. "Es gibt noch viel zu tun", sagt Lakhdhar – und meint damit aber nicht nur die Tourismus-Werbung für das eigene Land.

Kampf für einen modernen Islam

Man merkt, dass trotz der politischen Umbrüche und demokratischer Strukturen in Tunesien eine Art Stillstand vorherrscht. Notwendige Reformen blieben bislang aus. Gerhard Weinberger, österreichischer Botschafter in Tunis, spricht von Unmut, der nun dem Land in Verbindung mit dem IS Probleme bereitet, obwohl Tunesier "im Grunde sehr europäisiert" seien. "In Tunesien gibt es so viele Leute, die mit diesen Entwicklungen nicht einverstanden sind", sagt er. "Sie wollen keine Europäer werden, aber sie schauen mit großer Begeisterung nach Europa."
Dies seien auch die Gründe, warum Tunesien das Land sei, von wo aus laut Weinberger ein Anstoß für eine dringend notwendige und echte Reform des Islam kommen werde. "Das kann nicht von Europa ausgehen", sagt er. "Eine Reform a lá Luther oder Calvin kann nur von den afrikanischen Ländern aus kommen. In Tunesien gibt es so viele Leute, die genau das wollen. Ich bin relativ optimistisch, dass dies gelingt."

Was kann dazu nun kultureller Austausch beitragen? Im Sinne des Vereins für den Dialog zwischen Kulturen liegen die Antworten auf der Hand: Er kann Ängste nehmen und Verständnis schaffen, was wiederum das Besinnen auf die eigenen Wurzeln, die im Fall von Tunesien keineswegs im Islamismus begründet sind, zu fördern vermag. So können Kulturen nicht nur über Grenzen hinweg verschwimmen. Sie können, indem Menschen wie Chekili, Mohamed und Bechir Gharbi vor den Vorhang geholt werden, dazu beitragen, künstliche Grenzen in Köpfen und reale Stacheldrahtverhaue abzubauen.

Dialog der Kulturen in der Bühne im Hof

Fawzi Chekili gastiert gemeinsam mit den tunesischen Newcomern Mohamed und Bechir Gharbi am 19. Juni um 19.30 Uhr im Rahmen des Dialoges zwischen den Kulturen in der Bühne im Hof in St. Pölten. Mit im Gepäck haben sie ihr Piano, eine Laute sowie eine Violine.
Tickets und nähere Infos auf www.bih.at

Die Bezirksblätter nahmen auf Einladung von Reinhard Gosch beziehungsweise des Vereins für den Dialog zwischen Kulturen an der Reise nach Tunesien teil. Die Kosten für die Reise übernahm das Tunesische Fremdenverkehrsamt.

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