Die andere Seite der Angst in St. Pölten
Kaum ein gutes Wort über Tschetschenen: Jungs wie Becan leiden in St. Pölten unter dem schlechten Image.
ST. PÖLTEN (jg). "Hat Österreich ein Tschetschenen-Problem?" wurde in der einen Zeitung gefragt. "Tschetschenische Jugendbande: Polizisten fürchten sich vor ihnen“, hieß es in der anderen. "Sie nennen sich "Wölfe": Junge Tschetschenen, die in der Wiener Millennium City einen Techniker brutal zusammengeschlagen haben. Warum sie so gefährlich sind", schrieb die dritte Zeitung.
Auch in St. Pölten verliert kaum jemand ein gutes Wort über Tschetschenen. Wenn es um sie geht, dann meist in Verbindung mit Kriminalität. Debatten kochten in St. Pölten vor allem rund um die Sicherheit am Bahnhof hoch, wobei die Ängste der St. Pöltner weniger auf konkreten Fakten sondern eher auf subjektivem Empfinden basieren.
Flucht vor dem Krieg
Die Angst der Bürger hat aber auch ein zweites Gesicht. Etwa jenes von Becan. Der heute 21-Jährige flüchtete mit seinen Eltern und Geschwistern 2003 vor dem Krieg in seinem Heimatland. Er besuchte in St. Pölten die Volksschule, absolvierte später die Polytechnische Schule und ist heute ein junger Mann wie viele andere: Er trägt schicke Schlüpfer mit weißen Socken, Jeans und weißes Shirt, spielte früher Fußball, guckt Fernsehserien wie "How I met your mother" und trainiert heute gerne im Fitness-Center. "Wenn ich nicht trainiere, ist der Tag vorbeigegangen und ich habe nichts gemacht", sagt er. Genau in diesem Punkt steht in Form von Becan, den Ängsten der St. Pöltner, eine andere Angst entgegen: Die vor der Zukunft. Denn der junge Tschetschene sucht aktuell einen Job. "Damit ich eine eigene Wohnung haben kann, ein Auto und vielleicht einmal heiraten", sagt er. "Mehr wünsche ich mir momentan gar nicht."
Von der Herkunft ablenken
Warum hat es bis jetzt nicht mit dem Job geklappt? "Ich glaube, wegen meinem Lebenslauf, in dem meine Herkunft steht", spielt Becan auf das negative Image seiner Landsleute an. "Ein paar Idioten machen irgendwas, und das fällt auf uns zurück", sagt er. Mit dieser Meinung steht Becan nicht alleine da. In einer Diskussionsrunde im Jugendzentrum Steppenwolf verpackten junge Tschetschenen vor einiger Zeit ihre Sorgen in Worte. Sie berichteten von Freunden, die die Stadt verließen, weil sie hier keine Jobs bekamen. "Ich versuche, bei Bewerbungen davon abzulenken, dass ich aus Tschetschenien komme", sagte einer. "Es ist halt schwer, aber es ist nicht unmöglich", sagt Becan.
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