True Crime Tirol
Der Fall Philipp Halsmann - Mord oder Unfall? - Teil 1

- Von der Berliner Hütte in der Nähe von Ginzling im Zillertal starteten die Halsmanns die verhängnisvolle Tour in unserem neuen True-Crime Tirol-Fall.
- Foto: MeinBezirk Tirol (Original Hubert Kurz)
- hochgeladen von Sabine Knienieder
Tirols düsterste Geheimnisse: Blutige Spuren in den Alpen, ungelöste Rätsel und grausame Verbrechen – in unserer neuen Serie tauchen wir tief in die schockierendsten Mordfälle Tirols ein. Wer waren die Täter? Welche dunklen Geheimnisse verbargen sich hinter den Verbrechen? Und wie wurden die Ermittler auf die Spur der Mörder geführt?
TIROL. Unser neunter Fall führt uns ins Zillertal des Jahrs 1928. Der Forscher Alexander Fleming entdeckt durch Zufall das Antibiotikum Penicillin. Die NSDAP Österreich galt als politische Splittergruppe. In Tirol wurde in diesem Jahr die Nordkettenbahn und die Hahnenkammbahn eröffnet. Damit sollte der Tourismus in Tirol gefördert werden, der zu dieser Zeit boomte. Alleine in Mayrhofen hatte sich in den vergangenen drei Jahren die Zahl der Nächtigungen verdreifacht. Gleichzeitig herrschte aber auch ein antisemitisches Klima in Tirol. Am 10. September 1928 kommt der jüdische Zahnarzt Morduch Halsmann aus Riga (Lettland), der 46-jährige Vater von Philipp Halsmann in den Tiroler Bergen zu Tode - und damit beginnt einer der aufsehenerregendsten Indizienprozesse in der Geschichte Tirols, der weit über die Landesgrenzen hinausreichte.
Darum geht's
- Bergtour ohne Wiederkehr
- Fund der Leiche und Verhaftung
- Der Verdacht gegen Philipp erhärtet sich
- Ein Indizienprozess wird vorbereitet
- 13. Dezember 1928 - Der Prozess beginnt
- Schuldig - mit neun gegen drei Stimmen
- Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
- Oberster Gerichtshof gibt Antrag statt
- Vorbereitung auf den zweiten Prozess
- Wie es weiter geht
Bergtour ohne Wiederkehr
Am Samstag, den 8. September 1928, planten Philipp und sein Vater Morduch Halsman eine mehrtägige Bergtour. Nach einer Fahrt mit der Zillertalbahn von Jenbach nach Mayrhofen und einem langen Marsch erreichten sie das Gasthaus Zur Alpenrose in Ginzling, wo der Vater zwei getrennte Zimmer verlangte. Am nächsten Tag bestiegen sie den imposanten Schwarzenstein, einen majestätischer Dreitausender in den Zillertaler Alpen. Nach einem Umweg zum Schwarzensee ging es zurück zum Gasthaus Zur Alpenrose.
Am 10. September starteten Vater und Sohn mit einem Bergführer zum Schönbichlerhorn (3.000 m). Nach der Gipfelbesteigung wanderten sie zum Furtschaglhaus, wo sie eine Rast einlegen wollten. Da Morduch Halsmann noch den letzten Zug von Mayrhofen nach Jenbach erreichen wollte, brachen sie aber rasch Richtung Dominikushütte auf – dort wurden sie gegen 14 Uhr zuletzt gemeinsam gesehen.
Fund der Leiche und Verhaftung
Am Nachmittag kam Philipp Halsmann aufgeregt zum Alpengasthof Breitlahner gelaufen und rief nach einem Arzt – sein Vater sei ungefähr 15 Minuten von der Dominikushütte abgestürzt. Zur selben Zeit entdeckten zwei Kellnerinnen der Berliner Hütte den leblosen Morduch Halsmann an einer seichten Stelle des Zamserbachs. Sein Körper lag reglos im Wasser, das Gesicht nach unten, die Beine wurden von der Strömung des Baches hin und her bewegt. Am Kopf sahen sie eine große Wunde. Doch bald tauchten erste Widersprüche auf: Philipp behauptete, sein Vater sei gestürzt, doch der Wirt der Dominikushütte, Josef Eder, zuständig für die Wege, war überzeugt, dass dort niemand abstürzen könne. Dennoch dauerte es bis 17:30 Uhr, bis die Gendarmerie verständigt wurde. Auch die Gendarmen stellten fest, dass der Pfad völlig ungefährlich sei.
Ein zufällig anwesender Kriminalkommissar aus München vermutete ein gewaltsames Ende Morduchs. Der Wirt Josef Eder erhielt durch die telefonisch verständigte Gendarmerie den Auftrag, die Leiche nicht mehr zu bewegen – doch das war längst geschehen. Zudem sollte er den Sohn festhalten. Erst gegen 23 Uhr trafen drei Gendarmen aus Mayrhofen ein und begannen mit der ersten Vernehmung. Philipp erklärte, er sei vor seinem Vater gegangen, als er einen Schrei hörte. Als er hinabstieg, lebte sein Vater noch. Er habe seinen Kopf so gedreht, dass er nicht ertrinken würde, konnte ihn jedoch nicht aus dem Wasser ziehen. Doch die Zweifel blieben. Am Ende der Befragung wurde Philipp Halsmann unter dem Verdacht, seinen eigenen Vater ermordet zu haben, festgenommen.

- Tiroler Anzeiger, Mittwoch, 12. September 1928 über die Verhaftung von Philipp Halsmann
- Foto: Screenshot Anno
- hochgeladen von Sabine Knienieder
Der Verdacht gegen Philipp erhärtet sich
Dienstag, 11. September: Ita Halsmann, ahnungslos im Gasthof Goldener Stern in Jenbach, wurde davon in Kenntnis gesetzt, dass ihr Mann Morduch bei einem Unfall ums Leben gekommen sei. Erschüttert reist sie mit der Zillertalbahn nach Mayrhofen, wo ihr das Unfassbare bestätigt wird. Zur selben Zeit trifft eine Gerichtskommission am Zamsergrund ein. Die Ermittler erstellen eine Skizze des angeblichen Absturzes, befragen Philipp Halsmann erneut – und je mehr Fragen sie stellen, desto mehr Widersprüche tauchen auf.

- Philip Halsmann
- Foto: Screenshot/Anno - der Abend, 23.01.1930
- hochgeladen von Sabine Knienieder
Am nächsten Tag beginnt die Obduktion. In einem düsteren Schuppen beim Gasthof Breitlahner öffnen die Gerichtsmediziner den Körper von Morduch Halsmann – und entdecken etwas Erschreckendes: schwere Schädelverletzungen, siebzehn brutale Schläge, tiefe Hautabschürfungen. Doch keine Spur von Abwehrverletzungen. Keine Hinweise auf einen klassischen Sturz. Ein Stein, am Tatort gefunden, könnte die Tatwaffe sein – doch eine Wunde an der Stirn passt nicht zu ihm. Am Tatort fanden sich zahlreiche Blutspritzer, an Philipp Halsmann keine. Doch er trug zum Zeitpunkt des Sturzes nur einen Gummimantel.
Die Leiche wird zur Bestattung freigegeben, doch der jüdische Brauch, den Toten in einem Leinentuch zu bestatten, entfacht Spekulationen im katholischen Tirol. Am 12. September kommt Ita Halsmann endlich in Ginzling an. Sie will sich von ihrem verstorbenen Ehemann verabschieden - doch dies gestaltet sich als schwierig. Der Kopf wurde von den Gerichtsmedizinern abgetrennt und als Beweismittel sicher verwahrt. Der Schädel von Morduch Halsmann sollte noch eine wichtige Rolle spielen. Einen Tag später wird Philipp Halsmann in das Gefängnis des Landesgerichts Innsbruck überführt.

- Morduch Halsmann, der Vater von Philipp Halsmann
- hochgeladen von Sabine Knienieder
Ein Indizienprozess wird vorbereitet
Während Philipp weiter verhört wird und die Zeitungen sich in immer neuen Mordmotiven überschlagen, wird ein Indizienprozess vorbereitet. Erneut suchen Gendarmeriebeamte – diesmal aus Innsbruck – den Tatort auf, fertigen Skizzen an und fotografierten die Stelle. Außerdem werden neue Zeugen aufgetrieben und befragt – vor allem auch zum Verhältnis der beiden. Halmanns Schwester Liuba und seine Mutter Ita finden in Innsbruck in einem jüdischen Kaufmann einen Unterstützer. Für ihn ist dieser Einsatz für die Familie Halsmann nicht ganz ungefährlich – in Tirol gab es zu dieser Zeit starke antisemitische Tendenzen.

- Das Gerichtsgebäude in der Schmerlingstraße, in der der Fall Halsmann verhandelt wurde, steht auch heute noch. Nur das angrenzende Gefängnis wurde 1967 abgerissen.
- Foto: SKN
- hochgeladen von Sabine Knienieder
13. Dezember 1928 - Der Prozess beginnt
Am 13. Dezember 1928 um 8:30 Uhr ist es soweit - der Indizienprozess gegen Philipp Halsmann beginnt am Gericht Innsbruck. Die Verhandlung ist für zwei Tage anberaumt. Viele Menschen haben sich vor dem Gerichtsgebäude in der Schmerlingstraße versammelt. Den Vorsitz des Schwurgerichts übernimmt Landesgerichtspräsident Anton Larcher, Staatsanwalt ist Siegfried Hochleitner, ein erfahrener Alpinist. Die Verteidigung Philipp Halsmanns übernimmt der Wiener Anwalt Richard Preßburger, ein erfahrener Strafverteidiger, vor allem bei aussichtslosen Fällen. Ihm zur Seite steht der Innsbrucker Anwalt Lehndorff.
Auf die Frage des Staatsanwalts, ob er sich schuldig bekennen würde, antwortet Philipp Halsmann:
»Ich glaube, ich brauche auf diese Frage gar nicht zu antworten. Ich bin selbstverständlich vollkommen unschuldig.«
Vorgeladen wurden 17 Zeugen, auch Philipp Halsmann kommt zu Wort. Doch seine Aussagen klingen konstruiert und nicht glaubwürdig. Man sieht es den Geschworenen förmlich an, dass sie dem Angeklagten nicht glauben. Aber auch für den Rechtsanwalt aus Wien ist die Situation in Tirol schwierig. Einerseits ist er selbst ein Jude andererseits hat Tirol generell große Vorbehalte gegen das rote Wien. Für viele angebliche Indizien kann der Anwalt Erklärungen finden, jedoch ändert dies nichts an der Situation des Angeklagten. Am 16. Dezember um 13:00 Uhr ziehen sich die Geschworenen zur Beratung zurück.
Schuldig - mit neun gegen drei Stimmen
Die Geschworen kommen nach gerade einmal 25 Minuten Beratungszeit wieder zurück - und das mit dem Ergebnis: schuldig mit neun zu drei Stimmen. Doch das Urteil löst einen Sturm der Entrüstung aus. Im Gerichtssaal bricht das Publikum in empörte Buhrufe aus, während die Mutter und Schwester des Angeklagten in verzweifelten Weinkrämpfen zusammenbrechen. Selbst unbeteiligte Frauen können ihre Tränen nicht zurückhalten. Rechtsgelehrte und Professoren, darunter Dr. Rittler von der Universität Innsbruck und Dr. Erismann, ebenso wie zahlreiche Anwälte, reagierten mit sichtlichem Unmut. Zweifel, Wut und Bestürzung erfüllen den Raum. Das Urteil wirft Fragen auf. Halsmann schreit aufgebracht:
„Ich weiß es! Ich bin unschuldig und das bleibe ich bis zu meinem Tode! Dieses Urteil ist unwahr!“
Der Tumult nach dem Urteil bricht nicht ab. Gerichtspräsident Anton Larcher warnt, dass jeder, der sich gesetzwidrig verhält, verhaftet werden wird. Danach gibt er den Befehl, den Gerichtssaal räumen zu lassen. Philipp Halsmann wird des Vatermordes schuldig erkannt und zu 10 Jahren schweren Kerkers mit einem Fasttag im Jahr verurteilt. Zurück in seiner Zelle, unternimmt Philipp Halsmann einen Selbstmordversuch, der jedoch verhindert werden kann.
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
Gleich nach dem Urteil legt der Verteidiger Richard Preßburger Nichtigkeitsbeschwerde ein, wodurch sich nun der Oberste Gerichtshof in Wien erneut mit dem Urteil befassen wird. Sollte das Gericht den Urteilsspruch der Geschworenen für ungültig erklären, müsste der Prozess vor einem anderen Geschworenengericht erneut verhandelt werden. Ausserdem übt der Anwalt in seiner Beschwerde Kritik an den Geschworenen und der Voreingenommenheit der Zeugen einem jüdischen Angeklagten gegenüber. Die Diskussionen über den Prozess reissen nicht ab. In Innsbruck gibt es zahlreiche Stimmen, die der Ansicht sind, dass Philipp Halsmann unschuldig schuldig gesprochen worden sei. Vor allem unter Juristen ist das Urteil sehr umstritten. Auch in der Presse wird der Fall weiter diskutiert und Tirol fürchtet um einen Schaden für den beginnenden Bergtourismus.
Oberster Gerichtshof gibt Antrag statt
Am 12. März 1929 entscheidet der Oberste Gerichtshof in Wien über die von Richard Preßburger eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde im Fall Philipp Halsmann. Ein zentrales Argument der Verteidigung ist die antisemitische Stimmung während des Prozesses sowie Mängel im ärztlichen Gutachten. Der Gerichtshof gibt dem Antrag, das Urteil vom 16. Dezember aufzuheben statt, und ordnet eine erneute Überprüfung vor allem des ärztlichen Gutachtens an. Eine Verlegung des Verfahrens an ein anderes Gericht wird jedoch abgelehnt. So kommt der Fall Philipp Halsmann wieder zurück nach Innsbruck. Philipp Halsmann bleibt jedoch bis zum nächsten Verhandlungstermin weiter in Haft.

- "Der Abend" berichtet am 12. März 1929 über die Nichtigkeitsbeschwerde im Fall Philipp Halsmann
- Foto: Screenshot Anno
- hochgeladen von Sabine Knienieder
Vorbereitung auf den zweiten Prozess
Im wieder aufgerollten Verfahren wird Philipp Halsmann nun von zwei anderen Anwälten, diesmal aus Innsbruck vertreten: Franz Pessler und sein Kollege Paul Mahler. Das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und Franz Pessler ist von Beginn an wesentlich besser als dies zwischen Richard Preßbaum und Philipp Halsmann. Bis zum Prozessbeginn werden zahlreiche neue Anträge gestellt, denen überraschenderweise durch den neu bestellten Untersuchungsrichter stattgegeben wird. Das führt dazu, dass sich die Beamten in Mayrhofen erneut auf die Suche nach potentiellen Zeugen machen müssen. Auch werden Zeugen neu befragt. Auf Anfrage der Verteidigung untersucht der Leiter des Instituts für experimentelle Psychologie der Universität Innsbruck den Unglücksort im Zamsergrund. Dort simulieren sie mit einer 80 kg schweren Puppe den Hergang des vermeintlichen Unfalls.
Die Frage, welche Experten zur Begutachtung des Falls herangezogen werden sollen, sorgt für Diskussionen. Während einige darauf bestehen, dass Psychiater – also Ärzte – als Sachverständige fungieren sollten, plädieren andere für Psychologen. Dies führt zu einer Vielzahl von Gutachten, die teils gegensätzliche Meinungen vertreten. Am 12. Juni 1929 erfolgt ein intensiver Lokalaugenschein: Von morgens bis abends werden Messungen vorgenommen, Fotos erstellt, Zeugen befragt und der Angeklagte mehrfach zur Darstellung des Geschehens aufgefordert. Erneut kommt die Puppe zum Einsatz.

- Das Gericht an der Unsallsstelle. Halsmann jun. (X), sein Verteidiger Dr PeßlerlXX). Staatsanwalt Dr. Hohenleitner 'XXX), Vorsitzender Oberlandesgerichtsrat Dr. Ziegler (XXXX).
- Foto: Screenshot/Anno - der Tag, 18.09.1929
- hochgeladen von Sabine Knienieder
Sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft stellen weiterhin laufend neue Anträge, wodurch sich die Ermittlungen verzögern und die Wahrheitssuche andauert.
Am 9. September 1929 ist der zweite Prozess gegen Philipp Halsmann angesetzt. - Wie es mit dem Prozess und dem Angeklagten weitergeht, erfährst du am 15. Juli!
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- Im Notfall für schnelle Hilfe: Polizei: 133
- Rund um die Uhr erreichbar: Frauenhelpline: 0800 222 555
- Rund um die Uhr erreichbar: Männerinfo Krisenhotline: 0800 400 777
- Rat auf Draht: Notruf für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen: 147
- Opfernotruf: 0800 112 112
- Gewaltschutzzentrum: +43 512 571313
- PsychosozialerKrisendienst - Hotline: 0800 400 120
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Quellen: Zeitungsberichte, abgerufen über die Österreichische Nationalbibliothek und "Anklage Vatermord: Der Fall Philipp Halsmann" von Martin Pollack, 2002.
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