"Inzwischen gibt es Ernährungsexperten wie Sand am Meer"

In den letzten Jahren tauchte viel Wissen und Halbwissen über gesunde Ernährung auf. Gibt es denn Faustregeln, an denen man sich orientieren kann?
Gesunde Ernährung spielt eine immer größer werdende Rolle. Damit eröffnete sich natürlich auch ein neuer Markt. Inzwischen gibt es selbsternannte Ernährungsexperten wie Sand am Meer. Leider werden so auch häufig falsche und wenig individuelle Empfehlungen verbreiten. Es gibt jedoch evidenzbasierte Ernährungsempfehlungen. Wer essenstechnisch nicht mehr weiter weiß, ist bei uns DiätologInnen am besten aufgehoben.

Warum?
Nur Diätologen sind gesetzlich befugt und kompetent genug, sowohl Gesunde als auch Kranke zu beraten.

Warum häufen sich in den vergangenen Jahren dermaßen Unverträglichkeiten, Allergie, Intoleranzen. Gab es das früher auch?
Ich bin überzeugt davon, dass es auch früher Intoleranzen und Allergien gab. Doch durch den Fortschritt der Medizin sind die Diagnostik und die Möglichkeiten der Austestung zugänglicher geworden. Vermutlich tragen aber auch Faktoren wie Umwelteinflüsse, Stress und ein ungesunder Lebensstil zur Entstehung von Allergien/Unverträglichkeiten bei.
Abgesehen davon werden Menschen aber sicher auch durch die Medien dazu motiviert, sich laktosefrei oder glutenfrei zu ernähren, um mit dem Trend zu gehen.

Was bedeuten diese Fachbegriffe überhaupt. Was ist eine Intoleranz?
Unverträglichkeiten (= Intoleranzen) unterscheiden sich von Allergien wesentlich.
Bei Allergien (z.B. Nussallergie) reagiert das Immunsystem des Körpers auf die Zufuhr eines fremden Stoffes (Nuss) mit der Bildung von Antikörpern. Hautreaktionen oder etwa Magendarm- und Atemwegsbeschwerden sind die Folge.
Im Gegensatz dazu wird bei Intoleranzen (z.B. Laktoseintoleranz) nicht das Immunsystem aktiviert, sondern der zugeführte Nährstoff (z.B. Laktose/Milchzucker) nicht vollständig verdaut. Dieser gelangt in den Dickdarm und wird dort von Darmbakterien zersetzt, was zu Beschwerden wie Blähungen, Völlegefühl oder Durchfall führt.

„Gluten“. Was ist das? Und warum soll es schlecht sein?
Gluten ist der Überbegriff für Eiweiße, die in speziellen Getreidesorten (Dinkel, Weizen Roggen, Gerste, Einkorn, Emmer, Hafer) für die „Klebereigenschaften“ einer Backware verantwortlich sind. 
Grundsätzlich ist Gluten keine schädliche Substanz. Lediglich Menschen mit Zöliakie (= Glutenunverträglichkeit) sollten eine lebenslange glutenfreie Kost beachten, da das Gluten bei den Betroffenen Entzündungen im Darm hervorruft.

Wie viele Menschen betrifft das in etwa?
Weil es heutzutage sehr trendy ist „intolerant“ zu sein, würde man meinen, ja. So viele Menschen betrifft es jedoch nicht. Tatsächlich vertragen ca. 1% der weltweiten Bevölkerung kein Gluten.
Die Laktoseintoleranz ist weitaus häufiger und betrifft im europäischen Raum ca. 15-30 % der Bevölkerung.

Wie sieht es mit Fruktose aus. Wie gesund ist Fruchtzucker?
Fruchtzucker (= Fruktose) kommt in den natürlichen Lebensmitteln wie z.B. Obst oder Honig vor. Wie bei jedem Zucker kann auch ein Zuviel an Fruchtzucker zu Problemen wie Übergewicht führen. Zwei kleine Portionen Obst täglich werden empfohlen. Bei Trends wie Smoothies sollte man jedoch vorsichtig sein.

Welche Ratschläge haben Sie für Personen, die gesund abnehmen wollen?
Mein Tipp: Vermeiden Sie Crash-Diäten und nehmen Sie Abstand von Ernährungsempfehlungen, bei denen Verbote und Verzicht ausgesprochen werden. Vermeiden Sie ständiges Snacken aus Frust oder Langeweile und versuchen Sie regelmäßig ausgewogene Mahlzeiten einzuplanen. Das 3-Mahlzeiten-Prinzip hat sich bis heute bewährt. Lassen Sie zwischen den einzelnen Mahlzeiten ausreichend Pause (ca. 5 Std.), dies verhilft zu einem normalen Hunger- und Sättigungsgefühl. Werten Sie jede Mahlzeit mit gesunden Komponenten auf (z.B. Gemüse, Salat, Vollkornprodukte). Zu Zeiten, wo Sie weniger aktiv sind, sollten Sie auch weniger Essen, wie vor dem Schlafengehen oder an Faulenzer Tagen.

Wie individuell ist richtige Ernährung?
„Die richtige Ernährung“ gibt es nicht. Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse, die individuell zu berücksichtigen sind.

Was machen wir Ihrer Meinung nach heute falsch in Punkto Ernährung?
Die größten Ernährungsfehler heutzutage sind wohl zu hastiges und unregelmäßiges Essen. Zu kurze oder zu lange Pausen zwischen den einzelnen Mahlzeiten, zu spätes Essen
zu große Portionen und zu wenig frische Produkte.

Wie können Sie Menschen helfen, bewusst zu leben?
Tagtäglich betreue ich Klienten und Patienten aller Art: Übergewichtige, Untergewichtige, Sportler, Schwangere/Stillende, Allergiker/Intolerante, Diabetiker, Patienten mit Leber- oder Nierenerkrankungen, Patienten nach Magen- oder Darmoperationen und mehr.
Meist kommen diese Personen mit einem extremen Leidensdruck zur Beratung. Es klingt trivial, aber es reicht oft schon ein empathisches, befreiendes Gespräch, das die Welt des Einzelnen verändern kann, ohne seine gesamte Ernährung auf den Kopf zu stellen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

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