Triest und seine permanente Identitätskrise:
Verlässlich ist nur die Bora, der Fallwind, der alle verrückt macht

- hochgeladen von Franz Waditzer
Der Adriahafen Triest ließ vor vier Jahren einen chinesischen Bieter abblitzen und verkaufte die Mehrheit an den Hamburger Hafen: Im Jahr 2020 unterzeichnete die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) einen Vertrag zur Übernahme einer Mehrheitsbeteiligung von 50,01 Prozent an dem Mehrzweckterminal "Piattaforma Logistica Trieste" (PLT) in dem italienischen Seehafen.
Triest winkten Großinvestitionen, die aus der alten Hafenstadt die italienische Drehscheibe der chinesischen Seidenstraße und ein Einfallstor nach Europa machen sollten. Doch im Nordosten Italiens (und vor allem in Brüssel und Übersee) wollte man genau das nicht. Statt die wirtschaftliche Abhängigkeit Europas von aggressiven Autokratien zu vertiefen, stärkten die Italiener die Bande zu ihrem größten Handelspartner Deutschland. Was China betrifft, setzt Meloni den Weg fort, den ihr Vorgänger Mario Draghi eingeschlagen hatte, um sein Land wieder auf mehr Distanz zu Peking zu bringen.
Angela Titzrath, Vorstandsvorsitzende der HHLA: „Im Jahr 2020 haben wir uns an HHLA PLT Italy beteiligt, um unser europäisches Netzwerk aus Terminals und Hinterlandverbindungen weiter auszubauen. Ich freue mich sehr, dass sich HHLA PLT Italy in den letzten zwei Jahren zu einem wichtigen Hub im adriatischen Raum entwickelt hat. Hier gestalten wir schon heute die Transportströme der Zukunft und verbinden den adriatischen Raum erfolgreich mit der dynamisch wachsenden Region Mittel- und Osteuropas. Unser Ziel ist es, die Position von HHLA PLT Italy als südliches Tor zu Europa weiter auszubauen. Dazu investieren wir bereits in die Erweiterung des Terminals mit dem zu errichtenden Pier 8.“
Salvini in Budapest
Es entbehrt nicht einer gewissen Grundkomik, dass
der italienische Minister für Infrastruktur und Verkehr, Matteo Salvini, unlängst den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban in Budapest besucht hat. Unter Orbans Regierung ist Ungarn zu einem wichtigen Handels- und Investitionspartner für China geworden.
Im Gespräch wurde die konkrete Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern, diskutiert. Die Entwicklung des Hafens von Triest betrachtet Budapest mit besonderem Interesse und das war unter anderem Thema dieses Besuchs, berichtet die Budapester Zeitung.
Rückblick Dezember 2023: Erster Pilot-Zug nach Kärnten
Eine innovative Wende im europäischen Güterverkehr zeichnete sich schon Ende 2023 ab: Ein erster Pilot-Zug über den EU-weit einzigartigen Zollkorridor zwischen dem Hafen Triest und dem Logistik Center Austria Süd in Villach begann am 11. Dezember seine Fahrt. Der Zollkorridor ermöglicht es in Zukunft, unverzollte Waren aus Drittländern vom Containerschiff im Hafen Triest ohne längeren Aufenthalt direkt auf dem Schienenweg nach Österreich bis zum Logistik-Hub Villach zu befördern und erst dort einem Zollverfahren zu unterziehen.
Die operative Abwicklung des Korridors, die Zollabfertigungen und damit verbundenen Zollkontrollen werden durch das Team der Dienststelle Süd des Zollamts Österreich (ZAÖ) am Standort Fürnitz und am Standort Villach durchgeführt.
Rückblick März 2024: Logistik Center Austria Süd und Auslastung des Hafens Triest
Landeshauptmann Peter Kaiser sagte bei einer Pressekonferenz mit ÖBB-Chef Andreas Matthä in Klagenfurt, man tue alles, damit das LCAS an Bedeutung gewinne, es soll eine internationale Logistikdrehscheibe werden. Wesentlich dabei sei es, die entsprechende Infrastruktur weiter auszubauen und noch mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Fürnitz sei ein "exzellenter" Standort mit Transitachsen von Bahn und Straße im Dreiländereck Österreich-Italien-Slowenien. Allerdings habe der Zollkorridor nicht den erwarteten Schub gebracht, wohl auch weil die Auslastung des Hafens Triest zuletzt rückläufig war und das Bedürfnis nach Auslagerung nachgelassen habe. Um 72,8 Mio. Euro wollen die ÖBB den Terminal bis 2029 modernisieren.
Der im Mai 2024 zurückgetretene Hafenchef von Triest, Zeno D‘Agostino, sagte in einem Interview, das die Kleine Zeitung im April 2024 veröffentlichte, zum bescheidenen Container Umschlag im Zollkorridor Fürnitz: "Das Problem ist, was in Villach und Fürnitz passiert. Es wird Container über den Zollkorridor geben, wenn sie eine Platform haben. Aber solange sich dort nichts tut…"
Soziale Probleme in der Stadt Triest
Seit Mitte September 2024 sind bewaffnete Sicherheitskräfte in den Bussen der Stadt Triest unterwegs. Sie sollen Gewalttaten in den öffentlichen Verkehrsmitteln verhindern, wie sie zuletzt mehrfach vorgekommen sind. Diese Initiative wurde von der Region Friaul-Julisch Venetien in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung von Triest finanziert. Der Bürgermeister von Triest, Roberto Dipiazza, hat im Juli 2024 eine Verordnung unterzeichnet, die die Schließung von Bars und Lokalen im Stadtzentrum ab 23.30 Uhr vorsah. Von 22.00 Uhr bis um 6 .00 Uhr am nächsten Tag war der Verkauf von alkoholischen und alkoholfreien Getränken verboten.
Wer sich nicht an die Vorschriften hielt, mußte mit Strafen von bis zu 3.000 Euro rechnen. Die Maßnahme galt vom 1. August bis zum 14. September. Sie wurde vom Bürgermeister ergriffen, nachdem es zu Gewalttätigkeiten während der Nachtstunden gekommen war. Die Polizei hat im Juli 500 Jugendliche im Rahmen einer groß angelegten Razzia im Stadtzentrum Triests und an den örtlichen Stränden identifiziert, um gegen Schlägereien und Mobbing vorzugehen.
Bei einem Häftlingsaufstand im Gefängnis von Triest sind im Juli 2024 acht Personen verletzt worden. Fünf Insassen mussten behandelt werden, nachdem sie Rauch inhaliert hatten.
An dem Aufstand nahmen mehr als 100 der insgesamt 260 Gefängnisinsassen teil. In dem überbelegten Gefängnis "Ernesto Mari" sollten maximal 150 Personen untergebracht werden. Berichten zufolge stürmte die Polizei das Gefängnis, dabei kam es zu Zusammenstößen.
Bewegungslahm: Investitionen in den Porto Vecchio und in das alte Messegelände stocken
Seit Jahrzehnten dämmert Triests Porto Vecchio vor sich hin. Der Alte Hafen soll endlich transformiert und geöffnet werden. Das fast 50 Hektar große Areal des Alten Hafens mit dem weltweit größte Komplex von Lagerhäusern liegt seit den 1970er Jahren brach.
Immer wieder werden Entwicklungspläne erarbeitet, bislang vergeblich. Renoviert wurden von dem, was um 1900 gebaut worden war, nur das Magazzino 26 für Ausstellungen und Kulturveranstaltungen, das hydrodynamische Kraftwerk, das die Kräne mit Wasserdruck antrieb, und ein Umspannwerk. Das sind aber nicht mehr als punktuelle Eingriffe. Entwicklungsstrategien der Hafencity Hamburg dürfen als Vorbild dienen, aber das Interesse des Bürgermeisters Dipiazza daran ist zur Zeit endenwollend. Mehreren Einladungen zu einer Erkundungsreise sei der Sindaco bisher nicht gefolgt, sagt man. Aber eine nachhaltige Erneuerung des Porto Vecchio ist sozio-ökonomisch dringend notwendig.
Am alten Messegelände harrt ein Einkaufszentrum auf den Baubeginn: Auf rund 23.000 Quadratmetern wird auf drei Ebenen samt Parkplätzen, einem Möbelhaus, Fitness- und Spielpark, ein modernes Einkaufszentrum eines Kärntner Investors entstehen. Ein eigenes Verkehrskonzept mit vier Kreisverkehren und abgetrennten Radwegen soll zur Verkehrsberuhigung beitragen. Insgesamt wird das Areal rundherum begrünt werden, so die Pläne. "Es ist das größte Bauvorhaben eines privaten Investors in der Hafenstadt nach dem Zweiten Weltkrieg", lobte der Triestiner Bürgermeister Roberto Dipiazza.
Die Pandamie, das langsame Arbeiten der Kommunalbeamten und Unstimmigkeiten um das Verkehrskonzept, hier ging es konkret um einen Kreisverkehr, führten unter anderem bislang zu langen Verzögerungen.
Groteske um den Einstieg von Cosco in Hamburg
Mit dem nicht unumstrittenen Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco bei einem Terminal des Hamburger Hafens ergibt sich in Triest nun allerdings eine kuriose Situation. Hatten die Italiener in Triest der CCCC aus Peking die Tür zugesperrt, so kommen die Chinesen jetzt über ihre Beteiligung an dem Hamburger Terminal in gewisser Weise durchs piccola finestra della toilette wieder rein. Zwar beteiligt sich Cosco nicht an der Hamburger HHLA, der Hauptaktionärin des italienischen Adria-Hafens, sondern lediglich an deren Terminal Tollerort in Hamburg. Die HHLA erhofft sich zusätzliche Ladung durch den Cosco-Deal. Zum Zeitpunkt des Einstiegs der Cosco war das Terminal Tollerort nicht ausgelastet.
Dennoch löste der deutsche Umgang mit dem Fall Cosco in Italien besorgtes Befremden aus.
Epilog
"Triest war das Tor zur Welt eines riesigen Reichs, dem 1918 der Stecker gezogen wurde, woraufhin die Stadt in einen angenehmen Dämmerschlaf fiel", zitiert Martin Reichert in der taz einen Triestino. Verlässlich ist in Triest stets nur der von den Alpen herabwehende, irre starke Bora-Wind, der, der alle verrückt macht.
Der Meteorologe Furio Pieri sagt über die Bora: „Die dunkle Bora kommt, wenn es ein Tief und dunkle Wolken am Himmel gibt. Sie verheißt keine angenehme Stimmung. Gibt es ein Hoch und es bläst der Wind, entsteht die sogenannte helle Bora. Wir Triestiner sind beide gewohnt und haben uns einfach damit arrangiert.“
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