"Jeder Euro den ich nicht brauche, bedeutet ein Stück Freiheit"

Prof. Marianne Gronemeyer bei ihrem Vortrag in der Alpen-Adria-Mediathek in Villach
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  • Prof. Marianne Gronemeyer bei ihrem Vortrag in der Alpen-Adria-Mediathek in Villach
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WOCHE: Ihr aktuelles Buch heißt „Wer arbeitet, sündigt“. Wie ist diese These zu verstehen?
GRONEMEYER: So wie es am Titel steht.
Und wer sündigt Ihren Thesen nach?

Jeder der arbeitet für Geld. Der Titel ist dem Sprichwort entlehnt „Wer schläft, sündigt NICHT. Alle Arbeit die wir in unseren industriellen Gesellschaften tun unter der Bedingung, dass Wachstum sein müsse, schadet mehr, als sie nutzt.
Schaden an der Natur, an der Vergesellschaftung, an der Mündigkeit der Menschen.

Wer arbeitet richtet Ihrer Meinung nach Schaden an, mit welchen Konsequenzen?

Die sozial verträglicheren Menschen sind in der Tat die Arbeitslosen. Diese Denkübung fällt uns sehr schwer, dass jene, die ihren Beitrag an der Aufrechterhaltung der Welt leisten, Ressourcen verbrauchen…
Diejenigen die nicht arbeiten sind zugleich die schlechteren Konsumenten, denn die Binnennachfrage soll ja steigen, damit Wachstum nicht in Gefahr gerät.
Wir wissen aber, dass alles, was wir konsumieren unseren Nachkommen nicht mehr zur Verfügung steht.
Derzeit haben wir uns in einen Zustand hineingearbeitet, der die ganze Welt auf dem Gewissen hat: Siehe Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung sowie Klimaschäden.
Die Arbeit ist nicht mehr UNSERE Arbeit, sondern die Arbeit von Maschinen, die anstatt uns arbeiten.
Der Mensch ist somit nur ein Hilfspartikel in diesem Gefüge.
Deshalb meine ich den gewählten Titel ganz ernst.
Professionelle Arbeitet richtet immer dann Schaden an, wenn sie industriell ist, das gilt auch für die Dienstleistungsberufe.

Auch helfende und heilende Professionen sind somit schädigende Arbeit. Eine provokante These.
Dienstleistungsberufe sind industriell organisiert, sie sind zunehmend verfahrensförmig durchgestylt, sodass diese eigentlich funktionieren wie Maschinen.
Und dass was ihnen einmal eigen war, jedenfalls haben wir das immer geglaubt, stimmt so nicht mehr - dass die Dienstleistung eine andere Art von Sinnstiftung ermöglicht als Waren zu produzieren, die dann massenhaft konsumiert werden müssen, damit wieder neue Bedürfnisse entstehen.
ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Dienstleistung genauso warenförmig sind wie das was wir im Supermarkt holen.

Gibt es eine Lösung für das Dilemma der schadensanrichtenden Arbeit?
Das ist natürlich immer die Frage, die sofort kommt, wenn man anfängt die gesellschaftlichen Verhältnisse zu kritisieren.
Es wird einem gleichzeitig abverlangt, dass man erklärt, wie man es besser macht. Wenn ich das wüsste, dann könnte ich mir die Kritik ersparen und es gleich richtig machen.
Gut wäre, erst einmal innen zu halten. Wenn das zustimmungsfähig ist, was ich sage, dann sollten wir das mit allen Konsequenzen betrachten.
Mit dem Ergbenis, dass wir auf einem ökonomischen, technischen und wissenschaftlichen Irrweg sind, der wie es jetzt scheint einen solchen Drift hat, der gar nicht aufzuhalten ist.
Dann können wir uns zwei Dinge überlegen: Entweder wir versuchen Gegenmächte zu organisieren, die irgendwie und in irgendeiner Form diesen unglaublichen Kräften gewachsen sind.

Kann der Einzelne oder nur die Masse einen Gegendruck erzeugen?
In den alternativen Bewegungen denken wir oft, dass eigenlich nur die große Zahl dagegen aufbieten kann.
Wenn wir 100.000 Tausende auf der Bonner Hofwiese waren, dann denken wir dass, das den Gegner in Legitimationsdefizite bringt, dass er davor in die Knie gehen muss.
Ich glaube nicht mehr daran. Unsere Gegner sind längst so schamlos geworden, dass sie sich nicht einmal mehr in Legitimationsdefizite bringen lassen.
Oder wir gehen einen anderen Weg und sagen, wir leben in einer Welt, die durch und durch verwaltet ist.
Die sich dem Moloch System ergeben hat. Globalisierung ist das Stichwort dafür. Es gibt nur eine Möglichkeit in ein Abseits davon zu gelangen, nämlich sich dem zu entziehen.
Das heißt nicht, dass wir gleich eine andere Welt schaffen können, dass wir uns den Marktgesetzen entziehen können.
Das heißt zunächst einmal nur eine andere Denkübung zu machen. Die Übung heißt dann nicht mehr: Alle rein in den Markt, Vollbeschäftigung, sondern die heißt soviel Kräfte, Geld, Leidenschaft, Bereitschaft hart zu arbeiten wie irgend möglich dem Markt zu entziehen.

Mit welchen Konsequenzen?

Das heißt natürlich auch unseren Geldbedarf zu mindern, dann würden wir darüber nachdenken, dass jede Ware, die wir nicht brauchen auch ein Zuwachs an Freiheit bedeutet.
Diese Denkrichtung ist ganz unpopulär und dafür zu werben, das weiß ich noch gar nicht, ob das meine Sache wäre.
Ich glaube, dass immer mehr Leute sagen, so kann es doch nicht weitergehen. Insbesondere Leute, die mit Sorge in die Zukunft ihrer Kinder sehen.
Sie stellen fest, dass wir uns in einer Zeit befinden, die jetzt offenbart. Die Idee, dass es technische Lösungen für alles gibt, die weicht zunehmend bis zur Resignation gehender Skepsis auch in Kreise, die bisher noch ganz munter mit dabei waren.
Die Idee der immer größer werdenden Vernetzung weltweit erzeugt eine Fragilität, eine Anfälligkeit für die kleinsten Unruhen im Gefüge des Ganzen lassen zu dem Schluss kommen, dass es kleine selbsterhaltende Einheiten geben muss, die aus eigenen Kräften leben können.

Haben Sie best-practice Initiativen gefunden, die in diese Richtung der selbsterhaltenden Einheiten stoßen?

Es gibt sicher solche Initiativen, aber ich bin sogar der Meinung, dass man über die gar nicht viel reden sollte.
In dem Augenblick, in dem wir über, wie ich sie nenne, Systemdesserteuren sprechen, werden diese einkassiert, verschlungen, einverleibt vom System.
Alles was da passiert wird in weiterer Folge als Systemkorrektur begriffen. Das System duldet nicht das andere seiner selbst.
Meine Idee dazu ist nicht Integration oder Inklusion, sondern Desertion.
Deserteure sind gut beraten auf den Nebenstraßen zu gehen, um nicht eingefangen zu werden.
Das könnte auch für solche Systeme gelten, in denen Menschen sich wieder auf ihr eigenes Tun konzentrieren auf die Möglichkeiten, die sie miteinander haben.

Kommt man aus dem marktorientierten System überhaupt hinaus?

Wahrscheinlich nicht. Es gilt den Versuch zu unternehmen sich in bestimmten Aspekten seines Lebens sich aus der klaustrophobmachenden Verwaltetheit zu absentieren.
Deshalb auch der Begriff Deserteur. Wenn wir die Phantasie nicht in diese Richtung lenken, dann glaube ich, haben wir keine Chance.

Prof. Marianne Gronemeyer bei ihrem Vortrag in der Alpen-Adria-Mediathek in Villach
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