Ärztemangel in Groß Siegharts
"So kann es nicht mehr weitergehen"
Was passiert, wenn es keinen Hausarzt mehr gibt? Verzweifelte Patienten, Apotheker am Rand der Belastungsgrenze.
GROSS SIEGHARTS. "Da tut einem das Herz weh," niemand in der Apotheke in Groß Siegharts hätte sich so eine Situation vorstellen können. Viele gerade ältere Patienten haben aktuell keinen Hausarzt mehr. Die beiden verbliebenen Allgemeinmediziner haben ihre Kassenverträge aufgelöst und arbeiten kurz vor oder in der Pension als Wahlärzte. Das Problem: Mindestpensionisten können sich selbst die fünf Euro pro Rezept kaum leisten.
"Wir wollen endlich wieder Normalität!"
So wie Sonja Wiedena. Sie muss sich beinahe rund um die Uhr um ihren schwer behinderten Sohn Maximilian kümmern. "Wir sind aktuell ärztlich nicht betreut", so die Sieghartserin. Fünf Euro pro Rezept seien für sie unerschwinglich. Bleibt nur der aufwändige Weg nach Waidhofen, was jedes Mal ein gewaltiger Aufwand ist. "Uns selbst mit Termin wartet man bei den Ärzten in Waidhofen mittlerweile sehr lange", so Wiedena. Was die Mutter besonders ärgert: "Richtige Betreuung gibt es nur, wenn man zahlt". Was sie sich für ihren Sohn wünscht? "Dass endlich wieder Normalität einkehrt".
Normalität heißt für viele einfach nur, dass sie wieder zum Arzt gehen können. So auch Erna Pichl, die sich um ihre schwerkranke Tochter kümmert. "Früher haben wir für einen Arztbesuch in Groß Siegharts nicht einmal einen Termin gebraucht", berichtet die Wieningserin. Heute muss sie mehrmals in der Woche nach Waidhofen fahren - und dort oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen.
Nicht alle sind so mobil wie Pichl, viele vor allem ältere Groß Sieghartser haben gar kein Auto. Sie stehen aktuell oft ohne Hilfe im Notfall da. Oft ist die einzige Anlaufstelle die eingangs erwähnte Apotheke in der Berggasse. Dort stöhnt Chefin Heidrun Holik mittlerweile unter der ständig steigenden Arbeitsbelastung. So hilft man Patienten bei bürokratischen Hürden wie bewilligungspflichtigen Rezepten und deren Abwicklung mit der Krankenkasse - ein Job, den früher die Ärzte gemacht haben.
Hilfe zur Selbsthilfe
"Wir hatten heute eine Patientin, die ein Medikament zur Blutverdünnung braucht. 25 Euro für einen Besuch beim Arzt kann sie nicht leisten, also hat ihr unser Kollege die Anleitung gegeben, wie sie sich selbst das Medikament spritzen kann", berichtet Holik. Der Kollege ist Gerhard Salmer, der, wie alle acht Mitarbeiter der Apotheke, die Situation als unerträglich empfindet. "Es wird immer behauptet es gebe keinen Ärztemangel. In Siegharts ist er aber real." Seine Kollegin Martina Matzinger pflichtet ihm bei: "Mir tun vor allem die Menschen leid, die sich die fünf Euro für ein Rezept nicht leisten können".
Was alle Mitarbeiter beim Besuch der Bezirksblätter ärgert: Viele ihrer Kunden haben 45 Jahre lang ins System eingezahlt und müssen jetzt für einen Arztbesuch wieder in die Tasche greifen.
"Ich verstehe die beiden verbliebenen Ärzte, die stehen gewaltig unter Druck. Auch bei der Gemeinde hat man alles menschenmögliche getan", möchte Holik niemandem die Schuld zuweisen.
Arzt dringend gesucht
Die Gemeinde Groß Siegharts nimmt gerade 50.000 Euro in die Hand um gemeinsam mit weiteren 50.000 Euro vom Land eine Ordination im Technologie- und Bildungszentrum zu bauen. Die Waidhofner Allgemeinmedizinerin Astrid Karimian-Namjesky hilft mit 10 Wochenstunden aus, doch muss ohne das EDV-System der Krankenkasse auskommen, da die notwendige Technik fehlt und Rezepte händisch ausgestellt werden. Das funktioniere zwar bei kleineren Rezepten, Bewilligungen oder aufwändigere Dinge können in Siegharts nicht erledigt werden.
Das einzige was den Sieghartsern helfen würde, ist ein Arzt, der sich in der Bandlkramerstadt niederlassen möchte. Die Zeit drängt jedenfalls. Holik: "Wir können die Zusatzbelastung noch aushalten, aber eine Dauerlösung ist das nicht."
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