Wissenschaftliches Projekt
Eine Geruchskarte für Wien und die Grätzl

- Mit "Wien der Nase nach" verlagert Stephanie Weismann ihre stadtgeschichtliche Forschung in den öffentlichen Raum.
- Foto: privat/zur Verfügung gestellt
- hochgeladen von Nicole Gretz-Blanckenstein
"Wien der Nase nach" ist ein wissenschaftliches Projekt, bei dem alle Wienerinnen und Wiener mitmachen können.
WIEN. Stephanie Weismann beschäftigt sich wissenschaftlich mit Gerüchen. Im großen Interview mit der BezirksZeitung verrät sie, worum es bei "Wien der Nase nach" geht, wie man daran teilnehmen kann und was ein Smelfie ist.
Worum geht es bei „Wien der Nase nach“?
STEPHANIE WEISMANN: Bei „Wien der Nase nach“ geht es um lokale Gerüche und wie wir durch sie Wien und unser Grätzl wahrnehmen. Es geht also nicht nur darum, wie Wien riecht sondern vielmehr darum, wie sehr uns diese Gerüche beeinflussen - wie wir durch sie unsere Umgebung wahrnehmen. Ob es irgendwie heimelig riecht oder ob das eher Ecken sind, die uns abstoßen, weil es stinkt. Das ist von Ort zu Ort und von Mensch zu Mensch unterschiedlich, weil Gerüche ganz unterschiedliche Gefühle auslösen können. In dem Projekt geht's also um städtische Geruchswelten, und was man aus ihnen rauslesen kann.
Was zum Beispiel?
Nur teilweise geht es mir um Gerüche, die typisch für Wien sind. Aber um die Manner Fabrik etwa kommt man nicht ganz vorbei. Da man sie, je nachdem wie der Wind weht, auch in anderen Bezirken deutlich riecht. Und diesen typischen Geruch kennt wirklich jeder in Wien. In den bisherigen Eintragungen in der Geruchskarte gibt's natürlich auch eine Erzählung darüber, dass jemand als Kind oft mit dem Opa in der Gegend rund um die Manner Fabrik spazieren gegangen ist. Weshalb das ein Geruch ist, der ganz lieb gewonnene Kindheitserinnerungen, an die Beziehung zum Großvater, an die gemeinsam verbrachte Zeit, aufkommen lässt. Der Manner-Geruch ist auch für viele andere Leute wirklich ein Teil lokaler Identität. Solche Gerüche und die Geschichten, die damit verbunden sind, interessieren mich.
Welche Rolle spielen heutzutage Gerüche?
Wir leben in einer Zeit, in der man generell versucht, sich eher von Gerüchen zu befreien. Ob das Filteranlagen in Restaurants sind, das Essverbot in der U-Bahn oder auch Körpergerüche betreffend. Man darf ja heutzutage nicht mehr stinken. Für mich ist es wirklich spannend, wie viele Gerüche uns dennoch nach wie vor umgeben und so auch die Stadtatmosphäre prägen bzw. geprägt haben. In meinem Grätzl in Hernals kann man noch alte Aufschriften sehen - von einer Essigfabrik oder einem Milchgeschäft. Es wäre wahnsinnig spannend zu erfahren, welche Erinnerungen die älteren Anrainerinnen und Anrainer daran haben, wie Alltagsgerüche oder auch ihr Verschwinden die lokale Atmosphäre prägen bzw. über unser Leben in der Stadt erzählen.
Alle Erfahrungen werden in einer Wiener Geruchskarte zusammengeführt. Was ist das Ziel dieser Geruchskarte?
Es geht darum, möglichst viele Geruchsmomente, Geruchseindrücke und Geruchserinnerungen zu sammeln. Die digitale Karte gibt uns die Möglichkeit, viele Daten einzuspeisen, die später einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden können. Ziel ist es, über Geruchsmomente individuelle Grätzl-Erinnerungen und damit auch die lokale Alltagsgeschichte der einzelnen Grätzl zu dokumentieren. Eine Gefühlsgeschichte Wiens statt einer Faktengeschichte.

- Stephanie Weismann schnüffelt sich durch die Stadt.
- Foto: privat/zur Verfügung gestellt
- hochgeladen von Nicole Gretz-Blanckenstein
Dafür benötigen Sie Nasenzeugen? Wer kann an diesem Projekt teilnehmen?
Bei der Geruchskarte kann wirklich jede und jeder teilnehmen. Dabei geht es nicht nur darum, wonach es konkret im Grätzl riecht, sondern auch, wie die Leute gefühlsmäßig zu ihrem Bezirk stehen. Denn Gerüche sind die Gefühlstrigger schlechthin. Von allen Sinneswahrnehmungen sind sie diejenigen, die uns am meisten zu Herzen gehen. Wir riechen etwas und bekommen sofort die volle Ladung an Erinnerungen und Assoziationen: an etwas Schönes oder etwas Furchtbares. Gerüche lösen Sympathie, Wohlbefinden oder eben Abscheu aus. Wir können rational keinen Abstand von Gerüchen und was sie mit uns machen nehmen.
Zusätzlich veranstalten Sie Geruchsworkshops …
Die sind mir vielleicht sogar noch wichtiger als die Geruchskarte. Weil es da um's gemeinsame intensive Schnüffeln vor Ort in der Stadt geht - dazu lade ich explizit Jugendliche und Seniorinnen und Senioren ein.
Warum gerade diese beiden Zielgruppen?
Gerade ältere Leute können mit ihren Geruchserinnerungen zu mehr Wissen über das Wien von früher beizutragen. Also Gerüche, die es einfach nicht mehr gibt, die jedoch die Grätzlatmosphäre und den Alltag früher deutlich geprägt haben. Aber es geht bei den Workshops vor allem auch um die Sensibilisierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für sensorische Eindrücke generell und die eigene Körperwahrnehmung. Es liegt mir sehr viel daran, ältere Leute anzusprechen und mit ihnen gemeinsam unsere Nasen zu schulen, weil der Geruchssinn mit dem Alter oft nachlässt - Gerüche aber gleichzeitig der Erinnerungstrigger schlechthin sind und damit viele vergessene Erinnerungen hochkommen können und damit auch dem Gedächtnis wieder auf die Sprünge geholfen wird.

- Wien und die Grätzln erschnüffeln.
- Foto: Casey Murphy/unsplash
- hochgeladen von Nicole Gretz-Blanckenstein
Und warum gerade Jugendliche?
Wir leben in einer stark digitalisierten Welt, die sehr stark auf Visuelles abzielt. Viele von uns hängen ständig am Handy ab, scrollen durch Kurzvideos oder sitzen in Online-Seminaren. Dabei vergessen wir , wie viel wir eigentlich immer noch über unsere Nase wahrnehmen. Wir wissen gar nicht mehr, wie sehr wir uns immer noch über Gerüche orientieren. Wenn man Leute fragt, auf welchen Sinn sie am ehesten verzichten würden, ist es oft der Geruchssinn. Wenn der jedoch wegfällt, merkt man erst, wie hilflos und auch ein bisschen orientierungslos man ist. Man riecht nicht mehr, ob die Milch sauer ist oder ob man duschen sollte, weil man müffelt. Wenn der Geruchssinn wegfällt, ist das eine ganz schlimme Einschränkung. Insofern ist es gerade für Jugendliche wichtig, sich bewusst zu machen, welches Wissen, welche Kenntnisse da noch in ihnen stecken.
Für die Geruchskarte soll man sogenannte Smelfies machen. Was ist denn ein Smelfie?
Ich habe versucht, auf der Homepage eine Anleitung zu geben, wie man sich selbst ein bisschen an der Nase nehmen und sich wieder mehr auf Gerüche konzentrieren kann. Wie man auf seinen Alltagswegen persönliche Geruchsmomente und die Gefühle, die sie auslösen, einfangen kann.
Wie riecht man richtig?
In erster Linie geht es darum, die eigene Nase wieder bewusst einzusetzen. Wir riechen ja sehr viel, nur schenken wir diesem unbewussten Wissen wenig Aufmerksamkeit. Bei meinen bisherigen Geruchsspaziergänge waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jedes Mal überrascht, wie viele Gerüche uns eigentlich im Alltag umgeben. Am Weg zur Schule oder in die Arbeit oder einfach beim Spazierengehen an Blumen und Haustoren schnuppern, den Müllwagen bewusster wahrnehmen, das Aroma der Bäckerei einsaugen, auch die leidigen Hundstrümmerl. Und sich zu fragen, wonach riecht es und vor allem, was empfinde ich dabei? Fühle ich mich glücklich, irritiert, entspannt, abgestoßen oder vielleicht hungrig - und warum ist das so? Mein Tipp: Einfach wieder ungenierter schnüffeln und sich der damit verbundenen Erfahrungen und Gefühle bewusst werden - und diese idealerweise auf der Geruchskarte oder in den Workshops mit mir teilen.
Zur Sache "Wien der Nase nach"

- Bei "Wien der Nase nach" geht es um Geruchsmomente, Geruchseindrücke und Geruchserinnerungen von Wiens Grätzl.
- Foto: privat/zur Verfügung gestellt
- hochgeladen von Nicole Gretz-Blanckenstein
„Wien der Nase nach“ ist ein Citizen Science Projekt. Bei Citizen Science Projekten geht es darum, dass man die lokale Bevölkerung in wissenschaftliche Prozesse einbezieht und sie einlädt als Expertinnen und Experten mitzuwirken. Wer seine Geruchserfahrungen teilen möchte, kann diese hier auf der Geruchskarte eintragen. Weiters finden im im Juli und September kostenlose Geruchsworkshops statt. Diese richten sich an Jugendliche von 14 bis 18 Jahren und Seniorinnen und Senioren ab 60 Jahren aufwärts. Die Juli-Termine finden in Hernals statt, im September wechseln die Workshops nach Floridsdorf. Alle Termine und Anmeldungsmöglichkeiten findest du hier.
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