Frühe Hilfe
Unterstützung für Eltern, bevor es eskaliert
Es war eine erschütternde Meldung: Ein Vater hat sein Baby geschüttelt und so schwer verletzt, dass es an den Folgen verstorben ist. Für junge Eltern, die in einer herausfordernden Situation stecken, bietet das Präventionsprojekt „gutbegleitet - Frühe Hilfen“ Unterstützung.
WIEN. Die Kinderschutzorganisation „die möwe“ betreibt seit vielen Jahren in Wien das Projekt „gutbegleitet - Frühe Hilfen“. Dabei geht es um die frühzeitige und damit gewaltpräventive Unterstützung von Familien mit Kindern von 0 – 3 Jahren. Teamleiterin Christina Gerstbach verrät im bz-Interview, wie sie junge Familien unterstützt, dass es normal ist, dass Babys weinen und warum es wichtig ist, sich einzugestehen, dass man nicht mehr kann.
Worum geht es beim Projekt „gutbegleitet - Frühe Hilfen“?
CHRISTINA GERSTBACH: Es ist, wie der Name schon sagt, eine „Frühe Hilfe“, nämlich für Familien mit kleinen Kindern und Babys, und auch schon für Schwangere. Denn je früher wir hier die Familien erreichen und mit ihnen arbeiten können, desto mehr Aussicht auf nachhaltige Veränderungen gibt es.
Wer kann sich an Sie wenden?
Jede Person, die mit Kindern zu tun hat, kann sich an uns wenden, wenn gewünscht auch anonym. Unsere Unterstützung ist kostenlos. Natürlich richten wir den Fokus auf Familien, wo es diverse Herausforderungen gibt. Also wenn man sich zum Beispiel gerade getrennt hat, oder man in einer finanziell engen Lage steckt, oder wenn man keine Großeltern hat, die einem beim Aufpassen unterstützen können. Wenn man sich überfordert fühlt, im Stress ist, oder nicht schlafen kann. Wenn das Baby viel weint. Alles was ganz alltäglich und völlig normal ist, wenn man mit kleinen Kindern im Alltag lebt.
Wie sieht diese Unterstützung aus?
Das wichtigste ist der erste Schritt. Und der erste Schritt ist zum Telefon zu greifen und irgendwo anzurufen. Egal wo. Wenn sie bei uns landen, dann hören wir erst einmal zu. Das ist schon eine wahnsinnige Entlastung, wenn so erschöpfte Eltern erleben, dass ihnen jemand zuhört. Dass es normal ist, dass Babys weinen und dass sie nicht die einzigen sind, die ihr Baby nicht beruhigen können. Das ist das eine. Zuhören, runterkommen, Zeit und Raum schaffen, damit sich die Eltern einmal beruhigen können.
Wie geht es nach dem Erstgespräch weiter?
Wir arbeiten einfach mit der Anruferin oder dem Anrufer ganz genau heraus, was sie gerade wirklich belastet und wo sie Hilfe brauchen. Wir haben einen riesigen Werkzeug- und Methodenkoffer und ein wahnsinnig tolles Netzwerk hier in Wien, wo es viele Institutionen gibt, die unterschiedliche Formen der Unterstützung anbieten. Wir selbst bieten Familienbegleitung an. Heißt, die Familie bekommt eine gleichbleibende Familienbegleiterin zur Seite gestellt. Sie ist die Ansprechpartnerin, Reflexionspartnerin bei Erziehungsfragen und schaut, wo man weitere Unterstützung anfordern kann. Diese Familienbegleiterin kann – sofern das die Familie möchte – bis zu einmal in der Woche zur Familie nach Hause kommen. Wenn es den Eltern lieber ist, können sie auch zu uns kommen und wir führen hier ein Beratungsgespräch.
Wie oft finden diese Gespräche statt?
Das ist ganz unterschiedlich. Manche brauchen eine sehr engmaschige Betreuung, andere Familien sagen, es ist super, wenn ich mit jemandem einmal im Monat ein ausführliches Gespräch führen kann.
Sind die Anfragen während Corona gestiegen?
Direkt in den harten Lockdowns sind die Anfragen stark zurückgegangen. Dadurch, dass Familien ihre Kinder nicht in den Kindergarten geschickt haben bzw. nicht beim Kinderarzt waren, hat ihnen niemand empfehlen können, sich an uns zu wenden. Die Familien, die wir vorher schon betreut haben, haben wir in den Lockdowns noch intensiver als vorher weiterbetreut. Aktuell merken wir, dass in der langen Zeit die Erschöpfung größer wird. Ganz besonders für Alleinerziehende. Denen fällt einerseits die Decke auf den Kopf und andererseits fallen alle Unterstützungssysteme weg, die sonst greifen. Besonders schwierig ist die Situation auch für diejenigen, die während der Coronakrise ihr erstes Baby bekommen haben, da es kaum Angebote wie Stillgruppen, Babytreffs oder Vernetzung mit anderen Eltern gab. Das war schon eine sehr schwierige Situation, so ganz alleine in so einer verändernden Lebensphase zu sein.
Gilt Ihr Angebot für ganz Wien?
Seit 2015 gibt es uns in den Bezirken 12 bis 19 und im 23. Bezirk. Jedoch ist ist es unser Ziel, dass unser Präventionsprojekt auf ganz Wien ausgeweitet wird. Wir betreuen natürlich auch viele Familien aus anderen Bezirken mit, wenn es unsere Kapazitäten erlauben. Jedoch kommen wir regelmäßig an die Ressourcengrenzen.
Aus wie vielen Personen besteht denn Ihr Team?
Wir sind im Moment zwölf, zum Teil Teilzeit, angestellte Familienbegleiterinnen mit ganz unterschiedlichen Ausbildungen. Wir haben Pädagoginnen, Psychologinnen, Therapeutinnen, Sozialarbeiterinnen, eine Hebamme und eine Frühförderin.
Gibt es konkrete Tipps für Eltern, die akut überfordert sind?
Das allerwichtigste ist, dass man merkt, dass man nicht mehr kann. Und sich das auch zugesteht. Sobald man sich dieses Gefühl bewusst gemacht hat, ist ganz viel gewonnen. Wenn es um ein schreiendes Baby geht, sollte man es kurz an einem sicheren Ort ablegen. Das kann im Gitterbett sein oder auch am Boden auf einer Decke. Dann kann man kurz rausgehen und dreimal tief durchatmen. Ein weiterer Trick ist, den Wasserhahn aufzudrehen. Das plätschernde Wasser beruhigt einen. Einfach zehn Sekunden dem plätschernden Wasser lauschen. Das kann einen schon wieder ein bisschen runterholen.
Zur Sache
"gutbegleitet - Frühe Hilfen Wien" ist telefonisch unter 01/532 15 15 153 von Montag bis Donnerstag von 9 bis 17 Uhr und freitags von 9 bis 14 Uhr erreichbar. Außerhalb der Öffnungszeiten kann eine Nachricht hinterlassen werden. Alle Informationen rund um das Präventionsprojekt gibt es auch online auf www.fruehehilfen.wien
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