Aufschwung: Industriebetriebe haben eine Milliarde Euro in Wien investiert
Investitionen gehen nach oben, aber 17 Prozent der Wiener Industriebetriebe denken über Abwanderung nach.
WIEN. Die Wiener Industrie hat sich selbst nach ihrem Befinden gefragt - und das Ergebnis könnte man mit "Danke, gut!" zusammenfassen, wobei natürlich ein "Könnt' immer besser sein!" auch nicht fehlen darf. Die Führungskräfte von 180 Unternehmen wurden für eine Studie der Wirtschaftskammer zum Wirtschaftsstandort befragt, das sind immerhin fast ein Drittel der insgesamt etwa 600 Wiener Industriebetriebe.
Als größte Vorteile des Wirtschaftsstandorts Wien wurden die Nähe zum Flughafen, die Nähe zu den EU-Ländern in Ost-Mittel-Europa, die gute Verkehrsinfrastruktur und die hohe Lebensqualität genannt. Weniger wichtig als bei der letzten Befragung 2016 wurde die Nähe zu den Ostmärkten außerhalb der EU (28 statt 68 Prozent finden sie wichtig) und Wiens Hauptstadtfunktion (37 statt 67 Prozent finden sie wichtig) bewertet. Bei ersterer möchte der Obmann der Sparte Industrie, Stefan Ehrlich-Adám, ansetzen: "Man muss sehen, dass sich die geopolitische Lage durch die Ukraine-Krise und den Türkei-Konflikt geändert hat. Wir möchten aber gemeinsam mit der Stadt Akzente setzen, um hier entgegen zu wirken. Wir werden uns etwa weiter um Wirtschaftsmissionen in den Osten und den Ausbau der Breitspur-Eisenbahn nach Wien bemühen."
Ebenfalls positiv sieht Ehrlich-Adám die hohe Summe, die in den letzten beiden Jahren von Betrieben seiner Sparte investiert wurde: "Es waren insgesamt über eine Milliarde Euro, und da sind durchaus auch teure Modernisierungen dabei." Das zeige einerseits den Aufschwung der Wirtschaft und bedeute andererseits ein langfristiges Bekenntnis zum Standort. Als prominentes Beispiel nennt er den Pharmakonzern Boehringer-Ingelheim, der seinen Standort ausbaut und 400 Arbeitsplätze schafft. Aber auch andere Pharmabetriebe wie Octapharma und die Schienenfahrzeugindustrie erwähnt Ehrlich-Adam.
Anrainer und Kosten trüben die Stimmung
Obwohl also auf der einen Seite Optimismus vorhanden ist, denkt auf der anderen Seite beinahe ein Fünftel der Betriebe über eine teilweise oder gänzliche Abwanderung nach. 17 Prozent plant einen Wechsel in den nächsten Jahren - das betrifft vor allem die produzierende Industrie, wie Ehrlich-Adám erklärt. Ziel sei aber großteils nicht das Ausland, sondern eher Niederösterreich. Als Gründe werden hohe Kosten, mangelnde Flächen und Probleme mit Anrainern angegeben. Durch den Beschluss des "Fachkonzepts produktive Stadt", das von Wirtschaftskammer und Stadt Wien ausgearbeitet wurde, gebe es seit 2017 aber eine Bekenntnis zum Industriestandort Wien, so Ehrlich-Adám – es finde nun zumindest keine neue Verdrängung beziehungsweise Umwidmung von Industrie- in Wohngebiet statt. Mit Anrainern, die über Lärm und andere Emissionen klagen, hätten aber viele Betriebe zu kämpfen. In Liesing und Floridsdorf sollen aber bestehende Gewerbegebiete noch ausgebaut werden.
Zu den Nachteilen des Wirtschaftsstandorts Wien zählen die Betriebe hohe Lohnkosten, überschießende Bürokratie und Facharbeitermangel. Ehrlich-Adam appelliert in diesem Zusammenhang vor allem an die Politik, die Pflichtschulbildung zu verbessern. Die Wiener Industrie beschäftigt 40.000 Mitarbeiter und bildet derzeit etwa 900 Lehrlinge aus. Was er sich von Wien speziell auch noch wünschen würde: Einen raschen Ausbau des Verkehrs – also den Bau von Lobautunnel und Nordostumfahrung sowie in Zusammenarbeit mit Niederösterreich mehr Park + Ride-Anlagen für die Mitarbeiter.
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