Fortsetzung: Vertrieben (17)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Gewehrschüsse, Schreien, Johlen und Lachen. Die Russen feiern den Sieg. Mit Alkohol, mit viel Alkohol. Die Russen, die jetzt auftauchen, sind in der Regel betrunken und meist sehr gefährlich. Was für ein Rauch steht im Oberdorf? Was qualmt dort so stark? Oh, es brennt dort! Ein Haus brennt – und noch eins und noch eins…..

Ein Russe erscheint auf dem Kimmel Hof. Völlig betrunken. „Uhri, Uhri! Drei Minuten Zeit, sonst es brennt“. Doch er wartet gar nicht. Sofort legt er Feuer im Heu vor der Scheune. Und nie werde ich das gellende Schreien vom Kimmel Hans vergessen: „Zünd unser Haus nicht an! Zünd doch unser Haus nicht an“! Das Heu fängt nicht Feuer. Wir aber flüchten uns auf die Wiese hinter dem Haus.

Später erfahre ich, dass der Russe auch im Haus Feuer gelegt hat. Das halbverbrannte Bettzeug habe ich mit eigenen Augen gesehen. Doch der alte Kimmel Bauer hat den Russen niedergerungen und das Feuer gelöscht. Dass er nicht sofort erschossen wurde, ist wahrscheinlich nur dem Umstand zu verdanken, dass der Russe sinnlos betrunken und nicht mehr denkfähig war.

Auf die Wiese hinter dem Haus haben sich viele Menschen geflüchtet. Auch viel Vieh läuft hier draußen umher, denn die Bauern haben es in den Ställen losgebunden und ins Freie getrieben. Es soll nicht in den Ställen verbrennen. Vor einer freilaufenden Kuh, die mir nahe kommt, fürchte ich mich. Roswitha ist nicht mehr bei uns. Herr Pfarrer hat sie zum Pfarrhof mitgenommen. Dort ist sie vor den Russen einigermaßen sicher.

Die Vergewaltigungen haben bereits begonnen und sind unbeschreiblich. In Nieder Mohrau ist eine Frau Stöller dabei ums Leben gekommen. Ich ahne davon noch nichts, nur dass es schrecklich ist, den Russen in die Hände zu fallen und dass die Mädchen sich hässlich machen und sich unbedingt vor den Russen verstecken sollen, das ist jedem geläufig. Roswitha weiß, was die Russen den Frauen antun und hat entsetzliche Angst. Weshalb geht der Herr Pfarrer mit ihr auf der Dorfstraße, wo die Russen auf kleinen Wagen ihnen entgegen kommen…? Doch Herr Pfarrer kann die Vermummte beschützen. Der Pfarrhof ist mit Flüchtlingen überfüllt. Roswitha muss mit ihnen am Fußboden schlafen.

Unsere Familie hat eine Kette gebildet. Wir werfen einander Packen mit unseren Habseligkeiten zu, um sie vor den Russen ins Freie zu retten. Tante Rosi weint, sie hat große Angst. Plötzlich erscheint ein betrunkener Russe. Er trifft auf die Kindergruppe, die sich zusammen getan hat. Alle müssen sich in einer Reihe aufstellen. Aus der Entfernung winkt uns Tante Rosi: „Kommt, kommt“! Doch wie sollen wir kommen? Der Russe versteht keinen Spaß. Er zieht die Pistole. Er will uns erschießen. Da – in der Ferne! Leute, die flüchten! Der Russe brüllt zu ihnen hinüber. Sie fliehen mit ihren Handwagen weiter. Da schießt der Russe nach ihnen. Er trifft sie nicht, doch nun ist seine Pistole leer. Er muss nachladen und das will nicht so recht klappen. Denn seine Hände zittern vor Trunkenheit. Immer wieder rutscht ihm die Patrone unter den Fingern weg.

In mir ist nur Leere. Und völlige Ungläubigkeit, dass ich jetzt sterben soll. Viktor steht zwischen Adelheid und mir. So klein ist er, so blond und so ängstlich. Er tut mir so leid. „Vikerle“, flüstere ich und beuge mich zu ihm hinunter, „Vikerle, bete zum Schutzengel“.

Der Russe ist noch immer am Laden. Da rennt eine Frau auf ihn zu. Sie ist die Mutter von Kindern, die auch in der Reihe stehen. Der Russe soll mit ihr kommen, sie könne ihm viel Uhren, Schmuck oder Alkohol zeigen (nichts stimmt davon). Der Russe lässt von uns ab und rennt mit ihr mit. Wir sind gerettet durch die List dieser Frau. (Wie mag es ihr ergangen sein, als der Russe den Betrug gemerkt hat?)

Fortsetzung folgt

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