Fortsetzung: Vertrieben (38)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Wir betteln. Ein Teil der Männer, die von uns getrennt in einem ganz anderen Lagerteil untergebracht sind, geht täglich zur Arbeit ins Dorf. Trotz Kontrolle am Lagereingang gelingt es ihnen nicht selten, Essbares, z.B. Fallobst, einzuschmuggeln. Irgendwie haben dies einige Kinder aus unserem Haus heraus gefunden. Wir stellen uns nahe vom Tor auf, aber so, dass die Wache nichts sieht. „Bitte haben Sie was zum Essen? Bitte, bitte, etwas zum Essen! Essen! Essen! Ach, haben Sie etwas zum Essen“? Und sie geben uns manchmal. Einmal kommt ein Mann, der die Kinder unwirsch abweist. Ich stehe etwas abseits und getraue mich nicht, ihn weiter anzubetteln. Da sieht er mich an uns sagt: „ Du bist blass und siehst schlecht aus. Du sollst etwas haben“. Und er gibt mir einen kleinen Apfel. Da habe ich mich aber gefreut. Später bekomme ich Ärger mit den Kindern aus unserem Haus, weil ich – dumm wie ich bin – vom erfolgreichen Betteln weitererzählt habe. Nun kommen so viele Kinder auch aus dem anderen bewohnten Gebäude, dass das, was die Männer hergeben können, für uns nicht mehr reicht.

Unter den Frauen herrscht Aufregung. Es heißt, wir sollen verschickt werden und in Bergwerken arbeiten. Muttl weiß, das wäre das Ende. Eine derartige Arbeit würden wir Geschwächten nicht lange durchstehen. So will sie vor dem befürchteten Fortgehen mit uns die wenigen Vorräte essen, die uns noch verblieben sind. Bei Kontrollen könnten sie womöglich genommen werden und uns auf immer verloren gehen. In einem „Reindl“, das von einem zweiten gut abgedeckt ist(so dass man nichts sieht), wärmt Muttl auf dem neu gebauten Herd etwas im Wasserbad. Dann geht sie mit uns drei Kindern weit abseits in die Ruinen, sodass kein Mensch in der Nähe ist und uns niemand zusehen kann. Was hat sie gewärmt? Was deckt sie da auf? Wir glauben, nicht recht zu sehen. Fleisch ist es! In einem Weckglas ist Fleisch! Unvorstellbar! Fleisch können wir essen. So essen wir dieses Glas leer. Sie hatte es in Bennisch noch eingekocht und als letzte Reserve bisher zurück behalten. Jetzt will sie uns Kindern noch etwas Gutes zukommen lassen, ehe wir, wie sie meint, in den sicheren Tod gehen (Zu dem Abtransport ins Bergwerkgebiet ist es dann doch nicht gekommen).

Es ist Erntezeit. Die Bauern in Stefanau fordern im Lager Hilfskräfte an. So wird auch Muttl mehrmals zu Bauern gebracht und hilft dort beim Dreschen. Abwechselnd dürfen wir Kinder mitgehen. Das ist großartig für mich. Gleich nach unserer Ankunft beim Bauern frühstücken wir alle. Es gibt Milchkaffee, dazu frisches, trockenes Brot, soviel man nur will. So viel man will! Wir können uns satt essen. Satt essen, wie herrlich! Das bereit gestellte Brot reicht nicht für uns ausgehungerte Menschen. „Prosim pani chleba“ (Bitte Frau Brot), ruft die energischste unserer Frauen. Und tatsächlich, es wird Brot nachgereicht.

Während die Mütter arbeiten, streifen wir Kinder einfach herum. Ich stoße auf die Tochter des Hauses, die etwas jünger als ich zu sein scheint. Das Mädchen ist offenbar froh, auf eine Spielgefährtin getroffen zu sein und will mit mir Puppen spielen. Doch ich verstehe sie nicht. Nur die Worte „puppa“ und „pumpa“ kann ich mir deuten. So fühle ich mich sehr unbehaglich und sobald es geht, setze ich mich von dem Mädchen ab und gehe ihr aus dem Weg. Vielleicht hat sie andere Spielgefährten gefunden.

Was es zu Mittag gibt, weiß ich nicht mehr. Die Bauern jedenfalls haben einen Hahn geschlachtet und essen Hähnchen als Mittagessen. Doch Fleisch bekommen die Helfer nicht. Nur die energische Frau, die um Brot gebeten hat und die den Bauern wegen ihrer Tüchtigkeit aufgefallen ist, erhält den Kopf des geschlachteten Hahnes. Wie beneiden wir sie und ihren schwarzhaarigen Sohn um diesen Fleischbrocken.

Ich gehe meiner Hauptbeschäftigung nach, ich suche nach Essbarem. Da steht doch ein Birnbaum mit saftigen Früchten im Hof. Wenn man auf ein niedriges Dach klettert, kann man leicht Birnen pflücken. Lässt man sie fallen, versinken sie in einem Spreuhaufen unter dem Baum. Dort kann man sie später unauffällig heraus holen. Gesagt, getan, mit einem Jungen zusammen ergattere ich süße Birnen. Doch bald sieht man uns und verbietet den Diebstahl (Auch beim Weg durch das Dorf bin ich zum Missfallen der Tschechen nach Früchten in den Bäumen gesprungen).

Doch ich habe noch wesentlich mehr Glück. Als ich an Strohballen vorbei gehe, kommt doch aus einer Höhlung laut gackernd ein Huhn hervor. Und das weiß ich genau: Wenn ein Huhn so laut gackert, dann hat es ein Ei gelegt. Das weiß ich vom Dorner Hof. Das habe ich schon unzählige Male gehört. Niemand sieht her und ich stelle mich harmlos. Unauffällig stelle ich mich neben die Strohballen und schiebe vorsichtig meine Hand in die Höhlung. Und wirklich! Ich stoße auf Eier. Ich finde ein Hühnernest. Wenigstens ein Ei – wenn nicht mehr – ziehe ich hervor und lasse es in meiner Schürzentasche verschwinden. Nur aufpassen, dass jetzt nichts zerbricht! Ich habe das Ei (oder Eier?) glücklich durch die Kontrolle ins Lager gebracht und ohne Gewissensbisse ob dieses Diebstahls haben wir es (oder sie?) untereinander geteilt und roh voll Freude gegessen.

Fortsetzung folgt

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