Fortsetzung: Vertrieben (44)
Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens
Autorin: U. Hillesheim ©
Herr Pfarrer beteiligt sich kaum an den bäuerlichen Arbeiten. Als Seelsorger hat er andere Dinge zu tun. Und für Männerarbeiten ist ja der Wirtschafter zuständig. Es gibt wieder ein Pferd auf dem Pfarrhof (oder zwei Pferde?). So kann Herr Pfarrer wieder alle 14 Tage in Neudorf, das als Filialgemeinde zur Pfarrei Mohrau gehört, Gottesdienst halten. Jetzt im Winter fährt er mit dem Pferdeschlitten dahin. Herr Schwarz lenkt die Pferde. Bei Schneeverwehungen und eisiger Kälte ist das kein Spaß. Herr Pfarrer muss sich in dickste Kleidung und einen pelzgefütterten Fußsack einpacken, damit er auf der recht weiten Strecke nicht halb erfriert. In den Fußsack werden gewärmte Steine mit eingepackt. Es ist immer eine aufregende Angelegenheit, wenn diese Fahrt bevor steht.
In der ungeheizten eiskalten Kirche besteht die Gefahr, dass der Messwein einfriert. Doch dem wird durch eine sinnreiche Vorrichtung vorgebeugt. Man stellt den Messwein in einen doppelwandigen Behälter und in den Raum zwischen den Wänden schüttet man kochendes Wasser hinein. So bleibt der Wein temperiert und gut trinkbar.
Um die Kirchturmuhr kümmert sich Herr Pfarrer besonders. Nie soll sie falsch gehen, immer muss sie die richtige Zeit anzeigen. So sorgt er für ihren stets richtigen Stand. Die Bauern auf den Feldern – oft ohne Uhr – sollen sich zuverlässig auf sie verlassen können. Zum Läuten der Glocken gehen meist Fräulein Anita und Tante Rosi den Weg zur Kirche hinauf. Das ist im Winter keine leichte Aufgabe, denn es geht ziemlich bergauf und der verschneite Weg kann glatt sein. (Bei uns zu Hause wurden die Wege im Winter niemals geräumt sondern mit Asche gestreut.)
An das Wochentags-Frühstück – es wird wohl Butterschnitte gegeben haben – kann ich mich gar nicht erinnern, nur an den Milchkaffee (Gerstenkaffee), der in einem sehr großen Topf im warmen Ofenrohr steht. Vor allem am Sonntag, wenn man durchgefroren aus der Kirche gekommen ist, freuen sich alle über den heißen Kaffee (wenn man nicht gerade die Milchhautfetzen erwischt hat). Zum Sonntagsfrühstück gibt es oft Mohnbuchteln, die tags zuvor Fräulein Anita gebacken hat und für die sie gerühmt wird.
Stets essen wir Suppe zu Mittag, sonntags mit ausgezeichneten Suppennudeln, die Fräulein Anita selbst herstellt. Ich sehe noch die hauchdünnen getrockneten Teigplatten, die Fräulein Anita in ganz feine Streifen zerschneidet. Die Hauptgerichte scheinen während der Woche recht bescheiden gewesen zu sein. Eins meiner Lieblingsgerichte ist Kartoffelbrei mit Tomatensauce (Woher die Tomaten? In Mohrau gedeihen sicher keine). Ein anderes Essen sind „Klierslen“, in einer rechteckigen Pfanne dicht nebeneinander geschichtete Teigstücke, die im Backrohr gebacken werden. Doch diese Klierslen hat Fräulein Anita nur ein- oder zweimal zubereitet.
Nur am Sonntag hat es, soviel ich weiß, Fleisch gegeben, zum Beispiel Schweine- oder Kaninchenfleisch oder auch Hähnchen. Als besonders lecker ist mir Kaninchen in Rahmsauce in Erinnerung. Viktor hat einmal trotz mehrfacher Warnung so viel davon in sich hinein geschlungen, dass er alles wieder erbrochen hat.
Nur an das Abendessen kann ich mich sehr gut erinnern. Meist gibt es Kartoffelbrei mit Gerstenkaffee. Den Brei bereitet Fräulein Anita immer wieder auf andere Art zu, manchmal mit Zwiebeln, manchmal mit ausgelassenem Speck, manchmal mit Butter, manchmal mit Schmalz. Alle essen ihn gern. Aber für uns Kinder ist bei diesem Essen am interessantesten, dass gemeinsam aus einer Schüssel gegessen wird. Von allen Seiten graben sich die Löffel in den Kartoffelbreiberg. Das ist uns neu. Das hat es in unserer Familie nicht gegeben. Aber wir haben uns bald an diese neue Sitte gewöhnt und graben begeistert Tunnels und Höhlen und Gänge zum Gegenüber.
Fortsetzung folgt
Bildquelle: Bayrischer Rundfunk
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