Herausfinden, wer man andernorts ist
In der Region hat sich eben eine neue Kulturinitiative formiert. „Fokus Mitmensch“ verfolgt ein anspruchsvolles Ziel. Initiatorin Helen Wieser nennt die Aufgabenstellung: „Communication between Civilisations“.
Daß sie eine Kommunikation zwischen Zivilisationen auf Englisch ausdrückt hat zwei Gründe. Einerseits ist Wieser Immigrantin. Sie stammt aus Neuseeland, also von uns aus betrachtet quasi vom anderen Ende der Welt, wo neben der Sprache der Maori Englisch gesprochen wird.
Andrerseits hat sich Wieser in ihrem Kulturprojekt mit einigen der Flüchtlinge verständigt, die nun seit kurzer Zeit in Gleisdorf leben. Dafür ist Englisch eine sprachliche Brücke.
Es sind völlig verschiedene Metiers in diesem Kreis zusammengefaßt. Vom Ingenieur, der mit Fragen der Ölförderung befaßt war, über den Fotohändler zum Zuckerbäcker.
Wieser geht offenbar völlig zurecht davon aus, daß wir Menschen bei allen denkbaren Unterschieden auch einiges teilen, egal, woher wir kommen. Da setzt sie an, sucht vorhandene Schnittpunkte in einigen sozialen und kulturellen Bedürfnissen.
Von da aus tastet sie sich vor, läßt der kontrastreichen Runde Spielraum. Unter den massiven Eindrücken des Aufenthalts in einer völlig anderen Welt (als der vertrauten Herkunft) muß nun erst erst einmal wieder sich selbst hören können. Das geschieht nicht bloß über die Sprache.
Kürzlich hatten einige der Männer einen ersten öffentlichen Auftritt. Sie tanzten bei „Aprilfestival“ auf Schloß Freiberg die „Dabke“. Solche Kreistänze kennen wir auch in Europa sehr gut. Wer je unsere slawischen Nachbarn eine Kolo oder Cocek tanzen sah, kennt diese berührende Weise, in der sich eine ganze Gruppe von Menschen ohne Wort in tiefes Einvernehmen setzt.
Es geht Wieser ja ferner darum, daß die Neuankömmlinge überhaupt erst einmal ihren eigenen Rhythmus finden können, um sich dann auch intensiver mit den Menschen vor Ort zu verständigen. Dabei kommt ihnen derzeit etwa Unternehmerin Barbara Lukas entgegen. Sie hat der Kulturinitiativer die bewährte Galerie „Einraum“ in der Gleisdorfer Bürgergasse reserviert.
Am 3. Juni 2015 wird „Fokus Mitmensch“ dort eine erste Präsentation von Arbeiten der Gruppe präsentieren. Es werden Fotos zu sehen sein. Es wird beachtliche Exponate geben, wo etwa einer der Männer begonnen hat, die Stadt, aus der er fliehen mußte, en miniatur nachzubauen.
Man darf gespannt sein, was in dieser Runde noch entsteht, wenn die Kommunikation mit der Umgebung ihre nächsten Sprünge macht. Wir Menschen sind ja von Natur aus neugierige Wesen. Wenn uns ein langes Leben geschenkt wird, brauchen wir das Unbekannte wie das Brot. Sonst würden wir an Langeweile zugrunde gehen.
Wer hat schon die Mittel und die freie Zeit, um die Welt zu bereisen? Wenige. Was für ein Glück, wenn Menschen zu uns kommen, die ein anderes Leben geführt haben als unseres. So finden wir Gelegenheit, neue Eindrücke zu sammeln. Im Kontrast zu den Anderen erfahren wir auch mehr über uns selbst.
In diesem Sinn verfolgt Helen Wieser einen Prozeß, der auf Zeit und auf Behutsamkeit abgestellt ist, denn diese Gruppe Kreativer muß selbst erst herausfinden, wer sie an diesem neuen Ort, in dieser Region sein möchten, sein können.
Das ist auch für alle, die aufmerksam hinsehen wollen, eine wertvolle Erfahrungsmöglichkeit, weil jene Menschen mit unseren Abläufen noch nicht vertraut sind. Das bedeutet, ihre Hellhörigkeit, ihr wacher Blick, könnte manches an unseren Zusammenhängen betonen, wofür wir selbst aus Gewohnheit schon längst taub und blind geworden sind.
Das bedeutet überdies, wer zur Achtsamkeit fähig ist, empfängt so auch Geschenke von diesen Gästen, gerade weil sie nicht so ticken wie wir.
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