Bewahren versus Verändern

Mag. Alfred Natterer, Telfer Theologe und Leiter der Abteilung Familie und Lebensbegleitung der Diözese Innsbruck. | Foto: Daniela Weißbacher
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  • Mag. Alfred Natterer, Telfer Theologe und Leiter der Abteilung Familie und Lebensbegleitung der Diözese Innsbruck.
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TELFS. Die reformorientierte Pfarrerinitiative rund um Obmann Helmut Schüller ruft zum Ungehorsam. Blickpunkt fragt den Telfer Theologen und Leiter der Abt. Familie und Lebensbegleitung der Diözese Ibk Mag. Alfred Natterer, was die Forderungen der Pfarrerinitiative sind, woher sie kommen und wie sich die Situation bei uns darstellt.

BP: Herr Natterer, seit wann leben Sie mit Ihrer Familie schon in Telfs?
ALFRED NATTERER:
Seit 17 Jahren. Wir stießen damals auf ein Inserat in der Zeitung: „Kleines Haus im Grünen“, ohne Ortsangabe. Wie sich dann herausstellte, stand dieses Haus in Telfs.

BP: Sie haben Theologie studiert, sind verheiratet und Vater von zwei Söhnen, wollten Sie früher einmal Priester werden?
NATTERER:
Ja, ursprünglich wollte ich Priester werden. Ich habe Theologie in Augsburg und Innsbruck studiert, dann aber meine Ausbildung zum Priester kurz vor der Weihe abgebrochen, weil ich erkannt habe, dass das zölibatäre Leben nicht für mich ist. Heute bin ich froh über die Entscheidung, nicht dass ich nicht Priester geworden bin, sondern dass ich Familienvater bin.

BP: Wenn der Zölibat heute abgeschafft werden würde, würden Sie dann gern Priester werden?
NATTERER:
Das kann ich nun auch nicht so einfach mit Ja beantworten. Heute sehe ich das nochmal anders und facettenreicher. Wir haben lange in einer klerikalen Kirche gelebt, im zweiten Vatikanischen Konzil wurde jedoch das allgemeine Priestertum und die Berufung jedes/r Einzelnen in den Mittelpunkt gestellt. Dabei spielt es keine Rolle ob man Mann oder Frau ist, verheiratet oder nicht, es heißt vielmehr, dass wir alle Kirche sind und aufgerufen zur Mitarbeit. Das wird heute in meinen Augen noch nicht ausreichend gelebt. Priester zu werden um einen Status Quo aufrecht zu erhalten, fände ich für mich nicht richtig.

BP: Versucht die Kirche einen Status Quo aufrecht zu erhalten? Ist das der Beweggrund für die Pfarrerinitiative einen Aufruf zum Ungehorsam zu starten? Braucht es in Ihren Augen eine Kirchenreform?
NATTERER:
„Ecclesia semper reformanda“, bezeichnete Papst Johannes XXIII unsere Kirche, deren Wesen es sein muss, sich ständig zu reformieren und zu erneuern, um heilsam wirken zu können. Der Historiker Michael Richter drückt es so aus: „Was bleibt, ist die Veränderung, was sich verändert, bleibt.“ Es stellt sich nur die Frage: wie sieht die Reform aus? In Wandlungsprozessen wirken immer zwei polarisierende Kräfte: die Bewahrende und die Verändernde. Es gibt auf beiden Seiten Menschen, die im Sinne der Kirche handeln und glauben, auf ihre Weise das Beste für Kirche und Menschen beizutragen. Bewahren ist gut und wichtig, vor allem wenn es um die Grundaussagen des Glaubens geht zB dass wir bedingungslos von Gott angenommen sind und dass nicht die Leistung zählt, dass wir die Würde eines jeden Menschen achten und wir einstehen für die Armen und Aufstehen gegen Unrecht. Und da gibt es in unserer Gesellschaft wahrlich einen großen Auftrag. Verändern ist ebenso wichtig, da sich die Gesellschaft im ständigen Wandel befindet. Ich glaube daher, dass der Grund für den Aufruf zum Ungehorsam der Pfarrerinitiative tiefe, pastorale Anliegen sind.

BP: Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe?
NATTERER:
Die Forderungen der Pfarrerinitiative sind allesamt nicht neu. Die gab es schon vor 25 Jahren in ähnlichem Wortlaut. Heute entspringen sie aber einer gewissen Not. Priester und Gemeindemitglieder spüren durch den Priestermangel schmerzhaft, dass der Kontakt immer weniger wird. Die Kirche muss aber beim Menschen sein. „Eine Kirche die nicht dient, dient zu nichts“, sagte der französische Bischof Jaques Gaillot. Die pastorale Arbeit muss vor Ort statt finden, sonst hat sie keine Wirkung. Die Pfarrerinitiative will nun auf zwei Wegen dieser Not entgegensteuern. Zum einen möchte sie bewirken, dass der Zugang zum Priestertum erleichtert wird, und sowohl verheiratete Männer als auch Frauen zu PriesterInnen geweiht werden können. Zum anderen zielt sie auch darauf ab, dass das sogenannte „Allgemeine Priestertum“, also Laien wie du und ich, gestärkt werden. In der Bibel heißt es: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Eine Heilige Messe mit einer Eucharistiefeier ist unbestritten der Höhepunkt für einen gläubigen Menschen, es gibt jedoch verschiedene Formen, Gottesdienst zu feiern ohne Pfarrer. Andachten oder Rosenkränze sind solche Beispiele aus unserer Tradition. Es gibt zusätzlich auch viele Möglichkeiten auf alternativem und modernem Weg Liturgie zu feiern. Man darf dies aber keinesfalls als Konkurrenz zur Hl. Messe sehen, sondern vielmehr als Bereicherung – es ist eine Art „Verbuntung“.

BP: Wissen Sie, ob es in der Diözese Priester gibt, die die Initiative unterstützen?
NATTERER:
Ja es gibt mehrere. Drei davon, die auch wichtige Funktionen in der Diözese haben, bekennen sich offen dazu: Da ist einmal der Dekan von Lienz, der Telfer Bernhard Kranebitter, dann der Dekan von Breitenwang Franz Neuner und der Leiter der Klinikseelsorge Andreas Kryczan. Es geht ihnen wie gesagt nicht darum, ungehorsam zu sein, sondern ihnen ist das pastorale Anliegen sehr wichtig. In der Kirche geht es darum, das Evangelium zu hören und gut hinzuschauen, was die Gemeinde braucht und was die Gemeinde aufbaut. „Ungehorsam“ kann durchaus im Sinne des Evangeliums auch „Gehorsam“ sein. Nur, wenn man es „ungehorsam“ nennt, ist die mediale Aufmerksamkeit größer, möglicherweise aber auch die Polarisierung.

BP: Wie nehmen Sie die Situation in Telfs wahr?
NATTERER:
In Telfs sehe ich viele Aufbrüche. Es gibt immer mehr Formen, wie Liturgie gefeiert wird, es gibt die Jugendgottesdienste, die Tagzeitenliturgie, Rosenkränze, Anbetungsstunden und ab Herbst das Bibel-Teilen. Hier haben sowohl Laien als auch hauptamtliche MitarbeiterInnen viele neue und unterschiedliche Gottesdienstformen angeregt. Im Herbst findet die erste Schulung für Laien zu WortgottesdienstleiterInnen statt. Es gibt auch viele diakonale Dienste wie das Haus der Telfer Kinder, die Vinzenzgemeinschaft, die Hospizgemeinschaft, oder das Caritaszentrum in Heilig Geist, das seinen Schwerpunkt auf das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen legt, oder die Entwicklung des Klosters zum spirituellen Zentrum auch für Jugendliche. Es passiert viel, und nicht immer können Menschen das Ungewohnte ohne weiteres annehmen. Ich wünsche mir aber, dass die Pfarren in Telfs mit dem Kloster attraktive Orte werden für Menschen, die nach Sinn und Spiritualität suchen, aber mit vorschnellen, floskelhaften Antworten nicht abgespeist werden wollen. Gerade hier sehe ich bei vielen Christen in Telfs Potential, das noch sichtbar gemacht werden will.

BP: Danke für das Gespräch.

Interview: Daniela Weißbacher

Mag. Alfred Natterer, Telfer Theologe und Leiter der Abteilung Familie und Lebensbegleitung der Diözese Innsbruck. | Foto: Daniela Weißbacher
Junge und alte Kirche. „In Telfs sehe ich viele Aufbrüche“, sagt Alfred Natterer
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